Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich

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Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich

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      Die Forstei im Spessart.

      Oben im Spessart, an der nördlichen Abdachung desselben und ziemlich versteckt in einem wilden, hochstämmigen Nadelholzwalde, lag eine alte Forstei, deren Insasse, der alte Förster Buschmann, schon lange um einen Gehülfen petitionirt hatte, weil ihm die Wilddieberei zu arg wurde und er's in dem weiten und wilden Revier nicht mehr allein „erwachen" konnte.

      Ja petitioniren - das sollte Alles „kein Geld kosten", wie er meinte, und dabei wurde das Gesindel immer dreister und stahl zuletzt an Wild mehr weg, als es gekostet haben würde, zwei Gehülfen anzustellen. Es kam und kam eben keiner, bis er zuletzt wild wurde und das Gesetz in seine eigene Hand nahm.

      Alle Schliche und Wege kannte er, aus dem über Nacht draußen im Holz Liegen machte er sich auch nichts, und Streusucher fanden bald nacheinander zwei übelberüchtigte junge Burschen aus dem nächsten Dorf erschossen auf einem der Waldpfade liegen und trugen sie zu Thal.

      Jetzt kamen freilich die Gerichte auf die Beine; eine Untersuchung jagte die andere, und Buschmann wurde alle Augenblicke vorgefordert, um Auskunft über die Erschossenen zu geben - aber was wußte er davon? Er stak allein da auf seiner Forstei im Wald, überall konnte er natürlich nicht ein, und wenn sich das Wilderergesindel untereinander selber /90/ todtschoß - ei, dann wohl bekomm's! er hatte nichts dagegen. Wissen thue er übrigens nichts von der ganzen Geschichte, und da er vergebens und immer wieder vergebens Hülfe von der obern Forstverwaltung erbeten, aber nie auch nur einmal eine Antwort erhalten habe, so müsse sie es sich eben jetzt gefallen lassen, wenn es Mord und Todtschlag auf dem Revier gäbe.

      Das half. Schon in nächster Woche wurde nicht allein ein aus drei Schützen bestehender Forstschutz in das Revier gelegt, sondern eines Sonnabend Abends traf auch ein junger kräftiger Forstgehülfe auf der Forstei ein, gab sein Einführungsschreiben ab und wurde von dem alten Förster auf das Herzlichste empfangen.

      Bis jetzt hatte Buschmann mit seiner „Alten", da ihre Ehe kinderlos geblieben, hier allein die langen Jahre gewirthschaftet. Nur eine alte Magd war noch im Hause, die die Küche und ein paar Kühe besorgte, und zwei Kreiser oder Forstläufer schliefen ebenfalls dort oben, wenn sie ihre Pflicht nicht zwang, auf irgend einem andern Punkt des Reviers zu übernachten. Daß das ein einsames Leben im Walde gewesen, läßt sich denken, besonders wenn draußen der Schnee seine weiße Decke über das Land breitete. Die beiden alten Leute hatten dann mit der Magd im Zimmer gesessen, der Förster seinen kurzen Pfeifenstummel im Mund, die Frauen am Spinnenrocken, während oft Stunden lang kein Laut, als das Schnurren der Räder, die Stille unterbrach.

      Jetzt kam junges Leben dahinein, und der neue Forstgehülfe Bernhard Raischbach, der schon in Aschaffenburg, Würzburg und selbst in München gewesen, ja gar in den Alpen seine Lehrzeit bestanden, und sonst auch ein manierlicher Bursche und guter Leute Kind war, konnte von allem Möglichen erzählen und erzählte auch, und die alten Leute trugen ihn dafür auf Händen. Was ihm die alte Frau an den Augen absehen konnte, that sie ihm, und besserer Kaffee war noch nicht in der Forstei gebraut, so lange sie stand, als seit der junge Raischbach dort eingezogen. Ja sogar ein Fäßchen Bier wurde angeschrotet - und zwar Lagerbier, kein einfaches - damit er nicht versucht werden sollte, Abends in das allerdings immer noch gut /91/ anderthalb Stunden entfernte Wirthshaus hinab zu steigen - was er freilich auch nur sehr selten that. Der Hinweg ging noch - aber der Rückweg durch den stockdunkeln Wald und über die rauhen Wege war nichis weniger als angenehm.

      Auch draußen im Wald erwies sich der junge Forstgehülfe bald außerordentlich brauchbar und kannte seine Pflicht so genau, daß der alte Förster eigentlich nichts zu thun hatte, als ihm nur die verschiedenen Schläge und Pflanzorte, wie auch besonders die Grenzen zu zeigen, damit er nicht einmal aus Versehen in das Hessische hinübergeriethe. Allerdings war Förster Buschmann, wie er seinem Gehülfen sagte, mit dem nächsten hessischen Förster befreundet, aber sie kamen doch nur sehr selten zusammen, und besser ist immer besser.

