Vom verzauberten Hexer in der Schildkröte. Carmen Sternetseder-Ghazzali
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Unabhängig davon stelle man sich die Frage lieber nicht, ob die restlichen 2 000 Menschen wirklich islamistische Terroristen gewesen sind. Schließlich ist bekannt, dass sich pakistanische Hirten und Bauern in jenem drohnenumkämpften Landstrich oftmals wie Taliban kleiden, um von den wirklichen Taliban in Ruhe gelassen zu werden.
Das Problem im Drohnenkampf gegen die Taliban ist das Problem aller Kriege: Die Drohnenpiloten nehmen für die Tötung einzelner Kriegsfeinde die Tötung vieler unschuldiger Menschen in Kauf. Das ist nur möglich, wenn die Piloten diese Menschen als weniger wert und menschlich betrachten als sich selbst.
Damit das so ist, gibt es die Gehirnwäsche durch Feindbilder. Wie das in Diktaturen abläuft, davon berichten beispielsweise später interviewte Profi-Folterer, die während ihrer Ausbildung permanent mit Filmmaterial und suggestiven Nachrichten gefüttert wurden, bis sie wie ein dressierter Hund auf den vermeintlichen Feind reagieren konnten.
Bei den Drohnenpiloten genügt gewiss schon alleine der Verweis auf die Gefahr, die seit dem 11. September in der Welt gärt.
Neben der Entmenschlichung des Feindes erleichtert außerdem der klinische Charakter des Drohnenkrieges das Töten. So unblutig dieser Krieg in New Mexico auf der einen Seite ist, so zerfetzt er auf der anderen Seite Menschen, bei deren Sterben die Drohnenpiloten aus sicherer Distanz bequem zuschauen können. Es fehlen nur die gurgelnden und blubbernden Geräusche, die man aus Computerspielen kennt, wenn Menschen sterben.
Aber der Drohnenkrieg hat nur scheinbar sehr viel mehr mit einem Computerspiel wie Counter-Strike zu tun als mit realer Kriegsführung, tatsächlich wissen die Drohnenpiloten sehr genau, dass sie reale Menschen töten. Um ihre Opfer aber als primitiv, tierisch und weniger wert betrachten zu können, müssen sie erst eine Art Gehirnwäsche über sich ergehen lassen, in der die realen pakistanischen Menschen zu stummen, aber gefährlichen Objekten gemacht werden.
Für die Tötung von Demokratiefeinden nimmt der Drohnenpilot nach der Gehirnwäsche den Tod von Zivilisten in Kauf, weil sie für ihn nichts weiter als stereotype Figuren in einem gerechten Krieg sind. Stereotype Figuren im Sinne von bösen Wilden, primitiven Untermenschen eben, die mit ihrer provozierend anderen Lebensweise unsere Zivilisation gefährden.
Eine Drohne namens Mq-1 Predator kostet 4,5 Millionen Dollar, dafür kann sie auf einer Höhe von über 7 000 Metern über 3 700 Kilometer fliegen und eine enorme Raketenlast tragen. Auch wenn Krieg immer teurer und zielgenauer wird, human wird er niemals sein.
Im Januar 2012 demonstrierten rund 100 000 Menschen aus Karachi gegen die Drohnenangriffe, von denen sie sich zutiefst bedroht fühlen. Obwohl sie in keinster Weise mit den Taliban sympathisieren, empfinden sie es als Zumutung, dass ihr Leben nunmehr in doppelter Weise gefährdet ist. Vom Regime der Taliban und von der US-Regierung.
Aber für viele Drohnenpiloten sind die demonstrierenden Menschen aus Karachi und die Taliban irgendwie ein und dasselbe. Schließlich nehmen sie notfalls auch deren Tod in Kauf. Sie aber zu lehren, andere Kulturen differenzierter zu betrachten, widerspräche dem Wesen des Krieges.
Krieg braucht Feindbilder und die sind immer stereotyp.
Niemals darf ein Soldat die Personen im Fadenkreuz als Menschen betrachten, die genauso schutzbedürftig, lebensfreudig und voller Sehnsucht nach friedlichen Verhältnissen sind wie er selbst. Er muss nur das Böse sehen, das Karzinom, ihm gilt sein Vernichtungswille, dem gefährlichen, bösen Untermenschen. Er ist das Sinnbild des Bösen, das zerstörerische und feindliche Element der eigenen bestehenden Ordnung. Stereotype Denkschablonen gehören daher zum Anfang aller Kriege.
