Die toten Seelen. Nikolai Gogol

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Die toten Seelen - Nikolai Gogol

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sich zwar etwas schief, doch nicht ohne Anmut verbeugte. Hier lernte er auch den sehr höflichen und zuvorkommenden Gutsbesitzer Manilow kennen und den etwas plump aussehenden Ssobakewitsch, der ihm sofort auf den Fuß trat und sagte: »Bitte um Vergebung.« Sofort reichte man ihm eine Karte für eine Whistpartie, die er mit der gleichen höflichen Verbeugung annahm. Sie setzten sich an den grünen Tisch und blieben bis zum Abendessen sitzen. Alle Gespräche hörten sofort auf, wie das immer der Fall ist, wenn man sich endlich an eine ernste Arbeit macht. Der Postmeister war zwar sehr gesprächig, aber auch er nahm, sobald er die Karten in der Hand hatte, einen nachdenklichen Ausdruck an, bedeckte die Oberlippe mit der Unterlippe und behielt diese Stellung während des ganzen Spiels. Wenn er eine Figur ausspielte, so schlug er mit der Hand fest auf den Tisch und sagte dabei, wenn es eine Dame war: »Geh, alte Popenfrau!«, war es aber ein König, so hieß es: »Geh, Tambower Bauer!« Der Gerichtsvorsitzende aber pflegte zu sagen: »Dem gebe ich eins auf den Bart! Der gebe ich eins auf den Bart!« Zuweilen entfuhren ihnen, wenn sie die Karten so auf den Tisch schlugen, Ausdrücke wie: »Ach! Nobel geht die Welt zugrunde! Wenn man nicht weiß, was man ausspielen soll, so spielt man eben Schellen!« Oder einfache Ausrufe wie: »Herz! Gebrochene Herzen! Grün!« oder: »Grüner Junge! Grünschnabel!«, lauter Namen, die sie in ihrem Kreise den Farben beigelegt hatten. Nach Beendigung einer jeden Partie gerieten sie, wie das so üblich ist, in Streit. Auch unser Gast stritt mit, machte es aber so kunstvoll, daß alle ihn zwar streiten hörten, aber zugeben mußten, daß er es auf eine sehr angenehme Manier machte. Niemals sagte er: »Sie spielten aus«, sondern immer: »Sie waren so freundlich, auszuspielen; ich hatte die Ehre, Ihre Zwei zu stechen!« und dergleichen. Um seine Gegner noch versöhnlicher zu stimmen, reichte er ihnen seine silberne Schnupftabaksdose mit Emaille, auf deren Grunde man zwei Veilchen liegen sah, die er des Aromas wegen hineingelegt hatte. Die Aufmerksamkeit des Fremden wurde ganz besonders von den Gutsbesitzern Manilow und Ssobakewitsch gefesselt, von denen schon oben die Rede war. Er nahm sogar sofort den Kammervorsitzenden und den Postmeister auf die Seite und erkundigte sich nach diesen beiden. Die Fragen, die er stellte, zeugten nicht nur von Neugierde, sondern auch von einer gewissen Gründlichkeit, denn er erkundigte sich vor allen Dingen, wie viele leibeigene Seelen ein jeder von ihnen besitze und in welchem Zustande sich sein Gut befinde; dann erst fragte er nach dem Vor- und Familiennamen. In kürzester Zeit brachte er es fertig, alle Herzen zu bezaubern. Der Gutsbesitzer Manilow, ein noch recht junger Mann, mit Augen so süß wie Zucker, die er, sooft er lachte, zusammenkniff, war ganz hin. Er drückte ihm sehr lange die Hand und bat ihn inständig, ihm auf dem Lande die Ehre seines Besuches zu erweisen, wobei er erwähnte, daß das Gut nur fünfzehn Werst von der Stadtgrenze entfernt sei, worauf Tschitschikow mit höflichem Kopfneigen und aufrichtigem Händedruck erwiderte, daß er dieser Einladung nicht nur mit dem größten Vergnügen Folge leisten, sondern dies sogar für seine heiligste Pflicht halten werde. Ssobakewitsch sagte etwas lakonisch: »Auch ich bitte Sie darum«, und scharrte dabei mit dem Fuß, der mit einem Stiefel von so gewaltiger Größe bekleidet war, daß man wohl kaum einen zweiten, diesem Stiefel entsprechenden Fuß finden könnte, besonders heute, wo die Recken in Russland im Aussterben sind.

