Brasilien. Stefan Zweig

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Brasilien - Stefan Zweig

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in Architektur und städtischer Anlage ein durchaus persönliches Bild, da war Kühnheit und Großartigkeit in allen neuen Dingen und gleichzeitig eine alte, durch die Distanz noch besonders glücklich bewahrte geistige Kultur. Da war Farbe und Bewegung, das erregte Auge wurde nicht müde zu schauen, und wohin es blickte, war es beglückt. Ein Rausch von Schönheit und Glück überkam mich, der die Sinne erregte, die Nerven spannte, das Herz erweiterte, den Geist beschäftigte, und soviel ich sah, es war nie genug. In den letzten Tagen fuhr ich ins Innere oder vielmehr – ich glaubte ins Innere zu fahren. Ich fuhr zwölf Stunden, vierzehn Stunden weit nach São Paulo, nach Campinas, in der Meinung, dem Herzen dieses Landes damit näherzukommen. Aber als ich zurückgekehrt dann auf die Karte blickte, entdeckte ich, daß ich mit diesen zwölf oder vierzehn Stunden Eisenbahnfahrt nur knapp unter die Haut gekommen; zum erstenmal begann ich die unfaßbare Größe dieses Landes zu ahnen, das man eigentlich kaum mehr ein Land nennen sollte, sondern eher einen Erdteil, eine Welt mit Raum für dreihundert, vierhundert, fünfhundert Millionen und einem unermeßlichen, noch kaum zum tausendsten Teile ausgenützten Reichtum unter dieser üppigen und unberührten Erde. Ein Land in rapider und trotz aller werkenden, bauenden, schaffenden, organisierenden Tätigkeit erst beginnender Entwicklung. Ein Land, dessen Wichtigkeit für die kommenden Generationen auch mit den kühnsten Kombinationen nicht auszudenken ist. Und mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit schmolz der europäische Hochmut dahin, den ich höchst überflüssigerweise als Gepäck auf diese Reise mitgenommen. Ich wußte, ich hatte einen Blick in die Zukunft unserer Welt getan.

      Als dann das Schiff abfuhr – es war eine Sternennacht, und doch glänzte diese einzige Stadt mit ihren Perlenschnüren elektrischen Lichts schöner und geheimnisvoller als die Funken des Firmaments – war ich gewiß, daß ich diese Stadt, dieses Land nicht zum letztenmal gesehen, und völlig im klaren auch, daß ich eigentlich nichts gesehen oder keinesfalls genug. Ich nahm mir vor, gleich im nächsten Jahr wiederzukommen, besser vorbereitet und um länger zu bleiben, um noch einmal und noch stärker dieses Gefühl zu empfinden, im Werdenden, Kommenden, Zukünftigen zu leben und die Sicherheit des Friedens, die gute gastliche Atmosphäre nun noch bewußter zu genießen. Aber ich konnte mein Versprechen nicht halten. Im nächsten Jahr war der Krieg in Spanien, und man sagte sich: warte ab bis zu einer ruhigeren Zeit. 1938 fiel Österreich, und wieder harrte man auf einen ruhigeren Augenblick. Dann, 1939, war es die Tschechoslowakei und dann der Krieg in Polen und dann der Krieg aller gegen alle in unserem selbstmörderischen Europa. Immer leidenschaftlicher wurde mein Wunsch, mich aus einer Welt, die sich zerstört, für einige Zeit in eine zu retten, die friedlich und schöpferisch aufbaut; endlich kam ich wieder in dieses Land, besser und gründlicher vorbereitet als zuvor, um zu versuchen, davon ein kleines Bild zu geben.

      Ich weiß, daß dieses Bild nicht vollständig ist und nicht vollständig sein kann. Es ist unmöglich, Brasilien, eine so weiträumige Welt, vollkommen zu kennen. Ich habe ungefähr ein halbes Jahr in diesem Lande verbracht und weiß gerade jetzt erst, wieviel trotz allen Lerneifers und Reisens mir zu einem wirklich vollständigen Überblick dieses gewaltigen Reiches noch fehlt, und daß ein ganzes Leben kaum ausreichte, um sagen zu dürfen: ich kenne Brasilien. Ich habe vor allem eine Reihe Provinzen überhaupt nicht gesehen, deren jede so groß oder größer ist als Frankreich oder Deutschland, ich habe die selbst von wissenschaftlichen Expeditionen nicht ganz durchdrungenen Gebiete von Mato Grosso, Goiaz und die Wildnisse des Amazonenstroms nicht durchstreift. Ich bin also nicht vertraut mit dem primitiven Leben dieser in riesigen Räumen verstreuten Siedlungen und kann nicht die Existenz all dieser von der Kultur kaum berührten Berufsklassen anschaulich machen: nicht das Leben der barqueiros, die auf den Strömen schiffen, nicht das der caboclos im Amazonengebiet, nicht das der Diamantensucher, der garimpeiros, nicht das der Viehzüchter, der vaqueiros und gaúchos, nicht das der Gummiplantagenarbeiter im Urwald, der seringueiros oder das der sertanejos von Minas Gerais. Ich habe die deutschen Kolonien von Santa Catarina nicht besucht, wo in den alten Häusern noch das Bild Kaiser Wilhelms und in den neueren das Bild Adolf Hitlers hängen soll, nicht die japanischen Kolonien im Innern von São Paulo und kann niemandem verläßlich sagen, ob wirklich noch manche der indianischen Stämme in den undurchdringlichen Wäldern kannibalisch sind.

