Revolution und Kontre-Revolution in Deutschland. Karl Marx
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»Mit Vergnügen stelle ich in Folge Ihres Ersuchens Ihre Verbindungen mit verschiedenen in den Vereinigten Staaten erscheinenden Publikationen fest, zu denen ich persönliche Beziehungen habe. Vor fast neun Jahren forderte ich Sie auf, für die »New York Tribune« zu schreiben, und das Engagement hat seitdem fortbestanden. Sie haben für uns regelmäßig geschrieben, ohne die Unterbrechung auch nur einer Woche, soweit ich mich erinnern kann; und Sie sind nicht nur einer der geschätztesten, sondern auch einer der bestbezahlten Mitarbeiter an dieser Zeitung. Ich habe nur Eines an Ihren Beiträgen auszusetzen gehabt, daß Sie mitunter für eine amerikanische Zeitung zu sehr den deutschen Standpunkt hervorkehrten. Das war sowohl gegenüber Rußland wie gegenüber Frankreich der Fall. Es schien mir mitunter, als legten Sie in Fragen, die den Zarismus oder den Bonapartismus angingen, zu viel Interesse und Besorgtheit für die Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands an den Tag. Das zeigte sich vielleicht noch auffallender als sonst gelegentlich des letzten italienischen Krieges. In der Sympathie mit dem italienischen Volk stimme ich völlig mit Ihnen überein. Ich hatte ebensowenig Zutrauen zur Ehrlichkeit des französischen Kaisers wie Sie und glaubte ebensowenig wie Sie, daß die italienische Freiheit von ihm ausgehen werde; aber ich glaube nicht, daß Deutschland so viel Grund hatte, besorgt zu sein, wie Sie, im Verein mit anderen deutschen Patrioten, annahmen. Ich muß hinzufügen, daß Sie in allen Ihren Schriften, die durch meine Hand gegangen sind, stets das größte Interesse für das Wohlergehen und den Fortschritt der arbeitenden Klassen bekundet haben, und daß viele Ihrer Beiträge direkt diesem Zweck dienten.
Ich habe auch zu verschiedenen Zeiten innerhalb der letzten fünf bis sechs Jahre Beiträge von Ihnen für »Putnams monthly«, eine literarische, sehr vornehme Revue, und für die »New American Cyclopaedia« vermittelt, die ich ebenfalls redigire, und für die Sie einige höchst wichtige Artikel geliefert haben.
Wenn weitere Auskünfte nöthig werden, werde ich sie mit Vergnügen geben. Inzwischen verbleibe ich Ihr aufrichtiger
Charles A. Dana,
Chef-Redakteur der New York Tribune.«
Dieser Brief ist ebenso ehrenvoll für seinen Schreiber wie für den Adressaten, er und seine Veranlassung zeigen uns aber auch deutlich, wieso es kam, daß eine Reihe der wichtigsten Arbeiten von Marx, seine Beobachtungen über ein ganzes Jahrzehnt unserer Zeitgeschichte, englisch, in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften erschienen und nun mühsam ausgegraben und dem deutschen Publikum verdeutscht werden müssen. Von allen deutschen Verlegern und Redakteuren, »demokratischen« so gut wie andern, geboykottet, von vielen obendrein aufs infamste verleumdet, hätte Marx ein elendes Ende in der Emigration gefunden, wenn es nach dem Sinne dieser Herren gegangen wäre. Wenn es ihm gelang, sich in der furchtbaren Krisis des Emigrantenthums nicht blos zu behaupten, nicht blos ein neues Wirkungsfeld zu finden, sondern auch ein Werk zu schaffen, das heute als eines der glänzendsten und tiefsten Produkte des deutschen Geistes anerkannt ist, so geschah es trotz der giftigen Feindschaft der Vertreter dieses deutschen Geistes, so geschah es nicht zum wenigsten Dank dem entgegenkommenden Verständniß des Angloamerikaners Ch. Dana.
Die Sozialdemokratie, jeder, der den Genius von Karl Marx anerkennt, hat alle Ursache, auch des Mannes anerkennend zu gedenken, der diesem Genius während seiner Aechtung ein Obdach bot.
Diese Aechtung war gerade am wirksamsten zu der Zeit, als Marx vorliegende Artikel schrieb. Dieses Moment ist bei ihrer Beurtheilung nicht außer Acht zu lassen. Blieb es auch ohne Einfluß auf den Standpunkt, den Marx einnahm, so dürfte es doch, namentlich in der zweiten Hälfte vorliegender Schrift, die Bitterkeit ihrer Sprache verschärft haben. Daß diese nicht die des kühlen Beobachters war, sondern die des Kämpfers, der den großen Kampf aus ganzer Seele und mit Einsetzung seiner ganzen Persönlichkeit mitgekämpft, war selbstverständlich.