In einer friedlichen Welt taugen sie allerdings nicht viel. Im Gegenteil, sie schaffen Unfrieden, sorgen für Missverständnisse und produzieren eine Kultur der Vorurteile und Nörgelei.
Rousseaus Träume vom edlen Wilden
Dreiunddreißig Jahre nach Hobbes′ Tod geboren, war auch Rousseau ein fleißiger Leser von ethnografischen Berichten. Aber da man ja bekanntlich seine Suche danach ausrichtet, was man finden will, studierte Rousseau nicht die Werke, mit denen Hobbes sich begnügte, sondern knüpfte sich neben den englischen Reisebeschreibungen und den spanischen und portugiesischen Bordbüchern mit Gewissheit vorrangig die Werke seiner Landsleute Du Tertres, Prévost und Lahontan vor.
Von allen dreien übertreibt es Louis-Armand Baron de Lahontan in seinem fiktiven Dialog Gespräche mit einem Wilden aus dem Jahre 1703 am meisten. 1666 geboren, kam Lahontan als junger Mann nach Kanada, um dort als Offizier in der französischen Kolonialarmee zu dienen. Damals besiedelten die Huronen Kanada. Ihr Häuptling hieß Kondiaronk. Als Lahontan ihm begegnete, änderte das seine Gesinnung von Grund auf. Denn das offenbar friedliche Dasein in freier Natur erschien ihm tausendmal erstrebenswerter als das stressige und von Zwängen beherrschte Leben in der französischen Metropole. Er idealisierte das Leben der Huronen.
In seinen Dialogues Curieux schrieb er seine Ideen vom freien, friedlichen Naturleben in Form fiktiver Gespräche mit einem Wilden namens Adario nieder. Adario lebte aus seiner Sicht das wahre, edle und vor allem richtige Leben.4
Adario war niemand anderes als Kondiaronk, der Häuptling der Huronen. Lahontan schuf mit Adario den ersten edlen Wilden, der in Figuren wie dem Südseehäuptling Papalagi, Tarzan oder Winnetou bis heute weiterlebt. Diese Figuren sind pure Illusionen, dazu da, uns unter die Nase zu halten, wie glücklich wir hätten sein können, wenn alles ganz anders wäre. Hätte man Kondiaronk gefragt, was ihm so alles an seinem Leben missfällt, wäre ihm bestimmt so einiges eingefallen. Aber das hat niemand.
In seiner 1755 publizierten Schrift Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen konstruiert Rousseau (1712-1778) auf der Basis dieser Schriften eine spekulative Evolutionsgeschichte, an deren Anfang er den edlen Wilden (á la Adario) als idealtypische und zivilisationskritische Figur setzt. Als leidenschaftslosen, selbstgenügsamen, glücklichen, instinktgeleiteten und friedfertigen Naturmenschen mit nur einer Schwäche: Ihm fehlt die Gabe, sein Tun zu reflektieren. Seine Instinkte sind die Impulse, nach denen er handelt. Sonst aber ist er uns weit voraus. Um das zu verstehen, müssen wir Rousseau weit zurück in unsere eigene Vergangenheit folgen.
Einst soll es laut ihm eine Zeit gegeben haben, in der wir Menschen noch alleine als isolierte, bedürfnislose, sprachlose Wesen ohne Behausung durch die Wildnis tigerten, die Früchte der Natur aufschmatzten, so wie sie uns von den Bäumen entgegensprangen. Werkzeug, Kriege, Gemeinschaftssinn und die Kunst des Feuermachens waren uns noch fremd. Aber dann erkannten wir, dass es besser war, gemeinsam zu jagen und schlechtem Wetter zu trotzen als alleine. So schlossen wir uns mit anderen zu noch unstrukturierten Horden zusammen. Noch immer stillten die wilden Tiere und die Früchte von den Bäumen unseren Hunger, aber etwas änderte sich in unserem Bewusstsein.
Durch die Erfindung von Werkzeugen und den Feuergebrauch gelang es uns immer besser, die Wildnis um uns herum zu beherrschen. Wir waren den Unberechenbarkeiten der Natur, den Witterungen und den Wildtieren nicht mehr ausgeliefert und wurden arrogant. Wir begriffen nämlich, dass es zwischen uns und der Tierwelt einen Unterschied gab, dass sich unsere Menschenwelt von der Tierwelt abhob.
Wir waren plötzlich nicht mehr Teil der Natur, sondern teilten sie ein, klassifizierten und zähmten Flora und Fauna und wurden in einem weiteren Schritt sesshaft. Auf unseren Äckern