Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft. Bernhard Domschcke

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Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft - Bernhard Domschcke Zeitzeugen des Sezessionskrieges

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Refrain wir alle einfielen. Die Rebellenwachen stutzten, ließen uns aber gewähren, was wir natürlich sofort zum Besten ausnutzten. Wir kalkulierten so, dass die Rebellen, wenn sie gesiegt hätten, uns schwerlich selbst dieses kleine, harmlose Vergnügen gestattet haben würden. Ihre Bosheit war uns bekannt, warum waren sie in diesem Falle so nachsichtig? Warum ließen sie uns sogar das John Brown Lied und "Sammelt euch um die Fahne, nieder mit den Verrätern" ungehindert singen? [Anm. d. Hrsg.: Domschcke bezieht sich hier auf die Lieder "John Brown's Body" und "Battle Cry of Freedom".] Diese Nachsicht musste ihren Grund haben, wahrscheinlich hatten sie am 3. Juli nicht gesiegt.

      Es dauerte nicht lange, bis eine eigentümliche Bewegung zu beobachten war. Truppenabteilungen marschierten hin und her, Adjutanten galoppierten in wilder Eile auf und ab und der immense Wagenzug kam in Bewegung. Einer unserer Offiziere, ein Amerikaner mit einem intelligenten Gesicht und einem sehr langen Halse, richtete sich, auf einer kleinen Erhöhung stehend, empor, blickte wie ein kluger Vogel Strauß um sich her und sagte endlich: "Meine Herren, das bedeutet nichts anderes, als dass sie ausreißen."

      Der Mann hatte Recht. Lee war geschlagen und bald erhielten wir Befehl, uns dem abziehenden Zuge anzuschließen. Dunkle Wetterwolken hatten sich mittlerweile mehr und mehr aufgetürmt und gegen Mittag brachen Sturm und Regen los. Wir waren bis an einen kleinen Fluss marschiert und standen neben der Steinbrücke, welche über denselben führte. Blitz folgte auf Blitz, Donner auf Donner, der Sturm beugte die größten Bäume und der Regen fiel in Strömen. Auf der Straße fuhren die Armeewagen, Kanonen, Munitionswagen und allerhand Gefährte mit Verwundeten, welche erbarmungswürdig stöhnten und wimmerten, in buntem Gemisch und vollem Galopp dahin. Die Rebellen hatten verloren und flohen. Wie jubelte unser Herz, als wir dessen gewiss waren, aber zu gleicher Zeit kannten wir unser Schicksal. Wir sahen, dass wir mit dem fliehenden Feinde fortgeschleppt werden würden, hinweg von dem Boden der freien Staaten in das Land des Verrats und der Barbarei, nach Richmond, wo Jefferson Davis, der Erzverräter, thronte. Niemals hatten Freud und Leid so unmittelbar nebeneinander in unserer Seele geweilt; Freude über den Sieg unserer Armee und Leid über unser Schicksal. Aber noch blieb uns Hoffnung. Konnte unser Oberbefehlshaber nicht dem fliehenden Feinde in die Flanke fallen und uns erlösen oder war es nicht möglich, dass der Erfolg unseres Sieges ein solcher war, dass an einen langen Bestand der Konföderation und somit an eine lange Gefangenschaft nicht mehr zu denken war? So bauen Unglückliche auf den geringsten Hoffnungsschein und so ertragen sie, gehoben durch den süßen Strahl der Hoffnung, alle Leiden, denen ihre Seele und ihr Körper unterworfen sind.

      Kapitel II

       -

       Der Rückmarsch nach Virginia – Das Shenandoah-Tal – Richmond

      Lees Armee zog sich in zwei nebeneinander hindrängenden Kolonnen von Infanterie und Artillerie zurück und die Gefangenen bildeten streckenweise die dritte Kolonne, mit einer Infanterieeskorte an der Seite. Da die Wege für einen solchen Strom von Menschen, Kanonen und Wagen nicht breit genug waren, so mussten wir häufig auf ungeebneten Wegen über Felder und Wiesen, durch kleine Bäche und Teiche, welche die starken Regengüsse gebildet hatten, marschieren und Hecken und Zäune erklimmen. Wir erreichten am 5. Juli Fairfield. Frauen und Mädchen standen weinend in den Türen ihrer Wohnungen, denn als sie unsere blauen Uniformen sahen, glaubten sie, dass alles verloren sei. Es wurde ihnen zum Trost zugerufen, dass die Rebellen-Armee sich zurückziehe und wir bald wieder zurückkehren würden. Ein junges, schönes Mädchen weinte bitterlich und rief Gott an, uns zu schützen. An demselben Tage kamen wir in die sogenannten "South Mountains", eine Reihe von teilweise hohen, malerischen Bergen mit tiefen Tälern und Schluchten. Da wir und die Armee uns hier nicht, wie vorher auf den flach gelegenen Feldern, ausbreiten konnten, waren wir oft in einen großen Knäuel zusammengepresst, der sich mühsam fortwälzte. Eine dunkle Nacht war hereingebrochen und es bedurfte aller Vorsicht, um nicht unter die Hufe der Pferde oder die Räder der Kanonen zu geraten. Einige Offiziere nutzten die Dunkelheit und Verwirrung und schlüpften durch die Eskorte auf die waldbewachsenen Berge, wo sie sich versteckt hielten, bis die Rebellenhorden vorüber waren.

