Frühlings Erwachen. Франк Ведекинд
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Otto Ich gehe nach Hause.
Georg Ich auch, Arbeiten machen.
Ernst Ich auch, ich auch.
Robert Gute Nacht, Melchior.
Melchior Schlaft wohl!
Alle entfernen sich bis auf Moritz und Melchior.
Melchior Möchte doch wissen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind!
Moritz Lieber wollt' ich ein Droschkengaul sein um der Schule willen! – Wozu gehen wir in die Schule? – Wir gehen in die Schule, damit man uns examinieren kann! – Und wozu examiniert man uns? – Damit wir durchfallen. – Sieben müssen ja durchfallen, schon weil das Klassenzimmer oben nur sechzig faßt. – Mir ist so eigentümlich seit Weihnachten... hol mich der Teufel, wäre Papa nicht, heut noch schnürt' ich mein Bündel und ginge nach Altona!
Melchior Reden wir von etwas anderem. –
Sie gehen spazieren.
Moritz Siehst du die schwarze Katze dort mit dem emporgereckten Schweif?
Melchior Glaubst du an Vorbedeutungen?
Moritz Ich weiß nicht recht. – – Sie kam von drüben her. Es hat nichts zu sagen.
Melchior Ich glaube, das ist eine Charybdis, in die jeder stürzt, der sich aus der Skylla religiösen Irrwahns emporgerungen. – – Laß uns hier unter der Buche Platz nehmen. Der Tauwind fegt über die Berge. Jetzt möchte ich droben im Wald eine junge Dryade sein, die sich die ganze lange Nacht in den höchsten Wipfeln wiegen und schaukeln läßt.
Moritz Knöpf dir die Weste auf, Melchior!
Melchior Ha – wie das einem die Kleider bläht!
Moritz Es wird weiß Gott so stockfinster, daß man die Hand nicht vor den Augen sieht. Wo bist du eigentlich? – – Glaubst du nicht auch, Melchior, daß das Schamgefühl im Menschen nur ein Produkt seiner Erziehung ist?
Melchior Darüber habe ich erst vorgestern noch nachgedacht. Es scheint mir immerhin tief eingewurzelt in der menschlichen Natur. Denke dir, du sollst dich vollständig entkleiden vor deinem besten Freund. Du wirst es nicht tun, wenn er es nicht zugleich auch tut. – Es ist eben auch mehr oder weniger Modesache.
Moritz Ich habe mir schon gedacht, wenn ich Kinder habe, Knaben und Mädchen, so lasse ich sie von früh auf im nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demselben Lager, zusammenschlafen, lasse ich sie morgens und abends beim An- und Auskleiden einander behilflich sein und in der heißen Jahreszeit, die Knaben sowohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunika aus weißem Wollstoff tragen. – Mir ist, sie müßten, wenn sie so heranwachsen, später ruhiger sein, als wir es in der Regel sind.
Melchior Das glaube ich entschieden, Moritz! – Die Frage ist nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?
Moritz Wieso Kinder bekommen?
Melchior Ich glaube in dieser Hinsicht nämlich an einen gewissen Instinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Beispiel mit einer Katze von Jugend auf zusammensperrt und beide von jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. sie ganz nur ihren eigenen Trieben überläßt – daß die Katze früher oder später doch einmal trächtig wird, obgleich sie sowohl wie der Kater niemand hatten, dessen Beispiel ihnen hätte die Augen öffnen können.
Moritz Bei Tieren muß sich das ja schließlich von selbst ergeben.
Melchior Bei Menschen glaube ich erst recht! Ich bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein und demselben Lager schlafen und es kommen ihnen nun unversehens die ersten männlichen Regungen – ich möchte mit jedermann eine Wette eingehen...
Moritz Darin magst du recht haben. – Aber immerhin...
Melchior Und bei deinen Mädchen wäre es im entsprechenden Alter vollkommen das nämliche! Nicht, daß das Mädchen gerade... man kann das ja freilich so genau nicht beurteilen... Jedenfalls wäre vorauszusetzen... und die Neugierde würde das ihrige zu tun auch nicht verabsäumen!
Moritz Eine Frage beiläufig –
Melchior Nun?
Moritz Aber du antwortest?
Melchior Natürlich!
Moritz Wahr?!
Melchior Meine Hand darauf. – – Nun, Moritz?
Moritz Hast du den Aufsatz schon??
Melchior So sprich doch frisch von der Leber weg! – Hier hört und sieht uns ja niemand.
Moritz Selbstverständlich müßten meine Kinder nämlich tagsüber arbeiten, in Hof und Garten, oder sich durch Spiele zerstreuen, die mit körperlicher Anstrengung verbunden sind. Sie müßten reiten, turnen, klettern und vor allen Dingen nachts nicht so weich schlafen wie wir. Wir sind schrecklich verweichlicht. – Ich glaube, man träumt gar nicht, wenn man hart schläft.
Melchior Ich schlafe von jetzt bis nach der Weinlese überhaupt nur in meiner Hängematte. Ich habe mein Bett hinter den Ofen gestellt. Es ist zum Zusammenklappen. – Vergangenen Winter träumte mir einmal, ich hätte unsern Lolo so lange gepeitscht, bis er kein Glied mehr rührte. Das war das Grauenhafteste, was ich je geträumt habe. – Was siehst du mich so sonderbar an?
Moritz Hast du sie schon empfunden?
Melchior Was?
Moritz Wie sagtest du?
Melchior Männliche Regungen?
Moritz M-hm.
Melchior – Allerdings!
Moritz Ich auch – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Melchior Ich kenne das nämlich schon lange! – Schon bald ein Jahr.
Moritz Ich war wie vom Blitz gerührt.
Melchior Du hattest geträumt?
Moritz Aber nur ganz kurz... von Beinen im himmelblauen Trikot, die über das Katheder steigen – um aufrichtig zu sein, ich dachte, sie wollten hinüber. – Ich habe sie nur flüchtig gesehen.
Melchior Georg Zirschnitz träumte von seiner Mutter.
Moritz Hat er dir das erzählt?
Melchior Draußen am Galgensteg!
Moritz Wenn du wüßtest, was ich ausgestanden seit jener Nacht!
Melchior Gewissensbisse?
Moritz Gewissensbisse?? – – – Todesangst!
Melchior