Man muß es bewundern, daß alle Bitterkeit und Leidenschaft Marx' historischen Blick so wenig zu trüben vermochte, daß die Zeit eines halben Jahrhunderts seinen Artikeln von damals nicht nur keinen Abbruch gethan, sondern sie in fast allen wesentlichen Punkten bestätigt hat.
Nur über einen Punkt möchte ich mir eine Auseinandersetzung erlauben, da er leicht zu falschen Anschauungen Anlaß geben könnte; ich meine das Verhältniß von Marx zu den österreichischen Slaven (ausgenommen die Polen). Diese, namentlich die Tschechen und Kroaten, hatten einen ungemein großen Antheil an dem Siege der Gegenrevolution in Oesterreich, und so ist es denn kein Wunder, daß Marx sich mit der vollen Wucht seiner revolutionären Leidenschaft gegen sie wendet und sie als Verräther an der Revolution brandmarkt. Aber ließ sich nicht Marx von seinem gerechten Zorn zu sehr fortreißen und stellte er nicht eine Behauptung auf, die er nicht verantworten konnte, wenn er diesen slavischen Stämmen, vor Allem den Tschechen, geradezu die Möglichkeit einer nationalen Existenz abstritt? Haben ihn nicht die Thatsachen Lügen gestraft? Wird heute nicht die Existenzfähigkeit der tschechischen Nation selbst von ihren erbittertsten Gegnern nicht mehr bestritten?
Man muß gestehen, es ist anders gekommen, als Marx erwartet, aber daraus folgt noch keineswegs, daß der Standpunkt, den Marx 1851 einnahm, nicht wohlbegründet war. Das Urtheil von Marx war durch die damaligen Verhältnisse völlig gerechtfertigt, und es zeugt von einer genauen Kenntniß der österreichischen Zustände.
Wenn trotzdem seine Prophezeiung vom Untergang der tschechischen Nationalität nicht eingetroffen ist, so liegt der Fehler anderswo, als in mangelhafter Kenntniß der Thatsachen. Er liegt in dem einzigen großen Irrthum, den Marx mit Engels seit der Entdeckung der materialistischen Grundlagen der geschichtlichen Entwicklung begangen, und auf den uns Engels selbst in seiner Vorrede zu den »Klassenkämpfen in Frankreich 1848 bis 1850« aufmerksam gemacht .
Wir haben oben gesehen, daß Marx durch das Studium der ökonomischen Verhältnisse zur Erkenntniß kam, daß die Revolution einstweilen abgeschlossen sei. Aber er erwartete die neue Revolution ebensobald, wie die neue Krise, binnen wenigen Jahren. Behielt er mit dieser Erwartung Recht, so war, das erscheint uns unzweifelhaft, das Schicksal der tschechischen Nationalität besiegelt. Ohne jegliche gewaltsame Germanisation mußte einfach die Macht des entfesselten Verkehrs, die Macht der modernen Kultur, welche die Deutschen brachten, die rückständigen tschechischen Kleinbürger, Bauern und Proletarier, denen ihre verkümmerte Nationalität gar nichts zu bieten hatte, zu Deutschen machen.
Aber wie wir wissen, blieb die erwartete Erhebung aus. Die liberale Bourgeoisie hatte als revolutionäre Klasse abgedankt; die unter ihr stehenden Klassen aber waren zu erschöpft und entmuthigt, um sich so bald wieder erheben zu können.
Dazu kam, daß die Besieger der Revolution durch die Logik der Thatsachen getrieben wurden, selbst revolutionär aufzutreten und das Werk der Revolution von 1848 fortzusetzen. Um von Frankreich die Revolution fernzuhalten, war der dritte Napoleon genöthigt, das alte Rußland umzuwerfen und dessen Beherrscher zu zwingen, die Leibeigenschaft aufzuheben; er war genöthigt, Italien zu einigen und den österreichischen Absolutismus ins Wanken zu bringen. Bismarck vollendete den Umsturz des österreichischen Absolutismus, entthronte einige deutsche Herrscher, brachte Frankreich die Republik und Deutschland das allgemeine Stimmrecht und, bis zu einem gewissen Grade, die Einheit.
Durch die Revolutionen von oben wurde der Revolution von unten vorgebeugt. Als aber diese revolutionäre Aera vorbei war, die von 1853-71 dauerte, da waren, wie Engels in der erwähnten Vorrede bereits bemerkt, auch die Bedingungen für eine andere revolutionäre Taktik gegeben, als sie bis 1848 möglich und geboten gewesen. Aber auch die Existenzbedingungen für die Slaven Oesterreichs waren inzwischen ganz andere geworden.
In die Augen springend ist Folgendes. 1851, als Marx die vorliegende Arbeit schrieb, gehörten Böhmen, Mähren und Schlesien noch zum deutschen Bunde, nicht aber die anderen von Slaven bewohnten Provinzen Oesterreichs – von den damals noch wenig bedeutenden Slovenen einiger südlichen Provinzen abgesehen. Es standen 3, höchstens 4 Millionen Tschechen ungefähr 40 Millionen Deutschen gegenüber, ein