Mathilde Möhring. Theodor Fontane
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ZWEITES KAPITEL
Die Sonne schien, und eine milde Luft ging, und jeder, der in die Georgenstraße einbog und die Bäume sah, die hier und da noch ihre vollbelaubten Zweige über einen Bretterzaun streckten, hätte auf Anfang September raten müssen, wenn nicht vor mehreren Häusern und auch vor dem Rechnungsrat Schultzeschen Hause ein großer Riesenwagen gestanden hätte mit einem Leinwandbehang und der Inschrift Möbel-Transport von Fiddichen, Mauerstraße 17. Die Seitenwände mehrerer auseinandergenommener Bettstellen waren schräg an den Wagen gelegt, und auf dem Straßendamm stand ein Korb mit Küchengeschirr und an den Korb gelehnt ein Bild in Barockrahmen: hohes gepudertes Toupet und geblümtes Mieder, soweit sich davon sprechen ließ, denn das wichtigste Stück, soweit die Dezenz in Betracht kam, hatte der Maler zu malen unterlassen und der sich darin bergenden Natur freien Lauf gelassen. Alles in allem, es war Ziehzeit, also nicht Anfang September, sondern Anfang Oktober, Ziehzeit, wodurch die Georgenstraße sehr gewann; solchen Wagen und solch Porträt sah man in der Georgenstraße nicht alle Tage, weshalb etliche Menschen und eine ganze Anzahl Kinder den Wagen und das Bild umstanden.
Unter denen, die das Bild mit Interesse musterten, war auch ein junger Mann von etwa sechsundzwanzig. Sein Alter zu bestimmen war nicht leicht, weil zwischen dem Ausdruck seines Gesichts und seinem schwarzen Vollbart ein Mißverhältnis war, der Ausdruck war jugendlich, der Bart plädierte für Mann in besten Jahren. Aber der Bart hatte unrecht, er war erst sechsundzwanzig, etwas über mittelgroß, breitschultrig, Figur und Bart nach ein Mann und überhaupt so recht das, was gewöhnliche Menschen einen schönen Mann nennen. Er hätte sich sehen lassen können.
Als er mit seiner Musterung des Bildes fertig war, nahm er seine eigentliche Aufgabe wieder auf und begann über den Straßendamm weg die an der andern Straßenseite stehenden Häuser zu mustern Er war nämlich auf der Wohnungssuche. Die Götter waren mit ihm, und kaum daß sich sein Blick auf das Haus gegenüber gerichtet hatte, so las er auch schon an einem über der Haustür angebrachten Zettel: »Drei Treppen hoch links ein elegant möbliertes Zimmer zu vermieten.« Er nickte, wie wenn er zu sich selbst sagte: »Scheint mir; hier will ich Hütten baun.« Und gleich danach ging er über den Damm und stieg die drei Treppen hinauf; oben angekommen, war er ein wenig unwirsch, daß es eigentlich vier waren. Er klingelte und hatte nicht lange zu warten; Frau Möhring öffnete.
»Ist es bei Ihnen?«
»Wegen des Zimmers? Ja, das ist hier. Wenn Sie sich's ansehen wollen...«
»Ich bitte darum.«
Und nun trat Frau Möhring in ein einfenstriges Mittelzimmer zurück, das als Entree für rechts und links diente und drin nichts stand als ein einreihig besetzter Bücherschrank mit einem Vogelbauer darauf. Der im Sommer gestorbne Zeisig war noch nicht wieder ersetzt worden. Sonst nur noch zwei Stühle und ein weißer Leinwandstreifen als Läufer und am Fenster eine Aralia mit einer kleinen Gießkanne daneben. Alles dürftig, aber sehr sauber. Und nun öffnete Frau Möhring die Tür, die rechts nach dem zu vermietenden Zimmer führte. Hierher hatten sich alle Anstrengungen konzentriert: ein etwas eingesessenes Sofa mit rotem Plüschüberzug und ohne Antimakassar, Visitenkartenschale, der Große Kurfürst bei Fehrbellin und das Bett von schwarz gebeiztem Holz mit einer aus Seidenstückchen zusammengenähten Steppdecke. Die Wasserkaraffe auf einem großen Glasteller, so daß es immer klapperte.
