Der Abituriententag. Franz Werfel

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Der Abituriententag - Franz Werfel

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und da besuche ich Prostituierte!«

      »Bevorzugen Sie die Straßenmädchen oder feste Häuser?«

      »Das ist mir ganz gleichgültig, Herr Hofrat!«

      Sebastian sann darüber nach, wohin er mit der letzten Frage hatte zielen wollen. Es war ihm entfallen. Da fand er's noch einmal nötig, sich wegen des Gegenstandes seiner Neugier zu entschuldigen. Es müsse aber sein:

      »Und wie ist es mit der Treue, Herr Adler? Gehen Sie längere Zeit zu ein und demselben Mädchen, oder wechseln Sie oft?«

      Adler, der in diesen Worten eine Falle zu fürchten schien, gab eine ausweichende Antwort.

      Sebastian sah noch immer nicht auf. Es gehörte ebenfalls zu seinen Prinzipien, beim ersten, zwanglosen Verhör den Gegner durch Blicke nicht zu verwirren, zumal wenn sich die Unterredung dem Lebenspunkte des Falles näherte:

      »Sie müssen aber zugeben, Herr Adler, daß Sie mit der Feichtinger lange und gut bekannt waren!«

       Adler zögerte keinen Augenblick:

      »Ich bin ihr im ganzen dreimal begegnet. Zweimal davon in ihrer eigenen Wohnung.«

      Und mit einer traurigen Bewegung fügte er hinzu:

      »Leider!«

      Sebastian kritzelte noch immer:

      »Verzeihen Sie die Frage, Herr Adler! Sie gehört nicht ganz, aber doch ein wenig zur Sache. Haben Sie niemals eine Frau, eine Geliebte, ich meine etwas Eigenes, etwas Anderes besessen als diese Damen?«

      Adler schwieg.

      Sebastian wollte schon seine Frage fallen lassen, als die Antwort kam:

      »Nein! Ich habe niemals andere Frauen gehabt als diese Damen! – Warum auch?«

      »Und wann – wenn ich bitten darf – hat diese – besondere – Leidenschaft für Prostituierte bei Ihnen begonnen?«

      Die Stimme des Beschuldigten, dieser Tonfall vertrackter Würde, erhob sich etwas:

      »Ich weiß nicht, ob das eine besondere Leidenschaft ist. Es hat sich in meinem Leben einfach so ergeben. Das erstemal, als ich noch Gymnasiast war ...«

      In diesem Augenblick sagte Doktor Ernst Sebastian:

      »Unmöglich!«

      Er sagte dieses Wort aber nicht zum Beschuldigten, sondern zum Löschblatt auf seinem Tisch.

      Zwei Worte standen auf diesem Löschblatt, die seine spielende kritzelnde Hand hingeschrieben hatte. Diese Worte bildeten nichts Überraschenderes als den Namen des Häftlings, doch standen sie in verkehrter Reihenfolge da:

      Nicht Franz Adler – sondern Adler Franz!

      In den altösterreichischen Schulen, Ämtern, Matrikeln, Wählerlisten pflegte man um der alphabetischen Ordnung willen den Rufnamen nachzustellen. Vielleicht wird dieser Brauch auch heute noch geübt. Sebastians Hand aber hatte sich einer alten Sitte erinnert, als sie hinschrieb: »Adler Franz«.

       Der Untersuchungsrichter riß das Löschblatt aus der Mappe, zerknüllte es und warf es in den Korb. Dann bat er – die nervöse Unrast seiner Sprechart verstärkte sich – den Beschuldigten: »Erzählen Sie mir bitte doch ausführlich, wie Sie zur Bekanntschaft mit Klementine Feichtinger gekommen sind!«

      Adler begann vorsichtig seine Geschichte aufzubauen. Nach jedem Satz machte er lange Pausen, als müsse er Schritt für Schritt den Boden seines Berichts prüfen, ob er auch tragfähig sei. Er suchte die Wirkung seiner Worte in den Zügen des Richters zu erkennen. Aber er sah nur Zeichen einer merkwürdig angespannten Zerstreutheit.

      Sebastian hörte kein Wort der Erzählung.

      Die Strahlen einer goldverdunkelten Abendsonne beschienen grell den Beschuldigten auf dem Verbrecherstuhl, wie es sich gebührte. Sie offenbarten die Schäden auf dem Gesichte dieses Dreiundvierzigjährigen, der einem alten Manne glich. Die Stirne, die Glatze mit ihren absonderlichen Buckeln und Mulden flammte in der roten Lichtflut, auch der Haarkranz, der Rundbart brannte.

      Sebastian überlegte immer wieder dasselbe:

      ›Rote Haare! Natürlich rote Haare! Die Grundfarbe ist unverkennbar rostrot. Augenbrauen fehlen! Außerordentliche Kurzsichtigkeit! Was aber bedeutet das alles gegen ...‹

      Und er staunte über das unerwartete Wort, das ihm ins Bewußtsein trat:

      ›Was bedeutet das gegen die Stichflamme? ...‹

      Unvermittelt unterbrach er den Bericht des Verhörten:

      »Sie heißen also Franz Adler?«

      Adler sah erschrocken drein. Vorsicht! War das ein Schuß aus dem Hinterhalt? Er stammelte:

      »Selbstverständlich, Herr Hofrat! Warum?«

      Sebastian lachte ein wenig. Seine Hand fuhr zur Klingel und drückte den Taster nieder:

      »Ich will Sie jetzt erlösen, lieber Herr Adler! Besten Dank! Für heute ist es genug. Montag morgens wollen wir mit frischen Kräften an die Sache herangehen. Wir haben den ganzen Sonntag Zeit, zu ruhen und nachzudenken. Ruhen Sie und denken Sie nach, Herr Adler! Danke!«

       Und er reichte ihm die Hand hin, die der Untersuchungsgefangene mit der zerknirschten Unentschlossenheit des Erniedrigten nur schlaff ergriff. Er aber war noch nicht bei der Tür, als der Richter ihn noch einmal anrief:

      »Adler!«

      Sebastian hatte das erstemal »Adler« und nicht »Herr Adler« gesagt.

      Der Angerufene zuckte zusammen und drehte sich nicht voll um:

      »Befehlen Herr Hofrat?«

      Sebastian beugte sich vor:

      »Seit wann sind Sie hier in der Stadt?«

      Adler überlegte in seiner mißtrauischen Art lange, ehe er erwiderte:

      »Ich, Herr Hofrat? – Seit zwei Jahren schon.«

      »Vor zwei Jahren sind Sie also zurückgekehrt?«

      Adler stand nun mit dem Gesicht zur Tür. Er wiederholte gleichmütig:

      »Ja, vor zwei Jahren.«

      Sebastian aber hob zwei Finger der rechten Hand an seine Nasenwurzel und sah angestrengt zu Boden, als hätte er allzuviel und unerlaubt Wichtiges erfahren. Dann richtete er sich auf und legte den amtsüblichen Nachdruck in seinen Ton:

      »Wenn Sie eine Beschwerde haben, Herr Adler, Sie wissen, ich bin die zuständige Stelle!«

      Der Untersuchungsrichter lauschte an der Tür, bis der Schritt des Justizsoldaten und des Häftlings auf dem langen Gange verklungen war. Dann trat er zu seinem Schreibtisch und riß, einer verträumten Eingebung folgend, die vielen Schubladen auf. Eine schmutzige Unordnung, ein staubiges Durcheinander von amtlichen Restbeständen, von privaten Schriften und Korrespondenzen

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