Schaum-Welt-Komfort. Paul-Heinz Schwan

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Schaum-Welt-Komfort - Paul-Heinz Schwan Begleittext zu Peter Sloterdijk Sphären Band III: Schäume

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klimatischen Gegebenheiten beziehen sich immer mehr auf die Bevölkerungen denen das Wetter in Bezug auf ihre Projekte nicht gleichgültig ist; weil das objektive Klima zunehmend als Effekt der Industriegesellschaftlichen Lebensform beschrieben wird. Neuzeitliche Menschen sind Wetterklienten und Wettermitverursacher. Sie erlauben sich Urteile über Sachverhalte in die sich frühere nur in stummer Ergebenheit fügen durften.

      Europäische Kulturen sind selber Klimamächte geworden. Die Menschen begegnen seither im Wetter den atmosphärischen Auswürfen ihrer eigenen industriell-chemotechnischen, militärischen, lokomotorischen und touristischen Tätigkeiten. Eine Meinung über das Klima zu haben bereitet den Wandel der Grundhaltung vor, sich vom „Herren“ und „Besitzer“ der Natur zu Atmosphärendesigner und Klimawärtern umzubilden –man sollte sie nicht mit Heideggers „Hüter des Seins“ verwechseln.

      Hier begegnet man nun dem anthropogenen Treibhauseffekt als die Klimaspur eines zivilisatorischen Projekts, das auf den erleichterten Zugang zu großen Mengen fossiler Brennstoffen dank Kohlebergbau und Ölförderung beruht. Beide sind die objektive Stütze der Frivolität, ohne die es keine globale Konsumgesellschaft, keinen Automobilismus, keinen Weltmarkt für Fleisch und Mode gäbe.

      Zunächst gilt, dass ohne den natürlichen, primären Treibhauseffekt die Erde eine ausgedehnte Eiswüste wäre. Dieser entsteht, weil Wasserdampf und Treibhausgase in der Erdatmosphäre die Rückstrahlung der von der Sonne aufgenommenen kurzwelligen Energie in Form von langwelligen Infrarotstrahlungen behindern. Hierdurch konnte eine mit Leben kompatible Erwärmung auf plus 15Grad entstehen.

      Leben ist ein Nebeneffekt klimatischer Verwöhnung. Die Signatur des Fossilenergie-Zeitalters zeigt sich darin, dass die Verwöhnten leichtsinnig genug wurden, ihre Verwöhnung aufs Spiel zu setzen, indem sie das Risiko einer anthropogenen Übererwärmung - oder evtl. das einer Zwischeneiszeit- eingehen.

      Zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert kam es zu jener design- gestützten „Entdeckung des Offenkundigen“ durch welche Menschen im Explikationszeitalter motiviert wurden zu einem zweiten Griff nach dem was auf der Hand lag: die Popularisierung des vormals herrschaftlichen-luxeriösen-frivolen bis hin zur aromatechnischen Modifikation der Atmosphäre, mit der sich der Übergang ins offensive Air Design vollzieht und damit eine Antwort auf die verspätete Einsicht, dass menschliches In-der-Welt-Sein sich immer und ohne Ausnahme als Modifikation von In-der-Luft-Sein darstellt.

      Sobald die Luftabhängigkeit der Menschen in prinzipieller Tonart artikuliert wird, drängt sich auch eine entsprechende Emanzipation auf. Sie fordert und erlangt die aktive Gestaltung des Elements. Das Air Design tritt der Luft in der Haltung praktischer Stärke „gegenüber“. Sie schlägt gewissermaßen die Fortsetzung des privaten Parfumgebrauchs mit öffentlichen Mitteln vor, sie dient dem Zweck die Luft-Passanten durch geruchsinduzierte angenehme Situationszumutungen an den Ort zu binden und eine erhöhte Produktbejahung und Kaufbereitschaft bei ihnen hervorzulocken.

      Die Gestaltung von Atemumgebungen dehnt das Prinzip Innenarchitektur auf das sonst unmerkliche Lebensmilieu, das Gas- und Aroma-Envierement, aus.

      Vergessen wir nicht, dass die heutige sogenannte Konsum- und Ereignisgesellschaft im Treibhaus erfunden wurde – in jener Glasüberdachten Passsagen des frühen 19. Jhdt., eine frühe Stufe der urbanistischen Atmosphärenexplikation, eine Ausstülpung der „Wohnsüchtigen“ Disposition.

      Wohnsucht sagt Walter Benjamin, ist der unwiderstehliche Trieb, in beliebigen Umgebungen „ein Gehäuse zu prägen“. Schon bei Benjamin ist das „überzeitliche“ Bedürfnis der Uterus-Simulation mit den symbolischen Formen einer konkreten historischen Situation zusammen gedacht worden.