      Auch von den landschaftlichen Sehenswürdigkeiten kenne ich manche der wesentlichen nur von Bildern und Büchern. Ich bin nicht zwanzig Tage lang die grüne, in ihrer Monotonie großartige Wildnis des Amazonas hinaufgefahren, nicht bis an die Grenzen Perus und Boliviens gelangt, ich habe es durch die Schwierigkeiten der Schiffahrt innerhalb der ungünstigen Jahreszeit versäumen müssen, die zwölftägige Fahrt auf dem Rio São Francisco zu unternehmen, Brasiliens mächtigem und historisch so bedeutsamem Binnenfluß. Ich habe den Itatiaia nicht bestiegen, den dreitausend Meter hohen Berg, von dem man das brasilianische Hochplateau mit seinen Gipfeln bis weit nach Minas Gerais und Rio de Janeiro überschaut. Ich habe nicht das Weltwunder des Iguassú gesehen, der in schäumendem Katarakt die gewaltigsten Wassermassen niederschmettert, und dessen Grandiosität nach den Aussagen der Besucher den Niagara weit übertrifft. Ich bin nicht mit Hacke und Messer in das dumpfe und schillernde Dickicht des Urwalds eingedrungen. Trotz allen Reisens, Schauens, Lernens, Lesens und Suchens bin ich nicht weit über den Rand der Zivilisation in Brasilien hinausgekommen und muß mich trösten mit dem Gedanken, daß ich kaum zwei oder drei Brasilianer traf, die behaupten konnten, die innere und fast undurchdringliche Tiefe ihres eigenen Landes zu kennen, und daß auch Eisenbahn, Dampfboot und Auto mich nicht viel weiter geführt hätten, auch sie machtlos gegen die phantastische Ausdehnung dieses Reiches. Auch endgültige Schlüsse, Voraussagen und Prophezeiungen über die wirtschaftliche, finanzielle und politische Zukunft Brasiliens zu geben, muß ich mir redlicherweise versagen. Wirtschaftlich, soziologisch, kulturell sind Brasiliens Probleme so neu, so eigenartig und vor allem infolge seiner Weiträumigkeit so unübersichtlich geschichtet, daß jedes einzelne einen ganzen Stab von Spezialisten zu gründlicher Erklärung forderte. Ein vollständiger Überblick ist unmöglich in einem Lande, das sich selber noch nicht vollständig überblickt und außerdem sich in einem so stürmischen Wachstum befindet, daß jeder Bericht und jede Statistik schon überholt ist, ehe die Information zur Schrift und diese Schrift zum gedruckten Wort wird. Aus der Fülle der Aspekte sei darum vor allem ein Problem in den Mittelpunkt gestellt, das mir das aktuellste scheint und im Geistigen und Moralischen heute Brasilien einen besonderen Rang unter allen Nationen der Erde gibt.

      Dieses Zentralproblem, das sich jeder Generation und somit auch der unseren aufzwingt, ist die Beantwortung der allereinfachsten und doch notwendigsten Frage: wie ist auf unserer Erde ein friedliches Zusammenleben der Menschen trotz aller disparaten Rassen, Klassen, Farben, Religionen und Überzeugungen zu erreichen? Es ist das Problem, das an jede Gemeinschaft, jeden Staat immer wieder von neuem gebieterisch herantritt. Keinem Lande hat es sich durch eine besonders komplizierte Konstellation gefährlicher gestellt als Brasilien, und keines hat es – und dies dankbar zu bezeugen, schreibe ich dieses Buch – in so glücklicher und vorbildlicher Weise gelöst wie Brasilien. In einer Weise, die nach meiner persönlichen Meinung nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die Bewunderung der Welt für sich fordert.

      Denn seiner ethnologischen Struktur gemäß müßte, sofern es den europäischen Nationalitäten- und Rassenwahn übernommen hätte, Brasilien das zerspaltenste, das unfriedlichste und unruhigste Land der Welt sein. Noch sind mit freiem Blick schon auf Straße und Markt die verschiedenen Rassen deutlich erkennbar, aus denen die Bevölkerung geformt ist. Da sind die Abkömmlinge der Portugiesen, die das Land erobert und kolonisiert haben, da ist die indianische Urbevölkerung, die das Hinterland seit unvordenklichen Zeiten bewohnt, da sind die Millionen Neger, die man in der Sklavenzeit aus Afrika herüberholte, und seitdem die Millionen Italiener, Deutsche und sogar Japaner, die als Kolonisten herüberkamen. Nach europäischer Einstellung wäre zu erwarten, daß jede dieser Gruppen sich feindlich gegen die andere stellte, die früher Gekommenen gegen die später Gekommenen, Weiße gegen Schwarze, Amerikaner gegen Europäer, Braune gegen Gelbe, daß Mehrheiten und Minderheiten in ständigem Kampf um ihre Rechte und Vorrechte einander befeindeten. Zum größten Erstaunen wird man nun gewahr, daß alle diese schon durch die Farbe sichtbar voneinander abgezeichneten Rassen in vollster Eintracht miteinander leben und trotz ihrer individuellen Herkunft einzig in der Ambition wetteifern, die einstigen Sonderheiten

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