Chats. Thomas Tippner
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Da waren die blauen, diese hell schimmernden Augen, die so angenehm mit ihrem angedeuteten Lächeln harmonierten, und die hoch angesetzten, katzengleichen Kieferknochen betonten.
Der leicht geöffnete, das Weiß der Zähne durchschimmern lassende Mund, dessen weicher Schwung die Lippen ihn wie gezeichnet erschienen, ließen Daniel wieder an jene Zeit denken, als er sich dabei erwischte, sich vorzustellen, sie zu küssen.
Ich war so unendlich gerne mit ihr zusammen. Tag für Tag. Stunde für Stunde. Minute für Minute. Ich denke gerne an die Zeit zurück, die wir gemeinsam verbracht haben.
Die so unbeschwert war.
Bis die Gefühle kamen, dachte er, während er im Halbdunkel seines kleinen Arbeitszimmers saß, den Laptop vor sich geöffnet, über dessen Tastatur seine Finger eben noch geflogen waren. Bis diese blöden, verkackten, alles ruinierenden Gefühle kamen. Scheiße, Mann, warum sind sie nur gekommen?
Was sollte das?
Daniel konnte und wollte sich gegen seine Gedanken nicht wehren.
Er wollte sie spüren, jeden einzelnen Buchstaben wie ein in ihm aufleuchtendes Flammenmeer fühlen, das das Stroh seiner Empfindungen lodernd in Brand setzte und ihn dazu zwang, sich mit Dingen zu beschäftigen, die er seit Tagen beiseiteschob.
Daniel hasste es, wenn er an seiner Arbeit saß, und die Flut an Gedanken zu groß wurde.
Dass sie all seine anderen Ideen und Einfälle fortspülten und ihm keine andere Chance ließen, als sich mit ihnen zu beschäftigten.
Ich muss sie immer wieder anschauen.
Wieder und wieder.
Als würde ich mich quälen wollen, um mir vor Augen zu führen, was ich gerne hätte und was ich nicht habe.
Dazu kam, dass Jana sich nach seiner Frage nicht wieder bei ihm gemeldet hatte. Bis heute konnte er sehen, dass sie seine Nachricht gelesen hatte. Eine Antwort aber war sie ihm bis heute schuldig geblieben.
Was vielleicht besser ist, meldete sich seine vernunftbegabte Stimme, die ihn ekelerregend an die seines jüngeren, ängstlicheren Ichs erinnerte, das ihn damals immer vor Abenteuern und Möglichkeiten zu bewahren versucht hatte.
Es war jene Stimme, die ihn auch damals schon heimgesucht hatte, als er sich das erste Mal Hals über Kopf verliebte.
Ein Mädchen, wie er heute noch wusste, das ihn von dem Moment an verzaubert hatte, als er sie durch die Tür des Klassenzimmers treten sah, in dem er gelangweilt saß und darauf wartete, dass der Deutschunterricht begann. Ein Mädchen mit einem geflochtenen Pferdeschwanz, dessen pechschwarzes Haar so dicht und fest war, dass er verwirrt das Verlangen in sich aufsteigen spürte, es berühren zu wollen – zu müssen.
Dazu trug das Mädchen, Miriam Hansen, ein geblümtes, bis zu den Knien reichendes Kleid, das anfing, die in ihr erwachende Frau konturenhaft nachzuzeichnen.
Es hatte Daniel damals wie einen Blitz getroffen. Einem Einschlag gleich, der in ihm Regionen zum Vibrieren brachte, die bis heute in ihm zerrten und surrten, und immer dann zu spielen begannen, wenn er jemanden traf, den er faszinierend fand.
So wie Miriam damals. Jana heute.
Ich war ein Trottel und ich bin es noch heute, gestand er sich, als er es sich gestattete, noch einmal an Miriam Hansen zu denken. Wie er sich fühlte, als er ihr schüchternes Lächeln erkannte, das auf ihren Lippen lag, und sie verlegen den Blick senkte, weil die auf sie gerichteten Augen ihrer neuen Mitschüler, die sie unverhohlen und nur allzu deutlich musterten, ihr unangenehm waren.
