etwas an zu fangen. Ich verstehe ihn sogar. Joachim studiert, er mochte mich wohl, aber lieben? Genau genommen, ist er sich keiner Schuld bewusst. Wir beschlossen, es seinen Eltern zu erzählen, aber heiraten wollen wir nicht. Das Wochenende naht und wie gewohnt fahren wir nach Nolte. Wer sagt nun wem was? Joachim hat offensichtlich keinen Bock mit seinem Vater zu sprechen, oder nicht die Traute. Und ich, ich will mich nicht zu meiner Schwangerschaft äußern. Wie das Leben so spielt, fragt mich Joachims Mama (welche ich übrigens ungemein schätze), „Sag mal Judith bist du schwanger?“ Tja, da falle ich aus allen Wolken. Getroffen auf den Punkt genau. „Wieso, sieht man das?“ Frau Inge schmunzelt, „Ich mein nur so.“ Soll ich nun lügen? Lügen ist eine Schwäche von mir. So reiße ich mich ganz doll zusammen und nickte nur. Frau Inge strahlt über das ganze Gesicht und läuft umgehend zu ihrem Mann. „Ingo, wir werden Oma und Opa. Stell dir nur vor. Ist das nicht schön?“ Herr Inge stutzt, „Wie, was, wer wird Opa? Versteh ich nicht.“ Herr Inge scheint etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Ihm bekommt diese Nachricht nicht gut. Er setzt sich in seinen Lieblingssessel und bittet um eine genaue Aufklärung. Die Mama von Joachim schaut auf uns beiden. Und wir zwei Beide stehen wie kleine ungezogene Schulkinder vor dem Rektor. „Nun, höre ich bald was? Kinder machen ist wohl leichter“, mahnt uns Herr Inge. Wie Recht er doch hat. Letztendlich erzähle dann ich. „a, ich bin wohl in anderen Umständen. Von Joachim. Aber wir wollen nicht heiraten. Bloß gute Freunde bleiben.“ Oh mein Gott! Das Gesicht von Ingo! Was habe ich von mir gegeben? Wie ein Donnerwetter ergießt sich der Redeschwall des alten Herrn über unsere Häupter. „Nicht heiraten? Wo gibt es denn so etwas? Wie denkt ihr euch das? Mein guter Ruf! Schließlich bin ich Direktor eines sozialistischen Betriebes und dass hier vor Ort. Nee, nee, so geht das nicht.“ Puh, ich mache dicke Backen. Wer ist hier schwanger? Ich, oder der Papa von Joachim. Wütend knuffe ich Joachim, der schaut mich an wie ein Nilpferd und schweigt beharrlich. Von ihm ist kein Widerspruch zu erwarten, dass ist mir klar. Seine Mimik verrät alles. Mamasöhnchen denke ich nur. Ich werde das schon regeln. Zum Leidwesen von Herrn Inge und zu meinem Glück, ist Abendbrotzeit. Thema verschoben. Wie schön, ich sitze an meiner Maschine und grübele. Tief ganz tief bin ich in meinen Gedanken versunken. Wie lang mein Meister bereits hinter mir steht, kann ich nicht sagen. Plötzlich klopft mir jemand auf die Schulter und meint, „Judith, dein Container ist voll!“ Vor Schreck lasse ich dann den Deckel der Dose fallen. Ich stehe heut an der Maschine für Butterdosenoberteile. Hartplaste zerspringt wie Glas, wenn es auf die Erde fällt. „Man Mädchen, dich hat es aber erwischt.“ Der Meister stoppt meine Maschine und bittet mich zu ihm ins Büro. „So setz dich und nun mal los. Was hast du? Bist du schwanger, oder warum benimmst du dich so seltsam.“ Unruhig nestele ich an meinen Fingern. Wohl ist mich nicht. Ausgerechnet mein Meister fragt mich, ein Mann. Konnte es nicht eine Frau sein? Ich senke den Kopf und nicke nur. „Haste die Sprache verloren? Man Mädchen ein Kind kriegen ist doch schön. Oder nicht? Wir brauchen jungen Nachwuchs für unser Land.