Der Springer. Helmut H. Schulz

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Der Springer - Helmut H. Schulz

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die Gnievottas ihre ruhigen Straßen, Frauen oder Mädchen an Händen haltend, denn sie lieben Frauen ganz allgemein. Kinder liefen vor ihnen her, wurden ermahnt; gerufen; Kinder sind ein Teil ihres moralischen Besitzes.

      Überall fügten sich die Gnievottas mühelos ein, so schien es dem jungen Bodo, sie sprachen mit Taxifahrern im Ton von Taxifahrern, mit Postfrauen im Ton von Postfrauen, redeten wildfremde Menschen an, die sie nie wieder treffen würden und die ihnen im Grunde gleichgültig sein konnten. Oft drängte es sie zu sagen, wir sind der und der, unser Leben ist eine Kette von Erfolgen und Misserfolgen. Sie brauchten den Beifall derjenigen, die ihnen ähnlich. Immer suchten und fanden sie scheinbar Kontakt, passten sich an, stellten sich ein.

      Ihre Arbeit war ein eigenes Kapitel. Sie hetzten vom halben Erfolg zur ganzen Niederlage, rappelten sich auf, fingen neu an, Opfer einer Welt, die sie selber schufen, ohne die sie zurückgeworfen würden in alte Zwänge.

      Aber stimmte das alles, war Gnievotta so oder anders? Der junge Bodo entsann sich Gnievottas als Autofahrer. Der Vater liebte es, flüssig zu schalten, Fahren als Geschicklichkeitsspiel. Die Spur zu wechseln, sich noch irgendwie durchzuschlängeln, das liebte er. Die er behindert hatte, antworteten mit empörtem Hupen. Das kümmerte ihn wenig. Jetzt und wahrscheinlich immer glaubte er an seine Funktion, glaubte zu steuern, und fuhr doch eingezwängt in Ströme, deren Lauf geregelt; dieses Schild, jene Wegkreuzung bezeichneten die Grenzen der Gnievottas.

      Wie lebt er, dachte der junge Bodo, eintönig, ohne Zukunft, wenigstens ohne besondere Zukunft. Jeder Tag gleicht dem vorangegangen. Er kann nicht ausbrechen. Was er leistet, ist belanglos, nicht beschrieben, und es ist vielleicht überhaupt unbeschreibbar.

      Oder Gnievotta las Zeitung, so wie er Zeitung liest, gründlich, Satz für Satz. Über den oberen Rand des Blattes lugte sein graues Stichelhaar hervor, darunter war das Gesicht Gnievottas. Die Pupillen hatten fast die gleiche Farbe wie die Augäpfel, ein blasses, kaltes Weiß, ungemein hell. Ihr Blick hatte manchmal eine erstaunliche Kraft, eine lauernde, versteckte Brutalität. Meist war der Blick offen und klar. Ein Abzug auf falsch gewähltem Fotopapier müsste Gnievotta mit leeren Augenhöhlen zeigen und zwei nadelscharfen Punkten, die sich in Wirklichkeit rasch veränderten, größer oder kleiner wurden. Diese Leere, war das der wahre Gnievotta? Über der Nasenwurzel standen zwei senkrechte Falten, von dichten Brauen fast berührt. Starke Falten liefen von der Nase bis in die Mundwinkel.

      Gnievotta auf Katjas Maschine schreibend, die nie richtig funktionierte, die stets hängte oder klemmte, deren Farbband immer ein blasses Schriftbild lieferte. Also musste Gnievotta das Farbband wechseln, die Maschine reinigen, sich darüber ärgern, dass irgendein Kamel die Schreibmaschine geölt hatte, musste Typenhebel richten. Dann schrieb er, Wort für Wort, tippte stöhnend mit beiden Mittelfingern an einem Bericht. In diesen Fällen war er nicht ansprechbar; eine Störung brachte ihn in Rage. Seine ganze Haltung drückte Anstrengung aus, der gekrümmte Rücken, die hochgezogenen Schultern; dunkles büschliges Haar sah vorn aus dem offenen Hemd heraus. Ein Stier, der Spitzen klöppelt, ist verhältnismäßig selten. Zu Katja sagte er: «Deren Sorgen da oben möchte ich haben.» Und Katja spielte auch ihre Rolle in diesem Spiel. «Wie bei uns», sagte sie, «Papierkrieg, kenne ich, einer arbeitet, Drei gucken zu.» Gnievotta lachte über diese an nichts und niemand gerichteten Floskeln. Das lag ihm. Er lachte mit weit offenem Rachen, zwei Reihen starker gelber Zähne waren zu sehen, die Wangen hohl, die Lippen rissig. Das könnte auf eine verborgene Krankheit hinweisen, aber Gnievotta war kerngesund. Ruhige, traumlose Nächte verbrachte er, auf dem Rücken schlafend, die großen Hände auf der Brust, sein Kinn sank herab, Schleimfäden sickerten aus den Mundwinkeln, er schluckte im Schlaf. So wie er schlief, so erwachte er auch, ein Ruck ging durch seinen Körper. Gnievotta streckte sich, gähnte und stand sofort auf, mürrisch, übel gelaunt.

