Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада
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Читать онлайн книгу Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада страница 19
Er sah übrigens höchst seltsam aus, der alte Herr. Die zierliche, kaum mittelgroße Gestalt war ganz in einen seidenen, schwarzblauen Schlafrock gehüllt, dessen Kanten mit roter Seide eingefaßt waren und der mit großen roten Holzknöpfen geschlossen war. Der alte Herr trug einen eisgrauen Kinnbart und einen stark gestutzten Bart auf der Oberlippe. Das sehr dünne, noch bräunliche Kopfhaar war sorgfältig über den bleichen Schädel frisiert, konnte aber die Blöße nicht ganz verdecken. Hinter der schmalen, goldgefassten Brille funkelten vergnügte, spöttische Augen zwischen tausend Fältchen.
»Nein, meine Herren«, sagte er zwanglos und schien dadurch eine längst begonnene und alle höchst befriedigende Unterhaltung fortzusetzen. »Nein, meine Herren, Frau Rosenthal ist nicht in der Wohnung. Aber vielleicht bemüht sich einer der jungen Herren Persicke einmal auf die Toilette. Ihr Herr Vater scheint nicht ganz wohl zu sein. Jedenfalls versucht er ständig, sich mit einem Handtuch dort aufzuhängen. Ich konnte ihn nicht davon abbringen ...«
Der Kammergerichtsrat lächelt, aber die beiden älteren Persickes verlassen so überstürzt das Zimmer, daß es schon fast komisch anmutet. Der junge Persicke ist jetzt sehr blaß und ganz nüchtern geworden. Der alte Herr, der da eben das Zimmer betreten hat und der mit solcher Ironie spricht, das ist ein Mann, dessen Überlegenheit sogar Baldur ohne weiteres anerkennt. Der tut nicht nur überlegen, der ist es wirklich. Baldur Persicke sagt fast bittend: »Verstehen Sie, Herr Kammergerichtsrat, Vater ist, gradeheraus gesagt, völlig besoffen. Die Kapitulation von Frankreich ...«
»Ich verstehe, ich verstehe vollkommen«, sagt der alte Rat und macht eine beschwichtigende Handbewegung. »Wir sind alle Menschen, nur, daß wir uns nicht gleich alle aufhängen, wenn wir betrunken sind.« Er schweigt einen Augenblick und lächelt. Er sagt: »Er hat natürlich auch alles mögliche geredet, aber wer achtet schon auf das Geschwätz eines Betrunkenen?« Wieder lächelt er.
»Herr Kammergerichtsrat!« sagt Baldur Persicke flehend. »Ich bitte Sie, nehmen Sie diese Sache in die Hand! Sie sind Richter gewesen, Sie wissen, was zu geschehen hat ...«
»Nein, nein«, sagt der Rat entschieden ablehnend. »Ich bin alt und krank.« Er sieht aber gar nicht so aus. Im Gegenteil: blühend sieht er aus. »Und dann lebe ich ganz zurückgezogen, ich habe kaum noch Verbindung mit der Welt. Aber Sie, Herr Persicke, Sie und Ihre Familie, Sie sind es doch, die die beiden Einbrecher überrascht haben. Sie übergeben sie der Polizei, Sie stellen das Gut hier in der Wohnung sicher. Ich habe mir bei meinem raschen Rundgang eben einen kleinen Überblick verschafft. Ich habe zum Beispiel siebzehn Koffer und einundzwanzig Kisten gezählt. Und anderes mehr. Und anderes mehr ...«
Er hat immer langsamer geredet. Immer langsamer. Nun sagt er leicht: »Ich könnte mir denken, daß die Ergreifung der beiden Einbrecher Ihnen und Ihrer Familie noch Ruhm und Ehre eintragen wird.«
Der Kammergerichtsrat schweigt. Baldur steht sehr nachdenklich da. So kann man es auch machen – was für ein alter Fuchs der Fromm da ist! Er durchschaut bestimmt alles, sicher hat der Vater gequatscht, aber er will seine Ruhe haben, er will nichts von dieser Sache wissen. Von ihm droht keine Gefahr. Und Quangel, der alte Werkmeister? Der hat sich nie um jemanden im Haus gekümmert, der hat nie jemanden gegrüßt, nie mit einem ein Wort gesprochen. Der Quangel ist so ein richtiger alter Arbeiter, ausgemergelt, ausgepumpt, der hat keinen eigenen Gedanken mehr im Kopf. Der macht sich bestimmt nicht unnötig Scherereien. Der ist erst recht gefahrlos.
