Skandale. Walter Brendel

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Skandale - Walter Brendel

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vermerkten die Ermittler. Offenbar wurde Rosemarie von einem Besucher niedergeschlagen, wo sie sich eine stark blutende Platzwunde zuzog. Aber sie ist nicht bewusstlos. Sie greift nach dem Telefon, um Hilfe zu rufen, doch ihr Mörder ist schneller. Minuten später liegt sie tot am Boden.

      Im Hessischen Staatsarchiv lagern bis heute die Freier-Fotos, die Tatort-Fotos und die Berichte der Polizei, die Rosemarie gefunden haben. Mordermittler Petermann kann davon ableiten, was am Tattag in der Wohnung geschah. „Es spricht für eine eskalierende Situation. Es spricht nicht für eine Tatplanung, dem Täter schien gar nicht bewusst gewesen zu sein, wie er das Opfer angreifen sollte. Das hat sich nach und nach ergeben, die Situation hat sich hochgeschaukelt. Die Beteiligten haben gestritten, es kam zum Krach und der Täter explodierte förmlich und schlug zu.“

      Der Todeszeitpunkt hat sich nie genau bestimmen lassen, da die beiden Polizeibeamten, die die Leiche gefunden haben, zuallererst das Fenster im Wohnzimmer aufgerissen haben, weil es wirklich furchtbar in der Wohnung gerochen hat. Da aber war die Temperatur noch nicht gemessen wurden und damit gab es nie einen exakten Todeszeitpunkt und eine möglich exakte Bestimmung von Alibis.

      Zusammenfassend: Am Nachmittag des 1. November 1957 fand die Polizeistreife „Frank 40“ Rosemarie Nitribitt mit eingeschlagenem Schädel in ihrer Wohnung in der Stiftstrasse auf. Die Leiche der 24-Jährigen lag auf dem Perserteppich vor dem Sofa. Ihr anthrazitfarbenes Kostüm war hochgerutscht, ein Strumpfhalter sichtbar. Fenster und Gardinen waren geschlossen. Es war dunkel und stank bestialisch. Im Schlafzimmer winselte der eingesperrte Pudel. Die Fußbodenheizung lief auf Hochtouren, Nitribitts Gesicht war blutverkrustet und grotesk aufgedunsen, die Verwesung hatte in der Hitze bereits eingesetzt.

      Axel Petermann rekonstruiert die letzten Minuten im Leben der Rosemarie Nitribitt. Wenn der Ermittler weiß, was am Tatort passiert ist, kann er wichtige Rückschlüsse auf dem Mörder ziehen. Wo finden sich Blutspuren? Wurden Möbel verschoben oder umgeworfen? Dazu überträgt er alle Details von Fotos und Berichten der Mordkommission in eine Zeichnung. Ergebnis: Rosemarie wurde in der finalen Lage erwürgt.

      Noch in der Nacht nach ihrem Auffinden wird Rosemarie Nitribitt obduziert. Sehr genau beschreiben die Rechtsmediziner jede Verletzung. Auch diese Details überträgt der Mordermittler in eine Skizze.

      Nach dem Auffinden der Leiche ist der Polizei schnell klar, wer da ermordet wurde. Entsprechend groß ist der Auftrieb am Tatort. Ermittler Horst Werner Radoi sagt aus: „Ich bin gegen 18.15 Uhr am Tatort eingetroffen und wurde von vier Kollegen erwartet. Zwei davon waren Schutzpolizisten und einer hat mich sofort unterrichtet, dass es sich um die Nitribitt handelt, die uns ja bekannt war, bis gegen 20 Uhr kamen immer mehr Kriminalisten und Kriminaltechniker in die Wohnung, so dass am Ende 26 Personen anwesend waren, was meines Erachtens und an der Spurensuche und weiteren Ermittlungen beeinträchtigte.“ Im Klartext: Die Polizei war erst einmal hilflos am Tatort überfordert und nachlässig. Eine ganze Reihe von Leuten lief durch die Wohnung, nicht nur Polizisten, sondern auch schon Journalisten. Die durften in die Wohnung rein, durften in der Wohnung rauchen, durften sich ansehen, was sie wollten.

      Auf einer Kommode steht ein großer Bilderrahmen mit mehreren Fotos, darunter auch eine Aufnahme des Krupp-Erben. Ein Beamter lässt das Bild verschwinden. Auf späteren Tatortfotos taucht daher das Bild nicht mehr auf. Die Polizei ist von Anfang an bemüht, die prominenten Kunden der Nitribitt zu schützen. Wohl wissend, dass die Journalisten schlüpfrige Sensationen wittern. Das Medienecho war riesig, erst einmal in Frankfurt, weil sie dort allen Journalisten bekannt war. Sie wussten alle, wer sie war, wovon sie lebt und wer das blonde Mädchen im Auto ist. Da war das Medien-Echo riesengroß und als sich dann herausgestellt hat, dass sie Kontakt in erste Kreise des Wirtschaftswunders hatte, gab es folgerichtig auch ein überregionales Medieninteresse, was die Ermittler entsprechend unter Druck gesetzt hat. Die Diskretion der Polizei sorgt für viele Spekulationen und täglich für neue Schlagzeilen. Und so konnten düstere Legenden wuchern. „War die ‹blonde Rosemarie› eine Agentin des Ostens?“, rätselte die Frankfurter „Abendpost“. „Wurde Rosemarie Nitribitt telefonisch hypnotisiert?“, fragte sich die „Welt“ ernsthaft. Der Nitribitt-Skandal ist der Aufreger des Jahres.

