Das einfache Leben. Ernst Wiechert
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Das könne wohl möglich sein, meinte der Mann langsam, und wenn er auch hier in der Gegend nichts wisse, vielmehr alles in festen Händen sei, so könne er ihm doch hier und da einen Namen an den Seen sagen, wo er Bescheid und wohl auch Rat finden werde. Denn es sei viel Unruhe in der Landschaft, nicht nur wegen der Angst vor den Polen, sondern es sei überall auch wie bei ihnen selbst, daß die jungen Leute den Dienst aufsagten, nicht nur, weil es ihnen zu einsam sei, sondern auch weil sie meinten, die Arbeit werde nun abgeschafft oder mindestens denen aufgelegt, die bisher nach ihrer Meinung nicht gearbeitet hätten. So seien auch sie allein geblieben, und Knecht und Magd seien des Weges gegangen, in die Hauptstadt der Provinz, wo sie nun wahrscheinlich schon auf einem goldenen Throne säßen.
Nur eines scheine ihm bedenklich, daß der Herr bei aller schweren Arbeit auf See doch so zarte Hände behalten habe und daß es ihm vielleicht nicht leichtfallen könnte, bei allem guten Willen, an dem er nicht zweifle, dies harte Handwerk zu ergreifen.
Darüber beruhigte ihn Thomas nun, schrieb sich auch die Namen in sein Taschenbuch, die der Mann ihm nannte, und bat schließlich, daß er zusammen mit ihnen hier in der Küche essen dürfte, wo es warm sei, er ihnen Mühe erspare und er sich schließlich auch gleich zu Beginn an die Welt gewöhne, in der er doch nun sich einrichten wolle.
Beim Essen, vor dem die Frau ein Gebet gesprochen hatte, erfuhr er, daß sie einer religiösen Gemeinschaft angehörten, die in der Gegend weit verbreitet sei, daß sie mit Sorgen auf den Gang der Zeit blickten und einige von ihnen sogar der Meinung seien, daß die Gesichte des heiligen Johannes sich nun bald erfüllen würden.
Dem widersprach nun Thomas, meinte, daß das deutsche Volk auch aus diesen Zeiten der Wirrnis sich wiederaufrichten werde, und berichtete auch von seinem Besuch bei dem Pfarrer, der ihn recht eigentlich auf diesen Weg gebracht habe und bei dem er wieder gelernt habe, wie gefährlich es sei, ganze Klassen oder Stände oder Berufe leichthin abzuurteilen, da wir ja doch nie mehr als einzelne Menschen unter ihnen kennten.
Dann ging das Gespräch auf seine Fahrten und die Seeschlachten des Krieges und wieder zurück zu Schicksalen und Gebräuchen dieser Landschaft, indes sie ihre kurzen Pfeifen rauchten, die Frau ihr Strickzeug in den Händen hielt und die Kinder atemlos auf seine Reden lauschten, als sei Sindbad der Seefahrer aus den vertrauten Kiefernwäldern aufgestanden, um seinen Glanz über ihr Leben zu legen.
Und als Thomas ihnen gute Nacht bot und die schmale Treppe zu seinem Schlafraum hinaufstieg, ein Licht in der Hand, schien das Ganze ihm als ein schönes Tor zu seiner neuen Welt, voll guter Vorbedeutung und von allem Gewohnten und Vergangenen wie durch Jahrzehnte geschieden.
Immer tiefer nahm das Land ihn nun auf. Tag für Tag fuhr er an den Seen entlang und von Dorf zu Dorf, mitunter verweilend, wenn ihn etwas zu halten schien. Die Witterung wechselte in den Zeiten der Nacht- und Taggleiche, Stürme und Regen fielen über das Land, und eines Abends trieb sogar der Schnee in weißen Streifen zwischen den grauen Stämmen hin. Dann aber gewann die Sonne wieder das Feld, trocknete Straßen und Pfade, das Eis in den Buchten schmolz, und über der jungen Saat hingen hoch im Blau die singenden Lerchen. Immer aber gingen die großen Wälder mit ihm mit, wechselnd zwischen Laub- und Nadelholz, aufblauend, erglühend und sich wieder verdunkelnd mit dem Gang der Sonne, und mit ihnen die strenge und reine Luft, die das Atmen leicht machte und die sorgenlosen Jahre wieder heraufrief, als er hoch über Segeln und Meer im Mastkorb gesessen hatte.
Der Rat des Mannes aus dem Waldkrug hatte sich als nützlich erwiesen, einige Angebote fand er gut und sogar verlockend, doch hielt er die Zusage noch hin, weil ihm das Letzte noch zu fehlen schien, die jähe Zustimmung des Herzens, von der er meinte, daß sie einmal kommen werde, und die ihm wichtiger schien als Verstand und kühle Berechnung.