„Das ist Miriam“, hatte seine Lehrerin die Neue damals vorgestellt, und dann auf einen freien Platz an Daniels Tisch gezeigt. „Da kannst du erst einmal sitzen, bis wir einen besseren Platz für dich gefunden haben!“
Den Stich, den Daniel damals spürte, war ihm noch lebendig in Erinnerungen. Ebenso das dazugehörende, ihn heimsuchende Gefühl der Peinlichkeit. Er wusste, oder er glaubte zu wissen, dass seine Lehrerin, Frau Boscop, ihn nicht mochte. Da waren die versteckten Angriffe auf ihn. Die schneidenden Worte, wenn sie über ihn sprach, oder das ihn mit Absicht drannehmen, wenn sie wusste, dass er ihr eine Antwort auf ihre Frage schuldig bleiben würde.
Er brauchte nur an den zurückliegenden Sportunterricht zu denken, als in der hintersten Ecke eine seiner Klassenkameradinnen geweint hatte, weil sie einen Ball an den Kopf geschossen bekommen hatte. Daniel, der ein leidenschaftlicher Fußballer gewesen war, und es heute ab und zu auch noch glaubte zu sein, war von Frau Boscop direkt angegriffen worden, als sie sagte: „Na, hat unser Daniel mal wieder angeben müssen, was er alles kann?“
Daniel, den heißen, senkenden Stich der Anfeindung in sich spürend, war nicht dazu imstande gewesen, dem verbalen Angriff seiner Lehrerin irgendetwas entgegenzusetzen. Zu überrascht war er gewesen und zu überrumpelt, dass sie, ohne nachzudenken, ihm die Schuld gab, wenn einer seiner Mitschüler weinte.
Und eben, weil sie ihn offensichtlich auserkoren hatte, immer und überall schlecht zu machen, trafen ihre Worte ihn unvermittelt in der Brust.
Miriam, die Frau Boscops Erwiderung ebenso verstanden hatte wie alle anderen in der Klasse, hob den Kopf. Sie schaute zu der streng aussehenden Lehrerin, deren Lächeln wie das Zuschnappen einer Hundeschnauze wirkte, und ließ sich mit einem: „Setz dich schon“, auf ihren Platz komplimentieren.
In Daniel begann das Feuer der Wut und der Liebe zu brennen.
Die Wut, das wusste er Jahre später, war nichts anderes gewesen als eine Wand, hinter der er sich verstecken und verkriechen konnte, wenn es in seinem Leben nicht so lief, wie er es wollte. Wenn er eine Möglichkeit suchte, sich zu verstecken und anderen die Schuld dafür geben konnte, dass alle Ungerechtigkeiten der Welt nur ihm widerfuhr.
So wie Frau Boscop.
Sie hatte Schuld, dass seine Noten in Deutsch schlecht waren – sie mochte ihn ja nicht.
Sie hatte Schuld, dass seine Leistungen in Mathematik dürftig waren – sie mochte ihn ja nicht.
Sie hatte Schuld daran, dass er sich nicht traute Miriam anzusprechen und sie zu fragen, ob sie Lust hätte einen Nachmittag mit ihm zu verbringen – sie mochte ihn ja nicht. Und, und das wog am schwersten, hatte sie Miriam indirekt zu verstehen gegeben, dass es in der Klasse bessere Jungen gab, mit denen sie sich einlassen sollte.
Wie hätte er sich das: „Da kannst du erst einmal sitzen, bis wir einen besseren Platz für dich gefunden haben!“, sonst erklären können?
Heute, so viele Jahre später, wusste Daniel, dass das Bullshit war, was er damals dachte. Dass es nichts weiter war, als der einfachste Weg, sich aus der Affäre zu ziehen und, anstatt sein eigenes Versagen zu analysieren, es in die Schuhe seiner damals strengen, aber dennoch fairen Lehrerin zu schieben.
Die Wut auf Frau Boscop war noch Jahre später in ihm.
Immer dann, wenn er Miriam auf der Straße traf, sie aus der Ferne betrachtete oder erst bei MeinVZ addete, oder später dann bei Twitter, Facebook und Co. betrachten und bewundern konnte. Dass er miterleben konnte, wie sie nach und nach ihre Karriere als