      Es heißt, von einem Buch gehe eine große Anziehungskraft aus. Niemand, heißt es, könne lange vor einem aufgeschlagenen Buch sitzen, ohne zumindest darin zu blättern, wenn schon nicht zu lesen. Bei Gnievotta war es anders. Auch von Arbeitsgeräten geht eine große Anziehungskraft aus. Eine Maschine, die er noch nicht kannte, war für ihn wie ein Buch, das er noch nicht gelesen hatte. Ständig reparierte er Haushaltsgeräte, nörgelte über seiner Meinung nach ungeschickte Konstruktionen, verbesserte, baute um, stemmte Löcher in Wände, mörtelte, gipste, zog elektrische Leitungen, tapezierte, strich an. Telefonierte er mit Nowacki, so war seine Stimme anders als gewöhnlich. Zustimmende Bemerkungen streute er ein: «Vollkommen richtig» oder «Darum solltest du dich mal kümmern», empört, verständnisvoll, eben anpassungsfähig. Mit Nowacki telefonierte er gern, er bewunderte ihn.

      An diesem schwülheißen Sonntag sah Bodo, liefen die Gnievottas durch die Straßen, blieben vor verschlossenen Läden stehen, trafen sich, erkannten sich, schüttelten Hände, gingen in Kneipen, tranken Bier und Schnaps, schrien auf Sportplätzen, studierten Wettergebnisse, notierten enttäuscht die Zahlen der Lotterie, wieder nichts, na ja. Abends stellten sie Radios und Fernseher an, legten Schallplatten auf, umarmten Frauen, lasen, rauchten, stritten sich mit anderen Gnievottas herum.

      Wie lange geht das?

      Am Spätnachmittag verschwand die Sonne ganz. Sturm hauste in den Straßenbäumen, warf abgestorbene Äste herunter, trieb Staub vor sich her. Die Straßen leerten sich und das Wetter brach los. Ein Platzregen überschwemmte die Stadt. Der junge Bodo saß rauchend in einem überfüllten Café und genoss die Frische, die durch das offene Fenster drang.

      Am Vormittag wehte noch leichter Wind, den milchigen Himmel vermochte die Sonne nicht mehr zu durchstoßen. Über dem Waldstreifen wurde der Grauschleier so dicht, dass die Bäume wie in blaue Watte gepackt schienen. Gegen Mittag schlief das bisschen Wind ganz ein, drückende Schwüle lastete auf dem Feld. Jeder Schritt scheuchte Wolken beißlustiger Insekten auf; böse graue oder bunte dreieckige Fliegen bohrten ihre gierigen Rüssel in erhitztes Fleisch, ließen sich durch keine Handbewegung vertreiben.

      Von Stunde zu Stunde sank das Barometer, ohne dass sich der Himmel veränderte. Schlaff und bestaubt hing das Laub an den Ästen der Bäume. Die Zitterpappeln an der Straße zum Feld ließen die silbrigen Unterseiten ihrer Blätter sehen, sie vibrierten nur noch leicht. Das Feld, die ganze Natur erwartete das Unwetter.

      Etwas abseits vom Bohrfeld standen Rinder, eine kleine Herde auf verbrannter Weide. Gras fanden sie nur noch an tiefer liegenden feuchten Stellen oder unter den Bäumen, in deren Schatten der Boden nicht so ausgedörrt war. Unruhig liefen die Tiere hin und her, legten sich für einen kurzen Augenblick, um, gepeinigt von den großen Bremsen, wieder aufzuspringen, sich anzustoßen und erneut herumzuwandern. Von Hals und Nacken rieselte Blut über das Fell. Ihr Gebrüll hielt seit dem frühen Morgen dieses Sonntags an.

      Am Turm war die Schwüle noch größer, hier strahlten heiß gelaufene Maschinen Wärme ab. Kerzengerade, reglos standen Melde, Disteln und harte Gräser auf einem Boden, der wie gewachst glänzte. Alle paar Augenblicke ging einer der Leute unter den Wasserschlauch, spülte Dreck und Schweiß herunter. Lange hielt die Abkühlung nicht vor. Kasch befand sich auf der Aushängebühne, auch Laski und Gnievotta arbeiteten mit. Das heraufziehende Wetter fiel ausgerechnet in eine Arbeitsphase, bei der es um Minuten ging. Kasch trug eine leichte Jacke aus Schilfleinen, als Einziger behielt er die Sachen an, unter der Schwüle schien er nicht zu leiden. Auf seinem Gesicht zeigte sich kein Schweiß, obgleich er sich ebenso wenig schonte wie die anderen. Ein stechender Geruch erschwerte das Atmen; bei der Wärme und Trockenheit begann das Dieselöl zu gasen.

      Eine violett schimmernde Wand zog überm Wald auf, ihr folgten schwarze Wolkenberge, streiften beinahe die Baumwipfel. Schwefelgelb leuchtete der Rand des Wolkengeschiebes. Allmählich schloss sich der Himmel um einen gläsernen Fleck. Ein blaugraues schweres Dämmerlicht veränderte alle Farben. Strohblond erschienen die Haare Kaschs, aus dem dunklen Umbra seines Gesichtes schoben sich millimeterlange weiße Bartspitzen, seine untere Gesichtshälfte wirkte wie bereift.

      Sie legten eine Pause ein, stellten sich in ein großes

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