So kam er am späten Nachmittag des zehnten Tages zu einem Meilenstein an einer breiten Landstraße, von dem ein schmaler Weg zu einer Försterei abbog, und da der Wald ihm schöner schien als jeder andere, den er bisher durchfahren hatte, von Birkenschonungen und alten Eichen durchsetzt, so ließ er den breiten Weg und meinte, er werde zur Nacht schon unterkommen, wenn nicht im Forsthaus, so doch wenigstens in einer Feldscheune oder in einem der Wildheuhaufen, die er hier und da in den Schonungen angetroffen hatte. Die Luft war milder geworden, ein südlicher Wind ging durch den Wald und brachte den schweren Duft des Seidelbastes mit, der an den sonnigen Hängen blühte.
Der Förster trat aus dem Hoftor, als Thomas das Gehöft erreichte. Er war ein großer, gebeugt gehender Mann, die Schläfen unter dem Hut schimmerten schon weiß, und der Blick seiner ganz hellen Augen ging durch Thomas hindurch, als sehe er gar nicht ihn, sondern hinter ihm einen anderen, der unbemerkt in seinen Spuren stände. So einsam schien er Thomas vor dem schweigenden Gehöft, daß er meinte, es sei nicht recht, ihn anzusprechen und seine Bitte vorzutragen, so daß er stumm dastand, die Hände auf der Lenkstange des Rades und den Fuß schon wieder auf dem linken Pedal, als sei er sofort bereit, umzukehren, wenn jener den Wunsch dazu zu erkennen gebe.
Doch trat der Förster wider Erwarten auf ihn zu, hob die Hand grüßend an den Hut und fragte ihn mit leiser Stimme ohne Vorbereitung, ob er ein Seemann sei. Und als Thomas das mit einiger Verwirrung bejahte, nahm der andere ihn sanft beim Arm, bat ihn, ein Stück Weges mit ihm mitzukommen, und meinte dann, als der Wald sie schon wieder aufgenommen hatte, er dürfe nicht verwundert sein, es habe jeder harte Beruf seine Kennzeichen und wäre es hier auch nur eine bestimmte Helligkeit der Augen und die Schärfe der Linien von den Nasenflügeln zum Munde. Zudem kenne er sich etwas aus unter Seeleuten, da sein Sohn selbst einer gewesen sei, und es freue ihn, hier in seinem Walde einen wiederzusehen, der wahrscheinlich auch »dabeigewesen« sei.
Ja, dabeigewesen sei er allerdings, erwiderte Thomas.
Das habe er gedacht, meinte der Förster, und er brauche nun vor seinem Hause nicht umzukehren, sei als Gast willkommen und müßte ihn zuerst nur auf den Schnepfenzug begleiten, da er gern zunächst allein mit ihm sein möchte. Etwas wunderlich sei seine Frau, ja vielleicht sogar sehr wunderlich, wie nach dem Kriege ja überhaupt seltsame Menschen übriggeblieben seien, als habe der Tod sie nicht gewollt nach all dem jungen Blut, das er getrunken habe.
Zuerst schwieg Thomas, auf eine merkwürdige Weise ergriffen von der Art dieses Mannes, der wie nach einer langen Krankheit sprach, leise, eilig, als wisse er nicht genau, ob die Gespenster des Fiebers noch um ihn ständen oder ob er schon voller Vertrauen zu den Wachenden und Gesunden von den Gesichtern seiner Träume sprechen dürfe. Dann aber begann er zu erklären, wer er sei – immer noch der Steuermann auf großen Dampfern – und weshalb er hier sich umsehe. Auch daß er eigentlich vorgehabt habe, der großen Straße bis zur Stadt zu folgen, und nur etwas nicht Bewußtes ihn veranlaßt habe, zur Försterei zu fahren. Wahrscheinlich, weil der Wald ihm so gut und vertraut vorgekommen sei, oder auch nur, weil der Südwind ihn müde gemacht habe.
Der Alte nickte dazu, auf eine sichere Weise, als wisse er das besser, und meinte, sie würden eine gute Nachbarschaft halten. Er sei dessen gewiß, denn er zweifle nicht daran, daß hier das Ziel des Gastes erreicht sei; doch wollten sie erst später darüber sprechen, jetzt aber ihren Stand einnehmen.
Sie waren unterdes an den Rand niedriger Schonungen gekommen, gingen einen grasbewachsenen Weg hinaus, bis sie über einem kleinen Bruch standen, in dessen Wasserblänken der Abendhimmel sich spiegelte, und blieben dann zwischen ein paar Wacholderbüschen, der Förster auf seinem Sitzstock und Thomas auf einem der breiten Baumstümpfe, die die Sonne des Tages eingesogen hatten.
Noch