Lebensansichten des Katers Murr. E.T.A. Hoffmann
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Damit stand er auf und trat an den Bücherschrank. Sowie er mich erblickte, prallte er drei Schritte zurück und blickte mich an voll Erstaunen. Aber der Professor rief: »Seht Ihr wohl, Meister! Ihr denkt, der Kleine sitzt harmlos in der Kammer, in die Ihr ihn eingesperrt, und er hat sich hineingeschlichen in den Bücherschrank, um zu studieren, oder noch wahrscheinlicher, um uns zu belauschen. Nun hat er alles gehört, was wir gesprochen, und kann seine Maßregeln darnach nehmen.« »Kater«, begann der Meister, indem er fortwährend den Blick voll Erstaunen auf mir ruhen ließ, »Kater, wenn ich wüßte, daß du, deine ehrliche natürliche Natur ganz und gar verleugnend, dich wirklich darauf verlegtest, solche vertrackte Verse zu machen, wie sie der Professor vorgelesen, wenn ich glauben könnte, daß du wirklich den Wissenschaften nachstelltest, statt den Mäusen, ich glaube, ich könnte dir die Ohren wund zwicken, oder gar –«
Mich überfiel eine schreckliche Angst, ich kniff die Augen zu und tat, als schliefe ich fest.
»Aber nein, nein«, fuhr der Meister fort, »schaut nur einmal her, Professor, wie mein ehrlicher Kater so sorglos schläft, und sagt selbst, ob er in seinem gutmütigen Antlitz etwas trägt, das auf solche geheime wunderbare Schelmereien, wie Ihr sie ihm schuld gebt, gedeutet werden könnte – Murr! – Murr! –«
So rief der Meister mich an, und ich unterließ nicht wie gewöhnlich mit meinem Krr – Krr – zu antworten, die Augen aufzuschlagen, mich zu erheben und einen sehr anmutigen Katzenbuckel zu machen.
Der Professor warf mir voller Zorn mein Manuskript an den Kopf, ich tat aber (die mir angeborene Schlauheit gab es mir ein), als wollte er mit mir spielen, und zerrte, springend und tänzelnd, die Papiere hin und her, so daß die Stücke umherflogen.
»Nun«, sprach der Meister, »nun ist es ausgemacht, daß Ihr ganz unrecht habt, Professor, und daß Euch Ponto etwas vorlog. Seht nur hin, wie Murr die Gedichte bearbeitet, welcher Dichter würde sein Manuskript handhaben auf diese Weise?«
»Ich habe Euch gewarnt, Meister, tut nun, was Ihr wollt«, erwiderte der Professor und verließ das Zimmer.
Nun glaubte ich, der Sturm sei vorüber, wie sehr war ich im Irrtum! – Meister Abraham hatte sich, mir zum großen Verdruß, gegen meine wissenschaftliche Bildung erklärt, und demunerachtet er so getan, als glaube er den Worten des Professors gar nicht, so wurde ich doch bald gewahr, daß er mir auf allen Gängen nachspürte, mir den Gebrauch seiner Bibliothek dadurch abschnitt, daß er den Schrank sorgfältig verschloß, und es durchaus nicht mehr leiden wollte, daß ich mich, wie sonst, auf seinen Schreibtisch unter die Papiere legte.
So kam Leid und Kümmernis über meine keimende Jugend! Was kann einem Genie mehr Schmerz verursachen, als sich verkannt, ja verspottet zu sehen, was kann einen großen Geist mehr erbittern, als da auf Hindernisse zu stoßen, wo er nur allen möglichen Vorschub erwartete! – Doch, je stärker der Druck, desto gewaltiger die Kraft der Entlastung, je straffer der Bogen gespannt, desto schärfer der Schuß! – War mir die Lektüre versperrt, so arbeitete desto freier mein eigner Geist und schuf aus sich selbst.
Unmutig, wie ich war, brachte ich in dieser Periode manche Nächte, manche Tage in den Kellern des Hauses zu, wo mehrere Mäusefallen aufgestellt waren und sich überdem viele Kater verschiedenen Alters und Standes versammelten. Einem tapfern philosophischen Kopf entgehen überall nicht die geheimsten Beziehungen des Lebens im Leben, und er erkennt, wie sich eben aus demselben das Leben gestaltet in Gesinnung und Tat. So gingen mir auch in den Kellern die Verhältnisse der Mäusefallen und der Katzen in ihrer Wechselwirkung auf. Es wurde mir, als einem Kater von edlem echtem Sinn, warm ums Herz, wenn ich gewahren mußte, wie jene toten Maschinen in ihrem pünktlichen Treiben eine große Schlaffheit in den Katerjünglingen hervorbrachten. Ich ergriff die Feder und schrieb das unsterbliche Werk, dessen ich schon vorhin gedachte, nämlich: »Über Mäusefallen und deren Einfluß auf Gesinnung und Tatkraft der Katzheit«. In diesem Büchlein hielt ich den verweichlichten Katerjünglingen einen Spiegel vor die Augen, in dem sie sich selbst erblicken mußten, aller eignen Kraft entsagend, indolent, träge, ruhig es ertragend, daß die schnöden Mäuse nach dem Speck liefen! – Ich rüttelte sie aus dem Schlafe mit donnernden Worten. – Nächst dem Nutzen, den das Werklein schaffen mußte, hatte das Schreiben desselben auch noch den Vorteil für mich, daß ich selbst indessen keine Mäuse fangen durfte, und auch nachher, da ich so kräftig gesprochen, es wohl keinem einfallen konnte, von mir zu verlangen, daß ich selbst ein Beispiel des von mir ausgesprochenen Heroismus im Handeln geben solle.
