Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich

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«Es ist nicht der Verlust, lieber Vater», sagte aber das junge Mädchen, sich gewaltsam zusammennehmend und des Vaters Hand ergreifend, «nur die Überraschung, der Schreck wahrscheinlich, und das – das Unheimliche dabei, als ich mein Zimmer vorhin betrat und die Spuren des verübten Verbrechens entdeckte. Ich fürchtete die entsetzlichen Menschen noch irgendwo zu sehen, die vielleicht hinter einer Gardine stehen, unter einem der Divans liegen, hinter einem Ofen kauern konnten und, wenn entdeckt, zu verzweifelter Gegenwehr getrieben mich anfallen würden, und all’ solch’ kindische Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm dabei, die heruntergeworfene Stickerei von dem Sekretär selber, am meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und die verlöschte, angerauchte Zigarre dort auf dem Fensterbrett erfüllten mir das Herz mit einem unbeschreiblichen Grausen.»

       «Eine Zigarre?» sagte Ledermann, sich vergebens nach dem bezeichneten Gegenstand umschauend. «Wo lag sie?»

       «Dort im Fenster, als ich zurückkam.»

       «Die alte angerauchte Zigarre?» sagte Henkel rasch. «Die hab’ ich zum Fenster hinausgeworfen; ich glaubte einer der Dienerschaft hätte sie in der Aufregung mit hereingebracht und dort abgelegt – sie muß unten auf der Straße liegen.»

       «Bitte, schicken Sie doch einmal einen Burschen danach, daß er sie heraufholt», sagte der Aktuar. «Man darf auch das Unbedeutendste nicht unbeachtet lassen, und wir wollen indessen die vermißten Gegenstände aufnehmen. Das Geld?»

       «Davon gibt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichnis», sagte Herr Dollinger. «Aber ich fürchte fast, daß wir durch das Geld selber nicht auf die Spur kommen werden, indem das Paket fast nur Gold und kleinere Banknoten enthielt, die leicht umzusetzen und schwer zu kontrollieren sind. Eher hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verraten zu sehen, da, wie ich höre, einige sehr auffällige Stücke dabei gewesen sind.»

       «Dürfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute Abend noch, wenn irgend möglich, s c h r i f t l i c h bitten?» erwiderte, nach einigem Besinnen, der Aktuar. «Diese Einzelheiten würden mich jetzt zu lange aufhalten.»

       «Kannst Du das geben, Clara?»

       «Bis auf die kleinste Nadel hinunter», sagte das junge Mädchen rasch, «besonders auffällig war eine kleine, rundum mit Brillanten besäte Brosche, ein Erbstück unserer Großmutter, und ausgezeichnet vor jedem anderen Schmuck, den ich noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen in der Mitte gefaßten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen Türkis. Mein Schmuck lag gleich dicht dahinter, den aber muß der Dieb in der Eile übersehen haben; er ist unangerührt geblieben.»

       «Das ist allerdings glücklich», sagte der Aktuar, «wäre wohl auch des Mitnehmens wert gewesen. Lag gleich dabei?»

       «Hier in dem roten Kästchen.»

       «Aber das ist auch geöffnet worden.»

       «Das? – Nein, das hab’ ich wohl selbst geöffnet, nachzusehen, ob auch alles darin sei, und nicht wieder ordentlich geschlossen. Die Haken waren allerdings auf, wenn ich mich nicht ganz irre, aber der Dieb hat keinesfalls eine Ahnung gehabt, welchen Wert das kleine, unscheinbare Kästchen enthalte, oder es stände jetzt nicht mehr da.»

       «Sehr wahrscheinlich, hm – aber Sie vergessen wohl nicht, mein Fräulein, alle diese Einzelheiten besonders zu notieren; wer weiß, ob sie nicht noch einmal wichtig werden. Ah, da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die Zigarre gefunden?»