      Dass Nitribitt die Gespräche ihrer stöhnenden Besucher oft heimlich auf Tonband aufzeichnete, wussten diese nicht. Warum sie das überhaupt tat, wird man wohl nie wissen.

      Auch damals wussten die Leute bereits, dass es Bordelle gibt und dass dort Männer hingehen. Es zeigte aber auch welche Gesellschaft dahingeht und welche Gesellschaftskreise Kontakt zu Edelprostituierten suchten. Das fand man spannend, denn es einen ganzen Schleier vom bürgerlichen Geschwafel über Familie und christliche Werte. Das war damals so verlogen, wie es das auch heute noch ist.

      Es gibt eigentlich zwei Skandale. Zu einem, wie kann mal als Prostituierte so viel Geld verdienen, denn die Vermögenslage der Nitribitt wurde ja nach und nach bekannt und der zweite Skandal war, warum findet man den Täter nicht.

      Als der Mord an der Prostituierten Nitribitt bekannt wurde, empörte die Öffentlichkeit daran vor allem „die Tatsache, dass man damit reich werden konnte“, schreibt Christian Steiger in seiner akribisch recherchierten „Autopsie eines deutschen Skandals“. 1954 verdiente Nitribitt netto siebenmal mehr als ein durchschnittlicher Bundesbürger im Jahr brutto. Nitribitt vererbte ihrer Mutter 70 000 DM aus zehn Monaten Arbeit 1957. „Nur manche der Männer, die sie besuchen, verdienen mehr als Rosemarie Nitribitt“, so Steiger.

      Im Grunde hat Rosemarie Nitribitt nicht nur dem oberen Drittel Deutschlands Dienste erwiesen. Immerhin zeigte die Hure im Pelzmantel, dass die Deutschen wieder wer waren. Ein Callgirl nannte man in den Folgejahren eine Nitribitt, so wie man um ein Tempo bittet, wenn man ein Papiertaschentuch möchte.

      Der Druck auf die Ermittler ist gewaltig. Hinzu kommt die verworrene Spurenlage. Theoretisch kommt jeder Freier als Täter in Frage. Der Kreis der Verdächtigten ist so ungewöhnlich groß. Allein im Kalender der Nitribitt finden sich über 60 Namen. Es gab eine Unzahl von Spuren und von Hinweisen in aller Welt. Es gab griechische Offiziere, es gab britische Kaufleute, es gab eine britischen Schriftsteller, mit dem sie eine enge Beziehung hatte und der nicht wusste, wovon sie lebt und der dann furchtbar enttäuscht, weil er sich in Rosemarie ernstlich verliebt hatte. Es gab amerikanische Flugkapitäne, saudische Prinzen – eine riesige Anzahl von Kontakten.

      Das entscheidende am Fall Nitribitt ist, dass - wenn sie mit normalem Menschen Kontakt gehabt hätte – wäre es nicht so kompliziert gewesen. Aber die große Anzahl von Politikern, Wirtschaftsbossen, Generälen, Vorstandsvorsitzende – das war schon allerhand.

      Um möglichst viele der Freier zu befragen und Einzelheiten erfahren zu können, setzt die Polizei die Männer unter Druck, mir einem Aufruf in Radio. So im Hessischen Rundfunk am 03.11.1957: „In der Frankfurter Wohnung der 24jährigen Ermordeten Rosemarie Nitribitt ist eine große Anzahl Fotos von Männern und Frauen gefunden wurden, deren Personalien noch nicht festgestellt werden konnte. Die Frankfurter Kriminalpolizei fordert diese Personen in ihrem eigenen Interesse auf, sich umgehend zu melden, weil sich zunächst auf diesem Weg versucht werden soll, die Identität festzustellen.“

      Man wollte den Männern diskret zu verstehen geben, die Polizei zu kontaktieren, bevor sie selbst von Polizisten besucht oder angerufen werden. Absolute Diskretion wurde zugesichert.

      Vor allem die ganz prominenten Freier müssen sich um ihren Ruf keine Sorgen machen. Die Polizei nahm sich ihrer fast fürsorglich an - interessierten sich bei Industriellenerbe Gunter Sachs mehr für die Direkteinspritzung seines 300-SL-Flügeltürers als für sein Alibi und fanden das Alibi „Golfunterricht“ von Krupp-Erbe Harald von Bohlen und Halbach überzeugender als dessen Fingerabdrücke auf einer angebrochene Flasche Beaujolais in Nitribitts Wohnung. Harald von Bohlen und Halbach wurde extra an einem Sonntag im Frankfurter Polizeipräsidium vernommen und auch sonst kommen ihm die Mordermittler großzügig entgegen. Es wurde durch den rückwärtigen Eingang hereingelassen,

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