Mehnerts Fall. Peter Schmidt
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Читать онлайн книгу Mehnerts Fall - Peter Schmidt страница 10
Von da an hatten sie noch eine knappe Woche Zeit, ehe er auf die Reise ging. Er würde zu einem Treffen mit alten Sozis nach Frankreich fahren.
Tut mir leid um Mehnerts Sekretärin! dachte Iven. Sie war ein altmodisches Geschöpf, das in einem grauen Haus in der Bonner Innenstadt lebte. Er war kein Freund von Gewalttätigkeiten, doch in diesem Job ließen sie sich nicht vermeiden. Das übernahmen die Leute des Holländers.
Als Kind war ihm bei jeder kleinen Prügelei übel geworden.
Erst später hatte er erkannt, dass es sozusagen am ‚Missverhältnis von Einsatz und Gewinn’ lag. Für einen annehmbaren Zweck war er durchaus bereit, sein Leben zu riskieren – wohl eine Folge des Drills, dem man seine Generation im sozialistischen Deutschland nach dem Kriege unterzogen hatte, auch in der FDJ.
Allerdings ließen sich solche “Zwecke“ immer seltener ausmachen. Die meisten waren offenbar bloße Hirngespinste. Mit der Zeit hatte er sich an Prügeleien gewöhnt …
Störte schloss aus, dass ein Parteivorsitzender jemals ohne Sekretärin verreiste. Darauf baute ihr Plan auf. Iven war das von Anfang an nicht überzeugend erschienen.
Er hielt es für wahrscheinlich, aber nicht für sicher. Er dachte an Mehnerts Alleingänge, an seinen ausgeprägten Hang, sich irgendwann selbständig zu machen.
Das Treffen war ein trautes Beisammensein von alten Sozialisten und Parteifreunden, die aus ganz Europa angereist kamen. Austauschen von Erinnerungen, Auffrischen von Bekanntschaften.
Gewiss gab es bei solchen Gelegenheiten auch politische Gespräche; die eine oder andere Weiche wurde gestellt. Man hatte eigens ein schloss ähnliches Gebäude in Traenheim bei Straßburg angemietet.
Hanne würde Mehnerts Sekretärin während der Reise ersetzen. Das bot genügend Gelegenheit für ein Tete-à-Tete, eine “tiefe“ Beziehung. Notfalls musste man umdisponieren. Eine kritische Phase war überwunden, wenn Hanne, ohne aufzufallen, durch die Überprüfung ging. Sekretärinnen von Parteioberen wurden besonders sorgfältig überprüft. Vielleicht bog Mehnert das ab.
Kam darauf an, wie stark er sich in sie verknallt hatte. Ein Mann, der liebt, tut eine Menge närrischer Sachen. Aus einem unerklärlichen Grund –einer Art sechstem Sinn – zweifelte Iven keinen Moment daran, dass es klappen würde.
5
Sie warf einen prüfenden Blick an seiner Schulter vorbei ins Treppenhaus, in dem das Licht der Dreiminutenschaltung erloschen war.
„Wir kaufen nichts …“
Iven dachte, dass sie noch knochiger wirkte als auf den Fotos, die er gesehen hatte – aber immerhin: nicht ohne Reiz. Ihre Stimme klang weiblich.
Sie trug einen schwarzen Seidenkimono mit Goldschlangenmuster, den ein ebenfalls goldener Kunstledergürtel zusammenhielt. Sie hatte nervöse Hände.
„Also? – Noch was?“ Ihre Stimme nahm einen kehligen Klang an, weil er nicht antwortete. “Dampfen Sie ab!“
Iven setzte den Fuß zwischen die Tür, bevor es ihr gelang, sie zuzudrücken.
„Ich komme wegen – M –“‚ sagte er übertrieben deutlich artikuliert.
Das schien sie zu überraschen.
