Winnetou. Karl May
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»Greenhorn?« antwortete ich, die Stirn in Falten ziehend, denn ich fühlte mich bedeutend verletzt. »Ich will annehmen, Mr. Henry, daß dieses Wort Euch ohne Absicht und nur so herausgefahren ist!«
»Bildet Euch doch nichts ein, Sir! Ich habe mit vollem Bedacht gesprochen; Ihr seid ein Greenhorn, und was für eins! Den Inhalt Eurer Bücher habt Ihr gut im Kopfe, das ist wahr. Es ist ganz erstaunlich, was ihr Leute da drüben lernen müßt! Dieser junge Mensch weiß genau, wie weit die Sterne von hier entfernt sind, was der König Nebukadnezar auf Ziegelsteine geschrieben hat und wie schwer die Luft wiegt, die er doch nicht sehen kann! Und weil er dies weiß, bildet er sich ein, ein gescheiter Kerl zu sein! Aber steckt die Nase ins Leben, versteht Ihr mich, so ungefähr fünfzig Jahre ins Leben hinein; dann werdet Ihr, aber auch nur vielleicht, erfahren, worin die richtige Klugheit besteht! Was Ihr bis jetzt wißt, ist nichts ist gar nichts. Und was Ihr bis jetzt könnt, ist noch viel weniger. Ihr könnt ja nicht einmal schießen!«
Er sagte dies in einem außerordentlich verächtlichen Tone und mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er seiner Sache förmlich sicher sei.
»Nicht schießen? Hm!« antwortete ich lächelnd. »Ist dies vielleicht die Frage, welche Ihr mir vorlegen wolltet?«
»Ja, die ist es. Nun antwortet doch einmal!«
»Gebt mir ein gutes Gewehr in die Hand, so will ich antworten, eher nicht.«
Da legte er den Büchsenlauf, an welchem er schraubte, weg, stand auf, trat nahe an mich heran, fixierte mich mit verwunderten Augen und rief aus:
»Ein Gewehr in die Hand, Sir? Wird mir nicht einfallen, ganz und gar nicht! Meine Gewehre kommen nur in solche Hände, in denen ich mit ihnen Ehre einlegen kann!«
»Solche hab ich,« nickte ich ihm zu.
Er sah mich noch einmal, und zwar von der Seite an, setzte sich wieder nieder, begann wieder an dem Laufe zu arbeiten und brummte vor sich hin:
»So ein Greenhorn! Könnte mich wirklich wild machen mit seiner Dreistigkeit!«
Ich ließ ihn gewähren, denn ich kannte ihn, zog eine Zigarre hervor und brannte sie an. Dann blieb es wohl eine Viertelstunde lang still zwischen uns. Länger aber konnte er es nicht aushalten; er hielt den Lauf gegen das Licht, sah hindurch und bemerkte dabei:
»Schießen ist nämlich schwerer als nach den Sternen gucken oder alte Ziegelsteine von Nebukadnezar lesen. Verstanden? Habt Ihr denn jemals ein Gewehr in der Hand gehabt?«
»Ich denke.«
»Wann?«
»Schon längst und oft.«
»Auch angelegt und abgedrückt?«
»Ja.«
»Und getroffen?«
»Natürlich!«
Da ließ er den Lauf, den er geprüft hatte, rasch sinken, sah mich wieder an und meinte:
»Ja, getroffen, natürlich, aber was?«
»Das Ziel, ganz selbstverständlich.«
»Was? Wollt Ihr mir das im Ernste aufbinden?«
»Behaupten, aber nicht aufbinden; es ist wahr.«
»Hol Euch der Teufel, Sir! Aus Euch wird man nicht klug. Ich bin überzeugt, daß Ihr an einer Mauer vorbeischießen würdet, und wenn sie zwanzig Ellen hoch und fünfzig Ellen lang wäre, und doch macht Ihr bei Eurer Behauptung ein so ernstes und zuversichtliches Gesicht, daß einem darüber die Galle überlaufen könnte. Ich bin kein Knabe, dem Ihr Stunde gebt, verstanden! So ein Greenhorn und Bücherwurm, wie Ihr seid, will schießen können! Hat sogar in türkischen, arabischen und andern dummen Scharteken herumgestöbert und will dabei Zeit zum Schießen gefunden haben! Nehmt doch einmal das alte Gun da hinten vom Nagel, und legt es an, als ob Ihr zielen wolltet! Es ist ein Bärentöter, der beste, den ich jemals in den Händen gehabt habe.«
Ich ging hin, langte die Büchse herab und legte sie an.
»Halloo!« rief er aus, indem er aufsprang. »Was ist denn das? Ihr geht ja mit diesem Gun wie mit einem leichten Spazierstocke um, und doch ist es das schwerste Gewehr, welches ich kenne! Besitzt Ihr denn eine solche Körperkraft?«
Anstatt der Antwort nahm ich ihn unten bei der zugeknöpften Jacke und bei dem Hosenbund und hob ihn mit dem rechten Arm empor.
»Thunderstorm!« schrie er auf. »Laßt mich los! Ihr seid ja noch weit kräftiger als mein Bill.«
»Euer Bill? Wer ist das?«
»Er war mein Sohn, der lassen wir das! Er ist tot, wie die Andern auch. Er versprach, ein tüchtiger Kerl zu werden, wurde aber während meiner Abwesenheit mit ihnen ausgelöscht. Ihr seid ihm ähnlich von Gestalt, habt beinahe dieselben Augen und auch denselben Zug um den Mund; darum bin ich Euch na, das geht Euch ja doch nichts an!«
Der Ausdruck tiefer Trauer hatte sich über sein Gesicht gebreitet; er fuhr mit der Hand über dasselbe und fuhr dann in munterem Tone fort:
»Aber, Sir, bei Eurer Muskelkraft ist es wirklich jammerschade, daß Ihr Euch so auf die Bücher geworfen habt. Hättet Euch körperlich üben sollen!«
»Habe ich auch.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Boxen?«
»Wird drüben bei uns nicht getrieben. Aber im Turnen und Ringen mache ich mit.«
»Reiten?«
»Ja.«
»Fechten?«
»Habe ich Unterricht erteilt.«
»Mann, schneidet nicht auf!«
»Wollt Ihr es versuchen?«
»Danke; habe genug von vorhin! Muß überhaupt arbeiten. Setzt Euch wieder nieder!«
Er kehrte zu seiner Schraubenbank zurück, und ich tat dasselbe. Die nun folgende Unterhaltung war eine höchst einsilbige; Henry schien sich in Gedanken mit irgend etwas Wichtigem zu beschäftigen. Plötzlich sah er von der Arbeit auf und fragte:
»Habt Ihr Mathematik getrieben?«
»War eine meiner Lieblingswissenschaften.«
»Arithmetik, Geometrie?«
»Natürlich.«
»Feldmesserei?«
»Sogar außerordentlich gern. Bin sehr oft, ohne daß ich es notwendig hatte, mit dem Theodolit draußen herumgelaufen.«
»Und könnt messen, wirklich messen?«
»Ja.