      Am Morgen des 6. Juli langten wir in Monterey Springs, einem Badeorte, an, wo die Rebellen neue Unterhandlungen wegen der Entlassung mit uns begannen. Sie sahen, wie schwierig der Transport eines so großen Gefangenenzuges war und fürchteten höchstwahrscheinlich noch immer eine Attacke seitens unserer Armee, wobei wir vielleicht entkommen könnten. [Anm. d. Hrsg.: Die konföderierte Army of Northern Virginia führte bei ihrem Rückzug etwa 4.000 Gefangene mit sich.] Ferner berechneten sie jedenfalls, dass eine starke Eskorte für uns notwendig sein würde, welche sie unter Umständen sehr notwendig zu anderen Zwecken brauchen könnten. Sie riefen uns deshalb zusammen und machten uns ungefähr dieselben Vorschläge, die wir bereits bei Gettysburg vernommen hatten. Eine lange Beratung hatte zur Folge, dass wir im Hinblick auf Hallecks Order das Angebot ablehnten, dessen Annahme vorläufig nur von Vorteil für die Rebellen gewesen wäre. Außerdem trug noch jetzt die Hoffnung auf eine mögliche Befreiung zu der Ablehnung bei. Uns war offensichtlich, dass die Rebellen wünschten, der Gefangenen los und ledig zu werden, aber wie hätten wir bereitwillig auf etwas eingehen können, was unsere Feinde sehnlichst wünschten? So traurig unsere Aussichten für die Zukunft waren und so sehr wir danach verlangten, die Freiheit wieder zu gewinnen, so konnten wir uns doch nicht entschließen, den Rebellen eine Gefälligkeit zu erweisen und zu gleicher Zeit eine Order zu verletzen, deren Hauptsinn der war, dass eine Auswechslung nur dann erfolgen konnte, wenn der Feind in "wirklichem Besitze" der Gefangenen war.

      Am 6. Juli nachmittags marschierten wir, nachdem diese Unterhandlung gründlich gescheitert war, ab, um einen höchst beschwerlichen und ermüdenden Marsch nach Waynesboro und Hagerstown zu machen. Dies war eine grässliche Nacht: Die Marschkolonne bewegte sich nur langsam und wir mussten fast alle fünf Minuten Halt machen. Es wurde uns keine Rast gegönnt und bis zum Äußersten ermüdet und in Folge der spärlichen Rationen keineswegs sehr kräftig, legten wir uns, sobald die Kolonne ins Stocken geriet, auf der schmutzigen Straße nieder, um jede Minute zu einer kleinen Ruhe zu benützen. Am Morgen gelangten wir in Hagerstown an, wo es damals eine ansehnliche Zahl von Sezessionisten und Sezessionistinnen gab. Eine der letzteren rief vom Trottoir aus, wo sie mit heiterer Miene stand, dem vor dem Zuge reitenden Rebellen-Colonel triumphierend zu: "Colonel, dies ist die rechte Art, sie anzutreiben!" Sie gehörte offenbar zu jener Sorte von verbissenen Hexen, deren es in den Südstaaten so viele gab und die nicht wenig dazu beitrugen, die ohnehin schon halb toll gewordenen Männer noch mehr zu Verrat und Grausamkeit aufzureizen. Am Südende von Hagerstown trafen wir einen Trupp gefangener Kavalleristen, welche auf Erkundung ausgeschickt worden waren und in unmittelbarer Nähe der Stadt einen Kampf mit den Rebellen zu bestehen hatten. Auf einem Felde an der Straße lagen die Leichen mehrerer Kavalleristen, natürlich nach Rebellenmanier ausgeplündert. Auch wurden mehrere Zivilisten zu uns gebracht, die unter irgendwelchem Vorwande von den Rebellen gefangen genommen worden waren und mit uns fortgeschleppt wurden. Ihnen stand ein hartes Schicksal bevor, denn sie wurden nicht als Kriegsgefangene behandelt und erhielten sehr oft nicht einmal das Wenige, was uns die Gnade der Rebellen zukommen ließ.

      Nach kurzem Aufenthalt bei Hagerstown trieb man uns weiter nach Williamsport am Potomac River, wo wir auf einer Anhöhe im nassen Grase kampierten und uns von einem angrenzenden Weizenfelde Ähren pflückten, um mit den spärlichen Körnern einigermaßen unseren Hunger zu stillen. Die Rebellen hatten starke Wachtposten in östlicher Richtung aufgestellt, zuweilen hörten wir auch den dumpfen Klang eines Kanonenschusses, aber die erwarteten Retter erschienen nicht und allmählich schwand jeder Hoffnungsschimmer. Vor uns lag der Potomac River, die Grenze zwischen den freien Staaten und dem Reiche der Rebellen. Bis hierher hatte uns die Hoffnung auf Befreiung begleitet und war diese Hoffnung töricht, wenn wir den Zustand sahen, in welchem sich die Rebellen-Armee befand? Getäuscht in ihren Erwartungen, als Sieger in Baltimore einzuziehen und entmutigt durch den Ausgang der Schlacht bei Gettysburg, in welcher sie furchtbare Verluste erlitten hatten, eilten die Rebellen auf streckenweise fast unwegsamen Straßen dem hoch angeschwollenen Potomac River entgegen, um sich auf der

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