Studenten haben gefragt - Zeitzeugin erzählt. Ingeborg Schob

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Studenten haben gefragt - Zeitzeugin erzählt - Ingeborg Schob

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uns fern, was uns hätte bedrücken können. Wegen der Entfernung konnte das Grundstück kaum von uns genutzt werden. Nur Opa und Anna fuhren oft mit der Straßenbahn nach Langen und bearbeiteten es, säten und ernteten soviel wie möglich. Aber wer von uns hätte damals je gedacht, dass dieses Grundstück später einmal für die ganze Familie, einschließlich Opa und Anna, eine Rettungsinsel werden würde? Ganz sicher niemand aus der Familie.Der Krieg war derzeit für uns nur dadurch existent, dass es hin und wieder einmal Fliegeralarm gab und dass die Flak schoss. Weiter passierte nichts. Wir Kinder fragten schon unwillig: „Warum sollen wir denn für nichts in den Luftschutzkeller gehen?" Aber Vater klärte uns dahingehend auf: ,,Das ist zum Schutz eurer Gesundheit notwendig. Es könnte doch mehr passieren, es könnten zum Beispiel Bomben fallen, die alles zerstören. Der dabei entstehende Luftdruck ist sehr gefährlich, auch wenn man nicht direkt betroffen ist." Er schlug vor: ,,Geht nach der Entwarnung auf die Straße und sucht nach den herunter gefallenen Granatsplittern. Die sind real und zeigen euch die ernste Wirklichkeit." Es fanden sich tatsächlich zerrissene, glänzende Metallstücke, die wir wie Schätze aufbewahrten. Am Anfang des Krieges war das noch interessant, weil wir einigermaßen sorglos und unbekümmert damit leben konnten. In der ersten Zeit nach Hitlers Überfall auf Polen wurde auf dem Schulhof der Grodener Volksschule für gefallene Flieger oder Soldaten, die als Helden der Nation bezeichnet wurden, fast täglich ein Ehrenappell abgehalten. Wir Schüler mussten uns dabei klassenweise in Reih' und Glied aufstellen und nach einer kurzen Gedenkrede mit Hitlergruß zum Schluss das Lied singen : "Ich hat' einen Kameraden". Irgendwann stellte die Schulleitung diese Feierstunden ein. Es starben bedauerlicherweise zu viele Soldaten den Heldentod.

      Kapitel 04 Wir mussten nach Wesermünde umziehen

      1941 gab es eine große Überraschung, denn es hieß, unser Vater sei aus dem aktiven Wehrdienst entlassen und ab sofort dem Sperrwaffen-Kommando in Wesermünde zugeteilt worden. Er solle als kinderreicher Vater zum Schutz bei seiner Familie bleiben. Das bedeutete für uns den Umzug nach Wesermünde und damit eine riesige Umstellung was Wohnung und Schule betraf. Die neue Wohnung lag in der vierten Etage eines Mehrfamilienhauses im Jugendstil an der Westseite der damaligen Kaiserstraße. Sie war mit fünf Zimmern, Küche und Bad sehr geräumig. Die Zimmerdecken waren mit wunderschönem Stuck versehen, und das Glas der großen Jugendstilfenster im Treppenhaus hatte interessant verschlungene Motive und Strukturen. Zur Weserseite erlaubte uns ein riesiger Balkon einen herrlichen Blick über die silbrig glitzernde Weser auf die südwestlich von uns liegenden Orte Nordenham und Blexen. Direkt hinter dem Haus, in dem wir nun wohnten, verlief die gesicherte Grenzmauer zum Freihafen Bremen mit den Vorratsschuppen am Neue Hafen und dem Columbus-Bahnhof etwas nördlich davon. Das war für uns Kinder außerordentlich spannend.

      Sofort und unvorbereitet bekamen wir auch den ersten vermeintlichen Eindruck vom Krieg: An der Columbuskaje lag das große Flaggschiff des Norddeutschen Lloyd, die MS Bremen, aus der eine dicke schwarze Rauchfahne herausquoll. Ein Schiffsjunge hatte das Feuer aus Wut gelegt, weil er eine Ohrfeige bekommen hatte. Er wurde später deswegen hingerichtet. Alle Anstrengungen, das Schiff durch Löscharbeiten zu retten, schlugen fehl. Es brannte wochenlang schließlich aus. Während des Krieges hat das Wrack mit Schlagseite an der Columbuskaje gelegen, später hat man es etwas Weser aufwärts geschleppt und seitlich des Fahrwassers abgelegt.

Bild 11300 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

       Erklärung zum Bild: Die brennende MS Bremen an der Columbuskaje in Bremerhaven

      Wir schulpflichtigen Kinder wurden in der Pestalozzi-Schule, kurz nur 'Pesta' genannt, eingeschult. Nun hatten wir alle einen wesentlich kürzeren Weg von nur etwa zehn Minuten. In der Wohnung fehlte noch vieles. Eines Tages war unsere Mutter sehr aufgeregt, weil es in der Union, das war ein großer Tanzsaal an der Osterstraße, eine Auktion für Haushaltsgut geben sollte. Die Osterstraße verlief westlich parallel zur Deichstraße, und man konnte sie von der Lloydstraße aus erreichen. Diese Straße wurde nach der Ausbombung beim Wiederaufbau eliminiert, aber ein Teilstück existiert noch im Bereich nahe der Geestebrücke.

