Peter Camenzind. Герман Гессе

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Peter Camenzind - Герман Гессе

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zeigt einen knochigen, hochgewachsenen Bauernbuben in schlechten Schülerkleidern, mit etwas matten Augen und unfertigen, lümmelhaften Gliedmaßen. Nur der Kopf hat etwas Frühfertiges und Festes. Mit einer Art von Erstaunen sah ich mich die Manieren der Knabenzeit ablegen und erwartete mit dunkler Vorfreude die Studentenzeit.

      Ich sollte in Zürich studieren und für den Fall besonderer Leistungen hatten meine Gönner die Möglichkeit einer Studienreise erwähnt. All das erschien mir wie ein schönes, klassisches Bild: Eine ernst freundliche Laube mit den Büsten Homers und Platos, ich darin sitzend über Folianten gebückt, und auf allen Seiten ein weiter, klarer Blick auf Stadt, See, Berge und schöne Fernen. Mein Wesen war nüchterner und doch schwungvoller geworden und ich freute mich des zukünftigen Glückes mit der festen Zuversicht seiner würdig befunden zu werden.

      Im letzten Schuljahr fesselte mich das Studium des Italienischen und die erste Bekanntschaft mit den alten Novellisten, deren gründlicheres Kennenlernen ich mir als erste Liebhaberarbeit für die Zürcher Semester vorbehielt. Dann kam der Tag, da ich meinen Lehrern und dem Hausvater Adieu sagte, meine kleine Kiste packte und vernagelte und mit wohliger Wehmut abschiednehmend um das Haus der Rösi strich.

      Die Ferienzeit, die nun folgte, gab mir einen bitteren Vorschmack vom Leben und zerriß mir die schönen Traumflügel schnell und rauh. Zunächst fand ich die Mutter krank. Sie lag zu Bett, redete fast gar nichts und machte auch von meinem Kommen kein Aufhebens. Wehleidig war ich nicht, aber es schmerzte mich doch, meiner Freude und meinem jungen Stolz gar kein Echo zu finden. Alsdann erklärte mir mein Vater, daß er zwar nichts dagegen habe, wenn ich nun studieren wolle, daß er aber nicht vermöge mir Geld dazu zu geben. Wenn das kleine Stipendium nicht reiche, müsse ich eben sehen mir das Nötige zu verdienen. In meinem Alter habe er schon längst eigenes Brot gegessen u. s. w.

      Auch mit Wandern, Rudern und Bergsteigen war es diesmal nicht viel, denn ich mußte in Haus und Feld mitarbeiten und an den freien halben Tagen hatte ich zu nichts Lust, nicht einmal zum Lesen. Es empörte und ermüdete mich zu sehen, wie das gemeine tägliche Leben breitmäulig sein Recht forderte und alles fraß, was ich von Überfluß und Übermut mitgebracht hatte. Übrigens war mein Vater, als er die Geldfrage einmal vom Herzen hatte, nach seiner Art zwar rauh und kurz, aber nicht unfreundlich gegen mich, doch hatte ich keine Freude daran. Auch daß meine Schulbildung und meine Bücher ihm einen stillen, halbverächtlichen Respekt einflößten, störte mich und tat mir leid. Und dann dachte ich auch oft an Rösi und hatte wieder das böse, rechthaberische Gefühl meines bauernhaften Unvermögens, je in der „Welt“ einen sicheren und beweglichen Mann abzugeben. Ich besann mich sogar tagelang, ob es nicht besser sei dazubleiben und mein Latein und meine Hoffnungen im zähen, trüben Zwang des armseligen heimischen Lebens zu vergessen. Gequält und verdrossen ging ich umher und fand auch am Bett der kranken Mutter nicht Trost noch Ruhe. Das Bild jener Traumlaube mit der Homerbüste erschien höhnisch wieder und ich zerstörte es und goß allen Grimm und alle Feindseligkeit meines zerplagten Wesens darüber. Die Wochen wurden unausstehlich lang, als sollte ich an diese hoffnungslose Zeit des Ärgers und Zwiespalts meine ganze Jugend verlieren.

      War ich erstaunt und empört gewesen, das Leben meine glückliche Träumerei so rasch und gründlich zerstören zu sehen, so kam ich nun in die Lage zu erstaunen, wie plötzlich und mächtig auch der jetzigen Quälerei ein Überwinder erwuchs. Das Leben hatte mir seine graue Werktagsseite gezeigt, nun trat es plötzlich mit seinen ewigen Tiefen vor mein befangenes Auge und belud meine Jugend mit einer schlichten, mächtigen Erfahrung.