       «Gott weiß wo sie ist!» lachte dieser. «Irgendjemand muß es doch noch der Mühe wert gehalten haben sie aufzuheben und in einer Pfeife vielleicht zu verrauchen – ich bin selber hinunter gegangen, kann sie aber nirgends mehr entdecken. Übrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde morgen ganz früh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen freilich nicht viel helfen.»

       «Man weiß nicht», sagte der Aktuar kopfschüttelnd, «je nach der Güte des Tabaks ließe sich vielleicht auf die Schicht der menschlichen Gesellschaft schließen, in der sich unser heimlicher Besuch herumtriebe. Aber das ist allerdings Nebensache; wo also ist der Dieb hereingekommen? – Hier durch diese Tür?»

       «Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Eures Schlafzimmers», sagte Herr Dollinger, «denn durch das Haus würde er sich am hellen Tage im Leben nicht getraut haben.»

       «Aber ich möchte meine Seligkeit zum Pfande setzen, daß ich den Schlüssel, der nach unserer Schlafkammer führt, ehe wir fortgingen, herumgedreht und stecken gelassen hätte, so daß von innen ein Öffnen unmöglich war.»

       «Und war die Tür noch verschlossen, wie wir zurückkamen?»

       «Nein, nur ins Schloß gedrückt, aber der Schlüssel stak darin.»

       «Hm, hm, hm – dann ist der Bursche wahrscheinlich dort hinaus», sagte der Aktuar, «zur Tür hier hereingekommen und dort zur Notröhre hinaus – hm, muß aber genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf ins Gebet nehmen müssen, denn ein g a n z Fremder kann sich die Zeit nicht so abgepaßt haben.»

       «Wo kommt der Blumenstock her?» sagte da plötzlich Clara rasch und erstaunt, auf einen sehr schönen Rosenstock deutend, der in ihrem Fenster zunächst der Tür stand. «Wer hat den jetzt hier heraufgestellt?»

       «So lange wir hier sind, niemand», rief Henkel. «War er vorher nicht da?»

       «Nicht heute Mittag, das weiß ich gewiß; aber vielleicht hat ihn eins der Dienstleute mir heimlich hereingesetzt.»

       «Heimlich? – So ?» sagte der Aktuar. «Den freundlichen Geber wollen wir also vor allen Dingen einmal herauszubekommen suchen.»

       «Es ist heute mein Geburtstag», sagte Clara leise und errötend.

       «Ohr !» meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen Lächeln. «Da tut es mir freilich leid, meine ganz ergebensten Gratulationen zu keiner angenehmeren Zeit vorbringen zu können; will eben nicht passen bei einer solchen Untersuchung, kann es aber doch auch nicht geradezu hinunterschlucken. – Ich gratuliere eben nicht zur Untersuchung.»

       «Es muß gewiß ein gesegnetes Land sein», sagte Henkel mit einem leisen, halb boshaften Lächeln, «wo die Polizei sogar witzig sein kann.»

       «Hm», meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher umdrehend, «die Polizei macht eben keinen Anspruch darauf, und ist das meistens Privateigentum. Aber wir wollen die Zeit nicht mit Allotrien vergeuden; ist nicht herauszubekommen, wer den Blumenstock hier während Ihrer Abwesenheit in das Zimmer gesetzt hat?»

       «Jedenfalls müssen die Dienstboten darum wissen», sagte der junge Henkel, «und es wird das Beste sein, sie einzeln darum zu befragen.»

       «Allerdings – Einzelverhör hat überhaupt viele Vorteile; bitte, schicken Sie einmal die Leute herauf, daß man vor allen Dingen ihre Gesichter zu sehen bekommt.»

       «Aber nicht hier, Väterchen, nicht war, nicht hier in meiner Stube?» bat Clara. «Ich würde den fatalen Gedanken im Leben nicht wieder los.»

       «Wir wollen in das untere Zimmer hinuntergehen», sagte Herr Dollinger, freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend. «Es läßt sich das dort ebenso gut abmachen als hier.»

       «Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste», warf der Aktuar ein, «aber wie Sie wünschen – nur um Eins

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