“ Nun hebe ich den Kopf und schaute meinen Meister entsetzt an. Auch noch diese Masche. Mir ist doch in diesem Augenblick der Sozialismus egal. Ich bekomme ein Kind und finde den Zeitpunkt und den Erzeuger einfach unpassend. Das aber traue ich mich nicht laut zu sagen. „Wir helfen dir doch. Kommst erst einmal aus dem Wohnheim raus und ziehst in eine Wohngemeinschaft. Und so lange du kannst, bleibst du an den Maschinen und später gehst halt in die Wäschekammer. Und nun guck nicht so traurig. Wird schon.“ Sachte schiebt mich mein Meister aus dem Büro. Ich gehe zu meiner Maschine zurück und arbeite weiter. Wer versteht mich schon. Gerade hat mein Leben erst begonnen und nun soll es schon wieder vorbei sein? Mein Meister gab mir den Rat endlich eine Frauenärztin aufzusuchen. Am Nachmittag werde ich das denn tun. Neues Problem. Ich kenne außer der Betriebsärztin keinen einzigen Doktor in der Stadt. Wen soll ich fragen, ohne auf dumme Bemerkungen zu stoßen. In Lankow angekommen, wird meine Frage wie von allein beantwortet. Da steht es Poliklinik! Jeden Tag fahre ich an ihr vorbei, wenn ich zur Arbeit muss. Ja und was eine Poliklinik ist, weiß ich aus meiner Heimatstadt. Hier haben verschiedene Ärzte und Doktoren ihre Praxen angesiedelt. An einer riesigen Informationstafel erlese ich, wo die Frauenärztin zu finden sei. Aha, eine Frau Brechinsfeld ist Zielobjekt. An der Anmeldung wartet eine Menschenschlange so lang wie Samstag beim Fleischer. Da gab es dann Kotelett und Rinderrouladen. So reihe ich mich missmutig ein. Geschafft, endlich bin ich dran. „Ich möchte zur Frauenärztin, bitte“, reiche meinen SV- Ausweis durch die Klappe. Die Dame dahinter blättert in meinem Ausweis und fragt mich, ob ich schon mal da war. „Nein, bin neu in der Stadt“, gebe ich super höfflich zur Antwort. „Ja dann gebe ich ihnen einen Termin, heut ist die Frau Doktor nicht da.“ Da ich nicht sofort antworte, sondern überlege, werde ich von hinten gedrängelt. „Nun komm Mädchen, mach hinne, wir haben keine Zeit.“ Langsam drehe ich mich um und schaue, wer da keine Zeit hat. Oh, da haben viele keine Zeit, mich treffen bitter böse Blicke. Schnell lasse ich mir meinen Ausweis geben und entfliehe förmlich der Poliklinik. Was es in Lankow gibt, gibt es sicher in den anderen Stadtteilen auch. Ich fahre mit der Bahn zum Leninplatz. Am Pfaffenteich entlang abbiegend in die Röntgenstraße finde ich, was ich suche. Auch hier muss ich erst zur Anmeldung. Das Haus ist uralt, es muffelt unangenehm. Die Fußbodenkacheln und auch die großen Flügeltüren erinnern an schönere Tage. „Bitte schön, was wünschen sie?“ Oh, doch so nett! „Ja, ich möchte zu einer Frauenärztin, bin aber neu in der Stadt.“ „Wo wohnen sie denn?“ „In Lankow“, antworte ich. „Das tut mir leid, dann können sie hier nicht angenommen werden. Sie müssen schon in ihrem Stadtteil zum Arzt, nicht hier.“ Warum denn das? Zunächst begreife ich es nicht. „Wieso kann ich nicht hier zur Frauenärztin, wenn ich nun mal hier bin?