      Am folgenden Tage begab sich Tschitschikow zum Mittagessen und einer Abendunterhaltung beim Polizeimeister, wo man sich um drei Uhr nachmittags an den Whisttisch setzte und bis zwei Uhr nachts spielte. Hier lernte er unter anderem den Gutsbesitzer Nosdrjow kennen, einen sehr geriebenen Herrn von etwa dreißig Jahren, der ihn gleich nach den ersten drei oder vier Worten zu duzen anfing. Mit dem Polizeimeister und dem Staatsanwalt stand Nosdrjow gleichfalls auf dem Duzfuße und in einem recht familiären Verhältnisse; als aber das große Spiel begann, verfolgten der Polizeimeister und der Staatsanwalt sehr genau alle seine Stiche und beachteten jede Karte, die er ausspielte. Den nächsten Abend verbrachte Tschitschikow beim Kammervorsitzenden, der seine Gäste, darunter auch zwei Damen, in einem ziemlich fettigen Schlafrock empfing. Dann machte er eine Abendunterhaltung beim Vizegouverneur, ein großes Diner beim Branntweinpächter und ein kleineres Diner beim Staatsanwalt mit, das übrigens dem großen ebenbürtig war; er wohnte auch nach der Messe dem Frühstück beim Bürgermeister bei, das sich ebenfalls mit dem Diner messen konnte. Mit einem Worte, er brauchte kaum eine Stunde zu Hause zu bleiben und kam in den Gasthof, nur um zu schlafen. Der Fremde fand sich in jede Situation und zeigte sich als erfahrener Weltmann. Wovon auch die Rede war, er verstand es immer, sich am Gespräch zu beteiligen: kam die Rede auf Pferdezucht, so sprach er von Pferdezucht; kam sie auf gute Hunde, so machte er auch hierüber einige treffende Bemerkungen; unterhielt man sich über eine vom Rentenamt angestellte Untersuchung, so zeigte er, daß ihm auch die gerichtlichen Kunstgriffe nicht unbekannt waren; war die Rede vom Billardspiel, so erwies er sich auch hier als Kenner; sprach man von der Tugend, so verstand er sehr schön, selbst mit Tränen in den Augen, auch von der Tugend zu sprechen; vom Schnapsbrennen – auch im Schnapsbrennen kannte er sich aus; von den Zollwächtern und Zollbeamten sprach er so, als ob er selbst ein Zollwächter oder Zollbeamter gewesen wäre. Das Bemerkenswerteste war aber, daß er alles in eine gewisse Würde zu kleiden verstand und einen feinen Takt zeigte. Er sprach weder zu laut noch zu leise, sondern gerade, wie es sich gehört. Mit einem Worte: er war ein in jeder Hinsicht anständiger Mensch. Alle Beamten waren über die Erscheinung dieser neuen Persönlichkeit sehr erfreut. Der Gouverneur äußerte über ihn, daß er ein wohlgesinnter Mann sei; der Staatsanwalt – daß er tüchtig sei; der Gendarmerieoberst sagte, er sei ein gelehrter Mann; der Gerichtsvorsitzende – er sei ein gebildeter und ehrenwerter Mensch; der Polizeimeister meinte, er sei ehrenwert und liebenswürdig, und die Frau des Polizeimeisters, er sei über die Maßen liebenswürdig und über die Maßen wohlerzogen. Sogar Ssobakewitsch, der nur selten über jemand gut sprach, sagte, als er spät abends aus der Stadt zurückkehrte und sich ausgekleidet zu seiner mageren Frau ins Bett legte: »Schätzchen, ich war heute Abend beim Gouverneur und aß beim Polizeimeister zu Mittag, dabei habe ich den Kollegienrat Pawel Iwanowitsch Tschitschikow kennengelernt: ein ungemein angenehmer Herr!«, worauf seine Gattin »Hm!« sagte und ihn mit dem Fuße stieß.

      Diese für den Gast höchst schmeichelhafte Meinung, die sich über ihn in der Stadt bildete, erhielt sich so lange, bis eine gewisse seltsame Eigentümlichkeit und Unternehmung des Fremden oder eine Passage, wie man in der Provinz zu sagen pflegt, fast die ganze Stadt in höchstes Erstaunen versetzte.

      Zweites Kapitel

      Schon mehr als eine Woche lebte der Fremde in der Stadt; er besuchte Abendunterhaltungen und Diners und verbrachte die Zeit, wie man so sagt, auf eine höchst angenehme Weise. Endlich entschloß er sich, seine Besuche auch auf das flache Land auszudehnen und die Gutsbesitzer Manilow und Ssobakewitsch aufzusuchen, denen er das Wort gegeben hatte. Vielleicht bewegte ihn hierzu auch ein anderer, wesentlicherer Grund, eine ernstere Sache, die ihm mehr am Herzen lag . . . Von alledem wird aber der Leser allmählich und zu seiner Zeit erfahren, wenn er nur die Geduld hat, die vorliegende sehr lange Erzählung zu lesen, die später, je mehr sie sich dem Ende, das dem Ganzen die Krone aufsetzt, nähert, immer weitläufiger und breiter werden wird. Der Kutscher Sselifan bekam den Befehl, am frühen Morgen die Pferde vor den uns schon bekannten Wagen zu spannen; Petruschka aber sollte zu Hause bleiben und auf das Zimmer und den Koffer achtgeben. Es wird für den Leser nicht überflüssig sein, diese beiden leibeigenen Diener unseres Helden kennenzulernen. Sie sind zwar gar nicht hervorragende, eher zweitrangige oder sogar drittrangige Personen; auch beruhen die wichtigsten Vorgänge und Triebfedern dieses Werkes nicht auf ihnen, sondern streifen sie nur ab und zu – aber der Autor liebt es, in allen Dingen äußerst ausführlich zu sein und will, obwohl er selbst Russe ist, doch so genau sein wie ein Deutscher. Dies wird übrigens nicht viel Zeit und Raum in Anspruch nehmen, weil dem, was der Leser schon weiß, nämlich daß Petruschka einen etwas zu weiten braunen Rock, der von seinem Herrn stammte, trug und wie die Leute seines Standes eine dicke Nase und ebensolche Lippen hatte, nicht mehr viel hinzuzufügen ist. Von Charakter war er eher schweigsam als redselig und hatte sogar einen edlen Hang zur Bildung, das heißt zur Lektüre von Büchern, deren Inhalt ihm übrigens keine Schwierigkeiten machte: es war ihm völlig gleichgültig, ob er die Abenteuer eines verliebten Helden oder eine Schulfibel oder ein Gebetbuch in die Hand bekam; er las alles mit dem gleichen Interesse; hätte man ihm ein Buch über Chemie gegeben, so gäbe er sich auch damit zufrieden. Vergnügen bereitete

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