Bleiben die beiden blöden Besoffenen, die da liegen. Natürlich kann man sie der Polizei übergeben und alles ableugnen, was der Borkhausen etwa über Anstiftung erzählt. Dem werden sie bestimmt keinen Glauben schenken, wenn er gegen Angehörige der Partei, der SS und der HJ aussagt. Und dann den Fall der Gestapo melden. Da bekommt man vielleicht ganz legal einen Teil dieser Sachen, die man sonst nur unter Gefahr an sich bringen könnte. Und hätte außerdem Anerkennung dazu.
Ein verlockender Weg. Aber vielleicht ist der andere doch noch besser, erst einmal alles auf sich beruhen zu lassen. Den Borkhausen und diesen Enno verpflastern und mit ein paar Mark losschicken. Die reden bestimmt nicht. Die Wohnung abschließen, wie sie ist, ob die Rosenthal nun zurückkommt oder nicht. Vielleicht ist später was zu machen – er hat das ziemlich sichere Gefühl, der Kurs gegen die Juden wird noch schärfer. Abwarten und Tee trinken. In einem halben Jahr kann man vielleicht schon Sachen machen, die heute noch nicht gehen. Jetzt haben sie, die Persickes, sich ein bißchen viel Blößen gegeben. Man wird nicht grade gegen sie vorgehen, aber man wird in der Partei über sie klatschen. Sie werden nicht mehr als ganz zuverlässig gelten.
Baldur Persicke sagt: »Ich möchte beinahe die beiden Kerle laufenlassen. Sie tun mir leid, Herr Kammergerichtsrat, es sind doch bloß kleine Kläffer.«
Er sieht sich um, er ist allein. Sowohl der Kammergerichtsrat wie der Werkmeister sind gegangen. Wie er es sich gedacht hat: sie wollen nichts mit der Sache zu tun haben. Das Schlaueste, was man tun kann. Er, Baldur, wird es nicht anders machen, und wenn die Brüder noch so sehr schimpfen.
Mit einem tiefen Seufzer, der all den schönen Sachen gilt, die er aufgeben muß, schickt sich Baldur an, in die Küche zu gehen, den Vater zur Besinnung und die Brüder zum Verzicht auf schon Erreichtes zu bringen.
Auf der Treppe sagt unterdes der Kammergerichtsrat zu dem Werkmeister Quangel, der ihm wortlos aus der Stube gefolgt ist: »Und wenn Sie Schwierigkeiten wegen der Rosenthal bekommen, Herr Quangel, wenden Sie sich an mich. Gute Nacht.«
»Was geht mich die Rosenthal an? Ich kenn sie gar nicht!« protestiert Quangel.
»Also gute Nacht, Herr Quangel!« und der Kammergerichtsrat Fromm verschwindet schon treppabwärts.
Otto Quangel schließt die Tür zu seiner dunklen Wohnung auf.
Nachtgespräch bei Quangels
Quangel hat kaum die Tür zum Schlafgemach aufgemacht, da ruft seine Frau Anna erschrocken: »Mach kein Licht, Vater! Die Trudel schläft hier in deinem Bett. Ich habe dir dein Bett auf dem Sofa in der Stube zurechtgemacht.«
»Ist gut, Anna«, antwortet Quangel und wundert sich über diese Neuerung, daß die Trudel durchaus in seinem Bett schlafen muß. Sonst hat sie auf dem Sofa gelegen.
Aber er sagt erst wieder was, als er sich ausgezogen hat und unter der Decke auf dem Sofa liegt. Er fragt: »Willst du schon schlafen, Anna, oder magst du noch ein Wort reden?«
Sie zögert einen Augenblick, dann antwortet sie durch die offene Tür von der Schlafstube her. »Ich bin so müde und kaputt, Otto!«
Also sie ist noch böse mit mir – warum? denkt Otto Quangel, sagt aber unverändert: »Also dann schlaf, Anna. Gute Nacht!«
Und von ihrem Bett hallt es zurück: »Gute Nacht, Otto!« Und auch die Trudel flüstert leise: »Gute Nacht, Vater!«
»Gute Nacht, Trudel!« antwortet er und legt sich auf die Seite, nur von dem Wunsche erfüllt, möglichst bald einzuschlafen, denn er ist sehr müde. Aber er ist wohl übermüdet, wie man auch überhungert sein kann. Der Schlaf will nicht zu ihm kommen. Ein langer Tag mit endlos viel Ereignissen, ein Tag, wie es ihn eigentlich noch nie in Ottos Leben gegeben hat, liegt hinter ihm.
Aber kein Tag, wie er ihn sich wünscht. Ganz abgesehen davon, daß alle Geschehnisse unangenehm waren, bis auf die Ablösung von seinem Posten in der Arbeitsfront, er haßt diese Unruhe, dieses Redenmüssen mit allen möglichen Menschen, die er insgesamt nicht ausstehen kann. Und