      Früh am Morgen eines heißen Sommertags litt ich im Bette Durst und stand auf, um in die Küche zu gehen, wo stets eine Kufe frischen Wassers stand. Dabei mußte ich durchs Schlafzimmer der Eltern gehen, wo mir das sonderbare Stöhnen der Mutter auffiel. Ich trat an ihr Bett, doch sah sie mich nicht und gab keine Antwort, sondern stöhnte trocken und angstvoll vor sich hin, zuckte mit den Lidern und war bläulich blaß im Gesicht. Dies erschreckte mich nicht sonderlich, obwohl mir etwas ängstlich wurde. Aber dann sah ich ihre beiden Hände auf den Laken liegen, still und wie schlafende Geschwister. An diesen Händen sah ich, daß meine Mutter im Sterben lag, denn sie waren schon so seltsam todmüde und willenlos, wie sie kein Lebender hat. Ich vergaß meinen Durst, kniete neben dem Lager nieder, legte der Kranken die Hand auf die Stirn und suchte ihren Blick. Da er mich traf, war er gut und ohne Qual, aber nahe am Erlöschen. Es fiel mir nicht ein, daß ich den Vater wecken müsse, der nebenan mit hartem Atmen schlief. So kniete ich denn nahezu zwei Stunden und sah meine Mutter den Tod erleiden. Sie litt ihn stille, ernst und tapfer, wie es ihrer Art zukam, und hat mir ein gutes Vorbild gegeben.

      Das Stüblein war stille und füllte sich langsam mit der Helle des heraufsteigenden Morgens; Haus und Dorf lag schlafend und ich hatte Muße, in Gedanken die Seele eines Sterbenden zu begleiten, über Haus und Dorf und See und Schneegipfel hinweg in die kühle Freiheit eines reinen Frühmorgenhimmels hinein. Schmerz fühlte ich wenig, denn ich war voll Staunen und Ehrfurcht zusehen zu dürfen, wie ein großes Rätsel sich löste und wie der Ring eines Lebens sich mit leisem Erzittern schloß. Auch war die klaglose Tapferkeit der Scheidenden so erhaben, daß von ihrer herben Glorie ein kühlend klarer Strahl auch in meine Seele fiel. Daß der Vater daneben schlief, daß kein Priester da war, daß weder Sakrament noch Gebet die heimkehrende Seele heiligend begleitete, empfand ich nicht. Ich spürte nur einen schauernden Hauch der Ewigkeit durch die dämmernde Stube fluten und sich mit meinem Wesen vermischen.

      Im letzten Augenblick, die Augen waren schon erloschen, küßte ich zum ersten mal in meinem Leben meiner Mutter kühlen, welken Mund. Dann überlief die fremde Kühle der Berührung mich mit plötzlichem Grausen, ich setzte mich auf den Rand des Bettes und fühlte, daß mir langsam und zögernd eine große Träne um die andere über Wangen, Kinn und Hände lief.

      Bald darauf erwachte der Vater, sah mich dasitzen und rief mich schlaftrunken an, was es gäbe. Ich wollte ihm Antwort geben, konnte aber nichts sagen, sondern ging aus der Stube, kam wie im Traum in meine Kammer und zog langsam und unbewußt meine Kleider an. Bald erschien der Alte bei mir.

      „Die Mutter ist tot,“ sagte er. „Hast du’s gewußt?“

       Ich nickte.

      „Warum hast du mich schlafen lassen? Und kein Priester ist dagewesen! Dich soll doch —“ er tat einen schweren Fluch.

      Da tat irgend etwas in meinem Kopf mir weh, wie wenn eine Ader gesprungen wäre. Ich trat auf ihn zu und nahm ihn fest bei beiden Händen — er war an Stärke ein Knabe gegen mich, und sah ihm ins Gesicht. Sagen konnte ich nichts, aber er ward still und beklommen und als wir darauf beide zur Mutter hinüber gingen, ergriff auch ihn die Gewalt des Todes und machte sein Gesicht fremd und feierlich. Dann bückte er sich über die Tote und begann ganz leise und kindlich zu klagen, fast wie ein Vogel, in hohen schwachen Tönen. Ich ging weg und brachte den Nachbarn die Nachricht. Sie hörten mich an, stellten keine Fragen, sondern gaben mir die Hand und boten unsrem verwaisten Haushalt ihre Hilfe an. Einer lief den Weg ins Kloster, um einen Pater zu holen, und da ich heimkehrte, war schon eine Nachbarin in unsrem Stall und versorgte die Kuh.

      Der Hochwürdige kam, und fast alle Frauen des Orts kamen, alles geschah pünktlich und richtig wie von selber, sogar der Sarg ward ohne unser Zutun besorgt und ich konnte zum erstenmal deutlich sehen, wie gut es in schweren Lagen ist, heimisch zu sein und einer kleinen, sicheren Gemeinschaft anzugehören. Am andern Tage hätte ich mir das vielleicht noch tiefer überlegen sollen

      Als nämlich der Sarg gesegnet und versenkt und die wunderliche Schar wehmütig altmodischer, borstiger Cylinderhüte verschwunden war, auch der meines Alten, jeder in seine Schachtel und seinen Schrank, da wandelte meinen armen Vater eine Schwäche an. Er begann plötzlich sich selbst zu bemitleiden und hielt mir in sonderbaren, großenteils biblischen Redewendungen sein Elend vor, daß er nun, da sein Weib begraben sei, auch noch seinen Sohn verlieren und in die Fremde fahren sehen müsse. Es nahm kein Ende, ich hörte erschrocken zu und war beinahe bereit, ihm das Dableiben zu versprechen.

      In

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