“ Die nette Dame hinter dem Schalter wird plötzlich unangenehm laut. „Haben sie was mit den Ohren? Ich sagte doch, da wo sie wohnen, müssen sie auch zum Arzt. Und nun gehen sie bei Seite, andere möchten auch noch.“ Damit bin ich abgefertigt. Draußen vor der Tür überlege ich, was ich nun tun soll. Am nächsten Tag, gleich nach der Arbeit stehe ich wieder in der Anmeldung der Poliklinik in Lankow. Was für ein Glück aber auch. Die Frau Doktor ist heut anwesend. So setze ich mich, nach dem ich angemeldet bin, im Warteraum hin. Es sitzen nur ein paar wenige Patienten hier. Natürlich nur Frauen. Um meine Unruhe zu verbergen, lese ich Zeitung. Eine Schwester bittet mich ins Behandlungszimmer. „Ihr Namen, wann geboren, wie alt? Dann können sie in die Kabine gehen, Unterkörper freimachen, sie werden gerufen.“ So schnell reagiere ich nicht. Da ich aber allein im Zimmer mich befinde, bin wohl ich gemeint. Mechanisch begebe ich mich in die Kabine, entkleide mich aus und freue mich über meinen Unterrock. So find ich mich nicht ganz so unbekleidet. Und das dauert und dauert, mir wird langsam kalt. Die Zeit in der Kabine wird mir zu lang. Vorsichtig will ich die Tür zur Doktorin aufmachen und stelle fest, die ist verriegelt. Na wie schön. Wenn ich nicht gleich aufgerufen werden würde, wollte ich mich anziehen und gehen. Das hat die Doktorin wohl gehört. Ein Klick, die kleine Tür springt auf und ich werde hereingebeten. „Setzen sie sich darauf. Was haben sie für Probleme?“ Noch über Akten gebeugt, spricht Frau Doktor mit mir. Wie höfflich. „Ich habe seit drei Monaten meine Regeln nicht mehr. Ich glaube, ich bekomme ein Baby.“ „ Das werden wir sehen. Dann wollen wir mal sehen. Setzen sie sich darüber“ Ich schaue herüber. Dieser Untersuchungsstuhl sieht nicht nur unangenehm aus, die ganze Prozedur ist es auch. „Sie können sich wieder anziehen und dann kommen sie zu mir.“ Im Eiltempo steige ich in meine Klamotten, froh darüber wieder angezogen zu sein und setze mich auf den mir angewiesenen Stuhl. Jetzt erst schaut die Frau mich richtig an. Während ich auf die Fragen der Frau Doktor warte, umgarnt mich ein seltsamer Geruch. Wenn ich nicht wüsste, dass ich in einem Arztzimmer sitze, würde ich behaupten es rieche nach Alkohol. Vorsichtig versuche ich diesen Geruch mit meiner Nase zu enttarnen. „So sie sind im vierten Monat schwanger. Warum kommen sie erst heut? Eine Unterbrechung ist zu spät, das ist ihnen doch klar.“ Nun habe ich es raus. Diese Frau stinkt definitiv nach Schnaps! Na super, so etwas ist Ärztin. „Ich möchte mein Baby haben.“ „Schön, schön, das höre ich nicht so oft. Seitdem die Unterbrechung in unserem Staat erlaubt ist, kommen viele Frauen zum Schwangerschaftsabbruch.“ Für mich völlig neu und völlig uninteressant. Ich erhalte einen Schwangerenausweis und eine Menge Anweisungen dazu. „Einmal im Monat kommen sie zu mir in die Sprechstunde, reine Routineuntersuchungen. Haben sie Probleme, kommen sie gleich. So und nun gehen sie noch zur Blutentnahme und das war es dann. Bis zum nächsten Mal.“ Kalter Wind schlägt mir entgegen. Regungslos stehe ich vor der Poliklinik und beobachte die Menschen. Weihnachten steht vor der Tür. In der Kaufhalle gegenüber sehe ich eine Menschenschlange. Es