Das Verschwundene Tal. Dietmar Preuß

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Das Verschwundene Tal - Dietmar Preuß

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es kein Fest gegeben. Ohne Fest keine Akrobaten. Und Gaiana hätte diese stinkenden Tiere nicht auf sich ertragen müssen. Für mich gibt es im Diesseits nichts mehr. Hängt mich an den Dorn oder schlagt mir den Kopf ab, es soll mir gleich sein.“

      Eine schlichte Feststellung, ohne die Absicht, Mitleid zu erheischen, erkannte Moamin Doriah. Und deshalb ist er genau der Mann, den ich brauche. „Gerade weil der Tod dir gleichgültig ist, brauche ich, braucht der Khan deine Dienste.“

      „Warum gerade meine? Ich bin weder Soldat noch Spion.“

      „Das will ich dir erklären, aber lass mich ein wenig ausholen.“ Der Hauptmann sah sich in seinem kargen Raum und, bis sein Blick auf der Landkarte von Shuyuk hängenblieb. „Bis vor einigen Jahren hat ein Großgrundbesitzer namens Ssadec Tabar immer wieder gegen den Ilkhan in Gidda und den Khan von Chasar intrigiert und böse Gerüchte in Umlauf gesetzt. Mehrmals hat Halef ibn Shahim ihn ermahnt, aber er hat keine Ruhe gegeben und wurde schließlich von seinem Land vertrieben. Er floh und fand Unterschlupf in der Nähe von Shuyuk, am Fuße des Tengriswalls. In ganz Scimmien warb er Söldner, Beutelschneider und Totschläger an. Sogar aus den Greiflanden fanden Männer und Frauen zu ihm. Es heißt, er herrsche wie ein König über seine Horde in einem verschwundenen Tal. Zunächst vermutete ich, er sei zu einem der vielen Wegelagerer geworden. Aber inzwischen weiß ich, dass auch ehemals ehrbare Handwerker, Bauern und Reisige in die engen, verwinkelten Täler im Westen ziehen. Offenbar strebte Tabar nach mehr als Beute und Reichtum. Dieser selbsternannte Räuberkönig will der neuen Ordnung möglichst viel Schaden bereiten, um sich so für den Verlust von Stand und Land zu rächen. Dabei ist der Frieden nach den Erbfolgekriegen immer noch äußerst brüchig und eher ein unsicherer Waffenstillstand, wie du weißt. Ob dieser sogenannte Räuberfürst seinen Reichtum mit den Armen und Elenden teilt, wie oft behauptet wird, oder ob das nur Blendwerk ist, um seine Anhänger gefügig zu machen, kann ich nicht abschätzen. Doch Tabar schickt unablässig Meuchelmörder, Räuber und Erpresser aus. Einflussreiche Personen in den Dörfern und Städten im Norden werden beseitigt oder korrumpiert. Ein Flechtwerk von Anhängern ist entstanden, das ihm immer frechere Schritte erlaubt. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn wir diesen Mann weiter schalten und walten lassen?“

      Rayol Jamsillah nickte.

      „Daher brauche ich jemand, der sich dieser Bande zum Schein anschließt und in dieses sogenannte Verschwundene Tal hineinkommt, wie es allerorts flüsternd und gar ehrfurchtsvoll genannt wird. Wenn es nicht gelingt, Tabar zu beseitigen, so muss ich wenigstens von seinen Mitteln und Plänen erfahren. Dazu benötige ich einen tollkühnen und kaltblütigen Mann, dem der Tod gleichgültig ist!“

      Rayol musste nicht lange über eine Antwort nachdenken.

      „Der schnelle Tod unter dem Beil, selbst der am Dorn ist mir gleichgültig. Ich sehne ihn sogar herbei, denn ich habe ihn verdient.“

      Doriah hatte noch einen Trumpf. „Wo ist deine Verlobte jetzt?“

      „Sie dämmert im Hause ihrer Eltern vor sich hin. Einen Medicus kann sich die Familie nicht leisten, auch wenn Meister Jassim Muktada versprochen hat, einen Teil des Preises zu tragen. Nun stirbt sie Tag für Tag ein kleines Stück, denn sie schläft und isst nicht und ihr Körper siecht dahin.“ Die Worte des jungen Schmiedes waren immer leiser geworden, schließlich erstickte seine Stimme.

      Hauptmann Doriah nickte und stand auf. „Ich habe mit dem Medicus und den Schamanen des Khans gesprochen. Sie halten es für möglich, einen Vergessenszauber auszuüben, so dass deine Gaiana nicht mehr an das denken muss, was ihr angetan wurde. Im Kloster des jungen Tengris könnte man sie durch einen Blickzauber dazu bringen, ihren inneren Frieden zu finden. Wenn sie wieder isst und schläft und zu Kräften kommt, werden die Geweihten ihr behutsam erklären, was passiert ist und wie sie damit leben kann.“

      Zum ersten Mal erschien Hoffnung im Blick Rayols. „Und ihr würdet das veranlassen, wenn ich mich bereit erkläre, nach Shuyuk zu gehen?“ Er sprach mit flehendem Unterton.