„Sie werden mich doch nicht die Treppe herunterwerfen?“
„Kommen Sie rein.“
Er folgte ihrem etwas übertrieben wackelnden Hintern in die Küche. Dabei warf er einen Blick in das Zimmer, das jenseits der Türöffnung hinter der großblumig tapezierten Korridorwand lag: Es war kleinbürgerlich ausgestattet; Nippsachen auf runden Chippendale-Tischchen, ein Rundsofa, aber übersät mit Büchern, billigen Taschenbuchausgaben und Paperbacks in Drahtregalen, auf den Ablagen und der Kommode, über der ein ungerahmtes Plakatfoto Gustav Gründgens‘ hing. Seltsame Einrichtung, dachte er. Falsch wie der ganze Hanno.
Sie schob ihm einen Stuhl hin.
„Setzen Sie sich. Haben Sie schon gegessen? – Ich meine, sind Sie doch eben erst aus Ost-Berlin …?“
Iven legte den Zeigefinger vor die Lippen und warf einen fragenden Blick zum Schlafzimmer, durch dessen Türöffnung gelber Lichtschein fiel.
„Nein, nein, da ist niemand. Ich bin allein in der Wohnung. Wir können offen sprechen.“
„Gut, kommen wir zur Sache.“
„Ja, reden wir endlich Klartext“, sagte sie, und ihre Stimme war plötzlich tief wie die eines Mannes. Ihr Klang ließ Iven einen Schauer über den Rücken laufen.
„Ich tu‘s nur wegen des Geldes. Wegen der Operation, die ihr mir bezahlt habt.“
Sie nutzte die Pause, um ihn argwöhnisch zu mustern. “Ich hab einen Freund – und jetzt auch einen Job …“
„Den wir Ihnen beschafft haben.“
„Ich bin für den Sozialismus, nicht gegen ihn. Aber ich hab was gegen Kommunisten – gegen Kommunistenschweine“, sagte sie aufgebracht.
Sie ging zum Küchenschrank, nahm ein verkorktes Gläschen heraus und schluckte mit der flachen Hand und zurückgeworfenem Kopf eine der kleinen weißen Pillen. “Gegen Bartwuchs“, sagte sie sarkastisch.
Iven betrachte ungerührt seine Fingernägel.
„Wenn Sie sich so gehen lassen, kommen wir nicht ins Geschäft“, sagte er.
„Wäre mir ganz recht. Ich pfeife auf diese Art von Geschäft.“
„Und Ihre Schulden? Die laufen über eine seriöse westdeutsche Firma.“
Er ging zum Fenster, schob die Gardine beiseite und sah auf die nachtdunkle Straße hinunter. Drei Viertel neun … Die Laterne vor dem Haus war ausgefallen… Splitter des Glaszylinders lagen auf dem Gehsteig …
Wie er sich eingestand, hatte er nicht mit Problemen gerechnet. Ihre Reaktion überraschte ihn.
„Achtundvierzigtausend Mark sind kein Pappenstiel“, sagte er vom Fenster her. “Wenn Sie heute Nacht zur Polizei oder zum Verfassungsschutz gingen – einmal angenommen – niemand würde Ihnen glauben! Wir hinterlassen keine Spuren. Das Geschäft war absolut korrekt. Es handelt sich um einen legalen Kredit, der Ihnen freundschaftshalber gewährt wurde. Diese Beziehung lässt sich nachweisen.“
„Na und?“, sagte sie kleinlaut.
Er musterte sie abschätzig. Sie hatte den Gürtel ihres Kimonos straffer gezogen und schlug die Beine übereinander. Von Anfang an schien sie es darauf angelegt zu haben, Boden zu gewinnen – das spürte er. Sie wollte soviel wie möglich herausholen. Das konnte ihm nur recht sein.
Die finanzielle Seite war kein Problem. Man plänkelte herum, lenkte Widerspruch auf einen Punkt, der längst erledigt oder völlig irrelevant war, um dem Gegenüber Gelegenheit zu geben, sich als “Partner“ zu behaupten.
„Es ist recht großzügig,