      Das 20. Jhdt. zeigt in seinen Großbauten, wieweit solche Gebäude über die Bedürfnisse der Suche nach einem wohnlichen Interieur hinausgetrieben wurden.

      Sie werden von der Aufgabe entbunden, Häuslichkeit vorzutäuschen. Das Passagenwerk müsste heute Air-Condition-Werk heißen.

      1936, in einer Festrede von Elias Canetti auf Hermann Brochs 50. Geburtstag, sprach Canetti über das Verhältnis zwischen dem Autor und seiner Epoche. Dabei definierte er den Aufenthalt des Künstlers als einen Atem-Zusammenhang, als eines Eintauchens in die atmosphärischen Zustände der Gegenwart.

      Canetti lobt an Broch das Vermögen, jeden Menschen gleichsam ökologisch aufzufassen: Er erkenne an jeder Person eine singuläre Existenz in ihrer eigenen Atemluft, von einer unverkennbaren Klimahülle umgeben, in einen persönlichen ‚Atemhaushalt‘ eingegliedert, …“das die Vielfalt unserer Welt zum guten Teil auch aus der Vielfalt unserer Atemräume besteht.“

      Dadurch wird das Entfremdungsmotiv in der Moderne auf veränderte Grundlagen gestellt: Es ist die atmosphärische Getrenntheit der Menschen, die für ihren Einschluss in jeweils eigene „Atemhaushalte“ sorgt; ihre Schwererreichbarkeit durch die Andergestimmten, Andersumhüllten, Andersklimatisierten. Die Zerspaltenheit der sozialen Welt in füreinander unzugänglichen Eigensinn-Zonen ist das moralische Analogon zur mikroklimatischen „Zersplitterung der Atmosphären“ die ihrerseits einer Zersplitterung der „Wertewelt“ entspricht.

      Canetti erkennt in Broch den prophetischen Warner von einer Menschheits-Gefährdung ohne Beispiel, die im metaphorischen wie im physikalischen Sinn vom Atmosphärischen her droht: der Wehrlosigkeit des Atems.

      Die Luft sei die letzte Allmende. Sie kommt allen zu, auch der Ärmste darf von ihr nehmen. Und dieses Letzte, das uns allen gemeinsam war, soll uns alle gemeinsam vergiften. Der Atomterrorismus im Ersten Weltkrieg habe sich nach innen gewendet.

      Aus der gemeinsam geatmeten Luft, aus dem Äther des Kollektiven, wird künftig die wahnverfallende Gemeinschaft den Giftkrieg gegen sich selber führen.

      Wie? das sollte eine Theorie der „Dämmerzustände“ klären – ein fragmentarisch gebliebener Teil in Brochs massenpsychologischen Hypothesen.

      Dämmerzustände sind solche, in denen Menschen sich als Trendbefolger unter der Trance des Normalen bewegen. Durch toxische Kommunion werden sie zusammengehalten, eine Identität durch gemeinsame Bedrohtheit. Was in der Luft liegt, wird durch totalitäre zirkuläre Kommunikation in sie gelegt: Sie ist erfüllt von Siegesträumen gekränkter Massen und ihren rauschhaften, empirie-fernen Selbsterhöhungen, denen das Verlangen nach der Erniedrigung ihrer Gegner wie ein Schatten folgt.

      Das Leben im Medienstaat gleicht dem Aufenthalt in einem von Erlebnisgiften animierten Gaspalast.

      An diesem Ansatz arbeitet Broch seit 1939 während des ganzen Jahrzehnts.

      Träger und Agens von Wahnbildungen in modernen Kollektiven sind seit den zwanziger Jahren des abgelaufenen Jhdt. Dauerkommunikation durch Presse und Rundfunk: Enthemmungsmedien in denen Phrasen wahr werden. Sie bilden das informatorische Analogon zur chemischen Kriegsführung. Broch erfasst den Parallelismus zwischen Gaskrieg und der Erzeugung von Massenwahnzuständen als dem Versuch die Bevölkerung in eine zu ihrer Selbstzerstörung hinreichende, durch Verlangen nach „Superbefriedigung“ überladene ekstatische Atmosphäre einzutauchen.

      Die Einzelnen: sie sind „Schlafwandler“, die sich im „sozialen Tagtraum“ ihrer Organisation wie ferngesteuert zu bewegen. Sie sammeln sich unter Parolen und Fahnen wie Miteigentümer an Luftschlössern. Broch geht es um die Prophylaxe der Mitgerissenheit, in ihrem therapeutischen Teil mit der Zurückführung der Ergriffenen in die lebbare Rationalität eines ‚offenen Systems‘ – alias Demokratie oder Gewaltenteilung der Paniken und Hysterien: einer Besiegung des Siegs“; den Siegestaumel durch Siegestrauer zu ersetzen.

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