      Doriah wusste, dass er sein Ziel erreicht hatte. „Das würde der Khan für deine Gaiana tun. Und bevor wir dich in die Höhle des Ogers schicken, werden wir dich einiges lehren, was dir deinen Auftrag auszuführen hilft.“

      Rayol Jamsillah war aufgesprungen. „Verfügt über mich, Hauptmann. Für Gaiana will ich gerne Folter und Qual riskieren.“

      Viermal hatten die Tengrissöhne zu- und wieder abgenommen, als Rayol Jamsillah sein Bündel packte. Er wollte nicht mehr mit sich führen, als es für einen Schmied in den Wanderjahren üblich war. Sein prachtvolles Schwert, das ihm als sein Gesellenstück überlassen worden war, war das einzig Bemerkenswerte an ihm. Abgesehen von dem mächtigen Brustkorb und den gewaltigen Armen natürlich.

      Der einäugige Moamin Doriah, hatte ihm gerade noch einmal seine Befehle eingebläut, die Namen von anderen Kundschaftern, die sich unerkannt in und um Shuyuk aufhielten, abgefragt und ihn im Namen von Recht und Ordnung auf den Weg geschickt. Aber bevor Rayol sich auf die mehrtägige Wanderung nach Shuyuk machte, wollte er seiner Gaiana einen letzten Besuch abstatten.

      Am Eingang zum Kloster begrüßte ihn eine Geweihte mit einem freundlichen Lächeln. Er war in den vergangenen Monaten so oft wie möglich hergekommen, und die meisten Geweihten im Kloster wussten, was seiner Verlobten widerfahren war. Rayol Jamsillah ging durch die Säulenhalle, vorbei an den Altären mit abstrakten Abbildern des weiten Himmels, der Regenwolken und blühenden Bäume und Blumen, die den jungen Tengris versinnbildlichten. Die meisten dieser Avatare des einen Gottes waren in Gold gehämmert oder aus bunten Kristallen gelegt und standen für die Macht, die man den Aspekten des jungen Tengris in der Hauptstadt des Khanats zumaß. Rayol kniete vor dem hohen, in Emaille ausgeführten Regenbogen nieder und trug stumm seine Bitte um Genesung seiner geliebten Gaiana vor. Sein Opfer, getrocknete Blütenblätter, nahm der Gott wohlwollend an, was er an der senkrechten Rauchsäule erkannte, die von der Glut des Opferfeuers aufstieg.

      Nach einer letzten Fürbitte stand er auf, verließ die Säulenhalle durch das seitliche Portal und stand im Schatten eines Wandelgangs, der einen sonnendurchfluteten Hof umgab. Auf der anderen Seite gingen zahlreiche Türen zu den Kammern der Geweihten und Gäste des Klosters ab. Eines dieser kleinen Zimmer teilte sich Fatuma mit Gaiana. Die alte Geweihte wachte Tag und Nacht über sie und nahm die verstörte junge Frau auch in den Kräutergarten mit, den sie seit vielen Jahren am Rande des Innenhofes pflegte. Dort fand Rayol sie auch an diesem Vormittag. „Seid gegrüßt, ehrwürdige Fatuma!“

      Die Geweihte erhob sich mit einem Ächzen und wischte sich die Hände an der Schürze ihres hellgrünen Habits ab. „Rayol, ich freue mich dich zu sehen, und Gaiana sicher auch.“

      Er betrachtete seine Verlobte, die auf einem Stuhl in der heilsamen Wärme saß und ihre Hüterin ansah. Ihre körperlichen Wunden waren gut verheilt, nicht einmal Narben waren zurückgeblieben. Der Medicus des Khans hatte ihm berichtet, dass sie, wenn ihr Geist wiederhergestellt war, sogar wieder die Freuden der Liebe würde verspüren können. Rayol wusste auch, dass Gaiana bei seinem Anblick nicht mehr als ein Gefühl des Erkennens verspürte. Der Blickzauberer hatte sie mit der Kraft seiner Augen und seines Willens so eingestellt, dass sie nur die guten Gefühlsregungen in ihrer Umgebung wahrnehmen konnte. Deshalb hatte man auch Fatuma an ihre Seite gegeben, deren immerwährende Sanftmut sich bereits heilend auf Gaianas Gemüt ausgewirkt hatte. Offensichtlich spürte die Kranke Rayols Freude über ihr gesundes Aussehen, denn sie lächelte, als er näher kam.

      Er nahm ihre Rechte und streichelte sie. Zu seiner Überraschung hob sie die andere Hand und strich durch seinen dichten Bart. „Gaiana, mein Liebling, ich muss noch einmal fort. Diesmal habe ich eine Pflicht zu erfüllen, ein Versprechen, das ich gegeben habe, damit man dich hier gesund pflegen kann. Ich kann nicht schwören, dass ich zurückkomme, aber ich werde vorsichtig zu sein.“ Er sprach

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