Damit könnte ich nun meine erste Lebensperiode schließen und zu meinen eigentlichen Jünglingsmonaten, die an das männliche Alter streifen, übergehen; unmöglich kann ich aber den günstigen Lesern die beiden letzten Strophen der herrlichen Glosse vorenthalten, die mein Meister nicht hören wollte. Hier sind sie:
Wohl, ich weiß es, widerstehen Mag man nicht dem süßen Kosen, Wenn aus Büschen duftger Rosen Süße Liebeslaute wehen. Will das trunkne Aug dann sehen, Wie die Holde kommt gesprungen, Die da lauscht an Blumenwegen, Kaum ist Sehnsuchtsruf erklungen, Hat sich schnell hinangeschwungen. Liebe kommt uns rasch entgegen. Dieses Sehnen, dieses Schmachten Kann wohl oft den Sinn berücken, Doch wie lange kann's beglücken, Dieses Springen, Rennen, Trachten! Holder Freundschaft Trieb' erwachten, Strahlten auf bei Hespers Scheine. Und den Edlen brav und rein, Ihn zu finden, den ich meine, Klettr' ich über Mau'r und Zäune, Aufgesucht will Freundschaft sein. |
(Mak. Bl.) – – gerade den Abend in solch heitrer gemütlicher Stimmung, wie man sie an ihm nicht verspürt hatte seit gar geraumer Zeit. Und diese Stimmung war es, die das Unerhörte geschehen ließ. Denn ohne wild aufzufahren und davonzurennen, wie er sonst in gleichem Fall wohl zu tun pflegte, hörte er ruhig und sogar mit gutmütigem Lächeln den langen und noch langweiligern ersten Akt eines entsetzlichen Trauerspiels an, den ein junger hoffnungsvoller Leutenant mit roten Wangen und wohlgekräuseltem Haupthaar verfaßt hatte und mit aller Prätention des glücklichsten Dichters vortrug. Ja, als besagter Leutenant, da er geendet, ihn heftig fragte, was er von der Dichtung halte, begnügte er sich, mit dem mildesten Ausdruck des innern Ergötzens im ganzen Gesicht, dem jungen Kriegs- und Vershelden zu versichern, daß der Aushängeakt, das gierigen ästhetischen Leckermäulern dargebotene Koststück, in der Tat herrliche Gedanken enthalte, für deren originelle Genialität schon der Umstand spräche, daß auch anerkannt große Dichter wie zum Beispiel Calderon, Shakespeare und der moderne Schiller darauf verfallen. Der Leutenant umarmte ihn sehr und verriet mit geheimnisvoller Miene, daß er gedenke, noch denselben Abend eine ganze Gesellschaft der auserlesensten Fräuleins, unter denen sogar eine Gräfin befindlich, die spanisch lese und in Öl male, mit dem vortrefflichsten aller ersten Akte zu beglücken. Auf die Versicherung, daß er daran ungemein wohl tun werde, lief er voller Enthusiasmus von dannen.
»Ich begreife«, sprach jetzt der kleine Geheime Rat, »ich begreife dich heute gar nicht, lieber Johannes, mit deiner unbeschreiblichen Sanftmut! – Wie war es dir möglich, das durchaus abgeschmackte Zeug so ruhig, so aufmerksam anzuhören! – Angst und bange wurde mir, als der Leutenant uns, die wir, unbewacht, keine Gefahr ahnten, überfiel und uns rettungslos eingarnte in die tausendfältigen Schlingen seiner endlosen Verse! – Ich dachte, jeden Augenblick würdest du dazwischenfahren, wie du es sonst wohl tust bei geringem Anlaß; aber du bleibst ruhig, ja, dein Blick spricht Wohlgefallen aus, und am Ende, nachdem ich für meine Person ganz schwach und elend geworden, fertigst du den Unglückseligen ab mit einer Ironie, die er nicht einmal zu fassen imstande, und sagst ihm wenigstens nicht zur Warnung für künftige Fälle, daß das Ding viel zu lang sei und merklich amputiert werden müsse.«
»Ach«, erwiderte Kreisler, »ach, was hätte ich denn ausgerichtet mit diesem kläglichen Rat! – Kann denn ein prägnanter Dichter wie unser lieber Leutenant wohl mit Nutzen irgendeine Amputation an seinen Versen vornehmen, wachsen sie ihm nicht nach unter der Hand? – Und weißt du denn nicht, daß überhaupt die Verse unserer jungen Dichter die Reproduktionskraft