Tom Jones. Henry Fielding
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Hier fing unser Jones an zu zittern und zu beben, als ob ihn ein Anfall von kaltem Fieber zusammengeschüttelt hätte. Sophie, die sich in nicht viel bessern Umständen, als er selbst, befand, antwortete mit folgenden Worten: »Herr Jones, ich will mich nicht stellen, als ob ich Sie mißverstände; ich habe Sie wirklich nur zu gut verstanden, aber, ums Himmels willen! wenn Sie mir nur ein wenig gut sind, so lassen Sie mich so bald als möglich nach Hause eilen. Ich wünsche nur, daß meine Füße im stande sein mögen, mich dahin zu tragen.«
Jones, der kaum im stande war selbst aufrecht zu stehen, bot ihr seinen Arm an, den sie so gefällig war anzunehmen, ihn aber dabei bat, er möchte ihr jetzt von der Sache kein Wort weiter erwähnen. Er versprach Gehorsam und bestand bloß darauf, sie möchte ihm ein Geständnis verzeihn, welches ihm die Liebe wider seinen Willen entrissen hätte. Diese Verzeihung, sagte sie, würde er durch sein künftiges Betragen zu erhalten wissen. Solchergestalt ging dies junge Paar zitternd und strauchelnd fort und der Liebhaber wagte es nicht einmal, die Hand seiner Geliebten zu drücken, ob sie gleich in der seinigen eingeschlossen lag.
Sophie begab sich unmittelbar in ihr Zimmer, woselbst sie Jungfer Honoria und Hirschhornwasser zu ihrem Beistand kommen ließ. Das einzige, was der zerrütteten Seele des armen Jones zur Hilfe kam, war eine unangenehme Neuigkeit, welche, da sie einen Auftritt von verschiedener Natur von demjenigen eröffnet, womit der Leser sich einige Zeit her unterhalten hat, wir ihm im nächsten Kapitel mitteilen wollen.
In welchem wir Herrn Alwerth auf einem Krankenlager finden.
Junker Western war in unsern Jones so verliebt geworden, daß er ihn sehr ungerne missen mochte, obgleich sein Arm schon längst geheilt war, und Jones, entweder wegen seiner Liebe zur Jagd, oder auch anderer Ursachen wegen, ließ sich ohne Schwierigkeit bereden, in seinem Hause zu bleiben, welches denn auch zuweilen ganze Tage hindurch geschah, ohne Herrn Alwerths Haus ein einzigsmal zu besuchen, ja, oder auch nur das geringste von dort zu hören.
Herr Alwerth befand sich seit einigen Tagen nicht wohl an einer Erkältung, welche von einem kleinen Fieber begleitet war. Diese kleine Unpäßlichkeit hatte er indessen nicht geachtet, wie es seine Gewohnheit bei allen Zufällen war, die ihn nicht das Bett zu hüten nötigten, oder ihm die Kräfte benahmen, seinen gewöhnlichen Beschäftigungen obzuliegen. Eine Gewohnheit, welche zu billigen oder zur Nachahmung zu empfehlen man uns ja nicht zutrauen muß; denn ganz gewiß haben die Herren von der hippokratischen Kunst großes Recht, wenn sie der Meinung sind, denselben Augenblick, da die Krankheit zu einer Thüre hereinträte, solle man den Arzt alsobald durch die an dere herbeiführen. Denn was sollte man sonst bei dem alten Spruche denken: Venienti occurrite morbo? »Beim ersten Schritt einer Krankheit muß man sich ihr entgegenstellen.« Solchergestalt teilen Arzt und Krankheit auf eine redliche Weise Wind und Sonne; dahingegen, wenn man der Krankheit Zeit läßt, so gibt man ihr oft Raum, sich zu entwickeln und zu befestigen, wie ein Kriegsherr im Felde, so daß es den gelehrten Herren oft sehr schwer und zuweilen gar unmöglich fällt, dem Feinde beizukommen. Ja oftmals, wenn man dem Uebel Zeit läßt, bedient es sich noch dazu allerlei Kriegslist und besticht die Natur, zur Krankheit überzulaufen, und dann ist alle Macht der Arzneikunst verloren, oder kommt zu spät. Auf diese Bemerkung gründete sich die Klage eines großen, von fast allen europäischen Höfen mit Attestaten versehenen Wunderdoktors, der sich sehr emphatisch darüber beschwerte, wenn man sich so spät an seine Geschicklichkeit wendete und sagte: »Sur mon Ame! die Leut, meine Patient, er muß mich nehmen für den Grubenher: denn sie schick nick ehr bald, bis die klein Doktor ihn hab mackt sterben.«
Des Herrn Alwerth Unpäßlichkeit gewann durch diese Geringschätzung so viel Feld, daß, als die Zunahme des Fiebers ihn nötigte, nach Hilfe zu schicken, der Doktor bei seiner Ankunft die Achseln zuckte, wünschte, man möchte ihn früher gerufen haben, und zu verstehen gab, er halte dafür, der Patient sei in großer Gefahr. Herr Alwerth, der alle seine Sachen in dieser Welt in Ordnung gebracht hatte und auf die künftige so wohl vorbereitet war, als es für die menschliche Natur nur immer möglich ist, empfing diese Nachricht mit der größesten Gelassenheit und Freudigkeit des Gemüts. Er konnte in der That, so oft er sich schlafen legte, mit Cato in Addisons Trauerspiel sagen:
– – »Let Guilt or Fear
Disturb Man's Rest, Cato knows neither of them;
Indifferent in his Choise, to sleep or die.«
»Laß Schuld, laß Furcht
Die Ruh des Menschen stören! Ein Cato kennt
Sie beide nicht: drum ist die Wahl ihm gleich,
Ob schlafen, oder sterben!«
In der That und Wahrheit konnte er dieses mit zehnfach besserem Grunde und größerer Zuversicht sagen, als Cato oder irgend ein andrer ruhmrediger Geist unter den alten oder neuern Helden: denn er war nicht nur frei von Furcht, sondern man konnte ihn betrachten als einen treuen Arbeiter, den der gütige Hausvater am Ende vor sich ruft, um ihm seinen Lohn zu erteilen.
Der edle Mann gab augenblicklich Befehl, daß alle seine Hausgenossen sich um ihn her versammeln möchten. Niemand war damals abwesend, als Madame Blifil, die sich seit einiger Zeit in London aufhielt, und Jones, von dem der Leser sich eben in Herrn Westerns Hause getrennt hat und welcher die Botschaft in eben dem Augenblicke erhielt, als ihn Sophie verlassen hatte.
Die Nachricht von Herrn Alwerths Lebensgefahr (denn der Bote sagte ihm, er läge in den letzten Zügen) vertrieb ihm alle Gedanken an Liebe aus dem Kopfe. Er warf sich über Hals und Kopf in die Chaise, die man für ihn geschickt hatte, ermahnte den Kutscher, er solle zufahren was er könne, und auf dem ganzen Wege, glaube ich, kam ihm Sophiens Bild nicht ein einziges Mal in die Gedanken.
Und nun, nachdem alles im Hause, nämlich der Neffe Blifil, Tom Jones, Ehrn Schwöger, Herr Quadrat und einige Bediente (denn so hatte es Herr Alwerth verlangt)