Der schöne Mann mit dem Vollbart sah sich um, und wahrnehmend, daß die beiden Dinge fehlten, gegen die er eine tiefe Aversion hatte, Öldruckbilder und Antimakassars, war er sofort geneigt zu mieten, vorausgesetzt, daß er Aussicht hatte, für seine kleinen Bequemlichkeiten seitens der Wirtin gesorgt zu sehn. Gegen den bescheiden bemessenen Preis hatte er keine Einwendungen zu erheben, Portierfrage, Hausschlüssel, alles war geregelt, und er frug eben nach dem Hausschlüssel, als Mathilde Möhring vom Entree her eintrat. »Meine Tochter«, sagte Frau Möhring, und Mathilde und der schöne Mann begrüßten sich und musterten einander, sie eindringlich, er oberflächlich.
»Ich nehme an, daß ich die Kleinigkeiten, die man so braucht, ohne viel Umstände zu machen, haben kann: Frühstück, Kaffee und mal ein Ei, Tee, Sodawasser, ich brauche viel Sodawasser und dem ähnliches.«
Mathilde, die wie selbstverständlich das Wort nahm, versicherte, daß man das alles im Hause habe und daß von Umstände keine Rede sein könne. So was gehöre ja wie mit dazu, das Haus sei ruhig und anständig, ohne Musik, der Wirt, ein sehr liebenswürdiger Herr, nähme keinen ins Haus, der Klavier spiele.
»Das trifft sich gut«, lächelte der mit dem Vollbart. »Nun, im Laufe des Tages komme ich noch mit heran und bringe Ihnen bestimmten Bescheid.«
Und bei diesen Worten nahm er wieder seinen breitkrempigen Hut aus weichem Filz und empfahl sich von Mutter und Tochter.
Mathilde begleitete ihn bis an die Flurtür. Als sie wieder zurückkam, hatte sich die Mutter auf das Plüschsofa gesetzt, was sie für gewöhnlich ungern tat, und strich über ein kleines seidnes Rollkissen hin, drauf gelbe Sterne aufgenäht waren.
»Nun, Thilde, was meinst du. Die Stube steht nu schon seit den Ferien leer. Es wird Zeit, daß wir einen Mieter finden. Er will sich noch besinnen und uns dann einen bestimmten Bescheid bringen. Das ist so Rückzug; das sagen alle die, die nicht wiederkommen wollen.«
»Der kommt wieder.«
»Ja, Thilde, woher weißt du das? Dann hätte er doch gleich mieten können.«
»Freilich. Das hätt er gekonnt, aber so einer sagt nie gleich ja, der besinnt sich immer. Das heißt, eigentlich besinnt er sich nicht, er schiebt nur so bloß ein bißchen raus, gleich ja oder nein sagen, das können nicht viele, und der schon gewiß nicht«
»Gott, Thilde, du sagst das alles so hin wie's Evangelium und weißt doch eigentlich gar nichts.«
»Nein, alles weiß ich nicht, aber manches weiß ich Und wenn ich sage: ›Mutter, so und so‹, dann ist es auch so. Der kommt wieder.«
»Ja, Kind, warum soll er wiederkommen?«
»Weil er bequem ist, weil er keinen Muck hat, weil er ein Schlappier ist.«
»Ach, Thilde, sage doch nur nicht immer so was. Du hast so viele Wörter, die du nicht in den Mund nehmen solltest.«
»Ja, Mutter, warum nicht?«
»Weil es dir den Ruf verdirbt.«
»Ach, was Ruf. Mein Ruf ist ganz gut und muß auch; ich weiß, wo Bartel Most holt, und weil ich's weiß, paß ich auf. Ich passe ganz schmählich auf. Mir soll keiner kommen. Und was die paar Redensarten sind, na, Mutter, die laß man ruhig. Da halt ich mich dran fest, die tuen mir wohl, und wenn ich so höre, daß einer immer so fromm und faul drum rumgeht, da wird mir ganz schlimm.«
»Ganz schlimm. Das ist nun auch wieder so. Na, rede, wie du willst, ändern kann ich dich doch nicht, du hast immer deinen Willen gehabt von klein an, und Vater hat immer gesagt: ›laß man; die