      Die Bevölkerung von Wesermünde war durch die Zeitung eingeladen worden, die Haushaltsgüter vorab zu besichtigen. Mutter und ich gingen nachmittags dorthin und fanden die schönsten Sachen vor, die man gerne in einer Wohnung hätte, um sich wohl zu fühlen: Kostbares Geschirr, edles Besteck in Silber und Gold, ausgefallene Gemälde, schöne Möbelstücke, interessante Standuhren, Wäsche, Teppiche und vieles mehr. Die Leute, die sich die Angebote ansahen, gingen langsam, aber etwas scheu herum und flüsterten nur, wenn sie sprachen. Die Stimmung der Menschen wirkte bedrückt auf mich. Niemand wollte hinterfragen, woher diese erstaunlich schönen und edlen Sachen kamen. Der Bedarf war aber so groß, dass alles in kürzester Zeit vergriffen war. Das erzählte unsere Mutter am nächsten Tag, nachdem sie einiges ersteigert hatte, während wir in der Schule waren. Unser Haushalt wurde durch Klappstühle aus edlem Holz, einer wunderschönen Renaissance-Kommode, mittelbraun mit polierter Buchenmaserung und einem Gemälde mit einem religiösen Motiv aufgewertet. Das alles passte gut ins große Wohnzimmer.

      Zwischen den Zimmern an der Frontseite des Hauses konnte man eine zweigeteilte große Schiebetür öffnen und das Wohnzimmer mit dem eleganten Esszimmer verbinden. Auf diese Weise entstand ein geräumiger Wohnbereich, der besonders an Feiertagen gerne von uns genutzt wurde. Allerdings konnte die Wohnung nur vom Wohnzimmer aus mit einem großen Ofen der Firma Esch beheizt werden. Um diesen Ofen herum spielte sich im Winter weitgehend unser Familienleben ab, weil es in den anderen Räumen sehr kalt war. Unser ältester Bruder David hatte von der Grundschule den Sprung in die Mittelschule geschafft, die damals auch in der Pesta untergebracht war. Endlich kam er in den Schoß seiner Familie zurück. Damit war die Familie wieder komplett. Zwischen David und mir entwickelte sich allerdings eine starke Rivalität. Mir war der Rang der Ältesten genommen worden. Obwohl wir uns eigentlich sehr gern mochten, hatten wir große Schwierigkeiten miteinander. Sie gipfelten schließlich darin, dass ich ihm im Streit die Blockflöte über den Kopf schlug, weil er immer meckerte, wenn ich darauf übte. Die Flöte erlitt Totalschaden. David musste mir daraufhin eine neue kaufen und dafür sein Taschengeld opfern, was er als ungerecht empfand. Das Thema war in der Familie jahrelang hoch aktuell und die Jungs schimpften darüber, dass ich Recht bekommen hatte. Außerdem spielte ich gerne mit den Spielsachen der Jungs, weil die doch viel interessanter waren als meine Puppen. Allerdings durfte keiner meiner Brüder diese anfassen, darin war ich sehr eigen. Die Puppen wurden von mir immer beschützt und behütet. Ich freute mich, wenn ich sie ansah, aber ich hatte keine besondere Lust, mit ihnen direkt zu spielen.

      Kapitel 05 Die Lebensmittel werden knapp

      Es war besonders schön, wenn sich die Familie gemeinsam um den Tisch zum Essen versammelte. Die Lebensmittelknappheit machte uns aber bereits zu schaffen. Oft gab es nicht besonders viel zu essen. Eines Mittags teilte unsere Mutter heiße Würstchen aus. Jeder von uns bekam eines davon auf seinen Teller gelegt, und alle warteten geduldig mit dem Essen, bis sich Mutter auch an den Tisch gesetzt hatte. Nur Angela hatte solch einen großen Hunger, dass sie sofort ihr Würstchen in die Hand nahm und es ganz schnell verputzte. Als Mutter endlich saß und alle anfingen zu essen, war ihr Teller bereits leer, und sie fragte ganz empört:,,Gibt es denn heute nichts als gar-nix auf den Tisch?" Alle lachten und Vater meinte nur: ,,Das hast du nun davon, wenn du nicht warten kannst!" Zum Nachtisch gab es, Gott sei Dank, noch einen von Muttis berühmten Puddingen zu essen, so dass Angela am Ende doch zufrieden war. Nur ich aß nicht gerne Pudding. Oft tauschte ich mit Vater meinen Nachtisch gegen handfestes Essen.Wir halfen bei der Versorgung der Familie mit Nahrungsmitteln mit. So passten wir zum Beispiel auf, wann das kleine Fischgeschäft bei uns gegenüber am späten Nachmittag frische Waren bekam. Dazu mussten die Jungs oben am Fenster Wache halten, bis dort frischer Granat und Räucherfisch angeliefert wurde. Sie sausten dann wie der Blitz nach unten und kauften für uns genügend davon ein, denn zum Glück brauchte man zu diesem Zeitpunkt

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