      Erzählen that übrigens der Alte ungemein gern, und an Stoff dazu fehlte es wahrlich nicht, denn es giebt wohl kein ergiebigeres Sagengebiet - den Rhein vielleicht ausgenommen - in ganz Deutschland als eben den Spessartwald mit seinen dunkeln, nadelholzbewachsenen Höhen. Wenn er ihm dann die verschiedenen Namen der Plätze, die theils auf eine solche Sage, theils auf früher hier heimische wilde Thiere Bezug hatten, angab, wußte er ihm dabei allerlei wunderliche Dinge zu berichten, was noch dadurch viel geheimnißvoller klang, daß er es nur immer mit leiser, flüsternder Stimme that. Nicht um die Welt hätte er im Wald laut gesprochen, war er doch von Jugend auf daran gewöhnt, sich immer so zu benehmen, als ob er auf der Bürsche sei.

      Gelegenheit zu solchen Geschichten fand er also genug, denn der Wald wimmelte von derartigen Plätzen. Da gab es einen Teufelsfelsen und einen Eckardtsstein; da lief der Elfenbach durch's grüne Moos; Luchssteig, Wolfsschlucht, Bäreneck und Auerhorn hießen einzelne vorragende Plätze im Wald, und die Phantasie des Alten bevölkerte sie nicht allein mit dem wilden Jäger und dem bösen Feind, mit Alraunen und überirdischen Geschöpfen, sondern er berief sich dabei auch noch auf das Zeugniß seines jetzt leider verstorbenen Vaters, der in stürmischen Nächten den wilden Jäger selber oft und oft gehört haben sollte, wie er, besonders im Frühjahr und Herbst, mit Hussa! und Hallo! über den Forst gebraust. /92/ Solche Gespräche spannen sich übrigens auch noch, wenn sie Abends nach Hause kamen, aus, denn von derartigen Erzählungen wußte die Frau Försterin fast noch mehr als ihr Mann, ja selbst die Lisel, wie die alte Magd hieß, nickte nur immer bestätigend mit dem Kopfe, wenn sie auch selber entsetzlich schwer zum Reden zu bringen war, denn sie stieß ein wenig mit der Zunge an und war von anderen jungen Leuten, denen sie früher manchmal derlei erzählt, wohl nur ausgelacht und verspottet worden.

      Der junge Raischbach lachte sie aber nicht aus. Selber etwas romantischer Natur, wenn auch nichts weniger als was man abergläubisch nennt, wirkte die ganze Umgebung doch nach und nach auf ihn ein, und er fing an, sich nirgends wohler zu fühlen als Abends, nach einem tüchtigen Rundmarsch in der stillen, schweigenden Waldung, in seiner Ecke neben seinem Krug Bier und mir der kurzen Jagdpfeife im Munde.

      Er wußte selber auch Manches zu erzählen: von dem Bergstutzel in den Alpen, von der Gemsmaid, von den weißen Fräulein und dann aus anderen Forsten von einer Freikugel, die ein Jäger gehabt, mit der er nachher, wider Willen, seinen eigenen Vater erschossen; von einem andern Frevler, der sein Feuerrohr auf einen gekreuzigten Jesus abgebrannt hätte und von Stund an blind geworden wäre, und manche andere Dinge, wie sie sich die Jäger wohl an langen Winterabenden erzählen.

      Deshalb scheute er sich aber doch nicht, bei Nacht und Nebel draußen im Wald herum zu steigen, und wenn er einmal irgendwo in einer Richtung einen Schuß gehört, von dem man sich keine Rechenschaft geben konnte, so ruhte und rastete er auch nicht, bis er die richtige Fährte ausspürte, und wenn er drei Nächte hintereinander hätte draußen lagern sollen.

      Daß so ein flinker, kräftiger Bursche - und außerdem noch ein vortrefflicher rascher Schütze, wie er sich bald erwies - dem Wilderergesindel unbequem werden mußte, läßt sich denken. In ganz kurzer Zeit hatte er auch drei von der Gesellschaft auf frischer That ertappt und sie nach und nach ganz allein eingebracht, und die Wilddiebe mußten anfangen, sich nach einem /93/ andern Revier umzusehen, denn auf dem Buschmann'schen schien's für sie nicht mehr geheuer.

      Eines Tages - es war im August - hatte der Förster einen Feisthirsch zum Abschuß bekommen, der noch an dem nämlichen Abend eingeliefert werden sollte, und Bernhard wie der Alte waren mit Tagesgrauen hinausgegangen, um ihr Glück auf der Bürsche zu versuchen. Nach vorhergenommener Verabredung sollte aber Keiner mehr schießen, wenn er vom Andern einen Schuß fallen höre, damit sie nicht etwa bei dem heißen Wetter zwei Stück statt eines auf die Decke brächten, und sie nahmen nun, Einer den linken, der Andere den rechten Flügel, um an einer bezeichneten Stelle wieder zusammen zu treffen. Hatte dann Keiner von ihnen etwas geschossen, so waren die Kreiser und der Forstschutz schon auf einen gewissen Punkt im Wald bestellt, um nachher ein

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