Die Fünfundvierzig. Alexandre Dumas

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Die Fünfundvierzig - Alexandre Dumas

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vornehmer Stadtteil; der König kam häufig nach dem Schlosse von Vincennes, das, man in jener Zeit Bois de Vincennes nannte, und infolge der Hin- und Herfahrten des Hofes hatte diese Straße etwa die Wichtigkeit, wie heutzutage die Champs-Elysses.

      Die Priorei selbst bestand aus einem Viereck von Gebäuden, das einen ungeheuren, mit Bäumen bepflanzten Hof enthielt, und es gehörten dazu außer dem Gemüsegarten, der hinter dem Viereck lag, eine Menge von Baulichkeiten und Gartenstücken, die der Priorei die Ausdehnung eines Dorfes gaben.

      Zweihundert Jakobinermönche bewohnten die Schlafsäle, die im Hintergrunde des Hofes parallel mit der Straße lagen. Auf der Vorderseite verliehen vier Fenster mit einem einzigen eisernen, an diesen Fenstern hinlaufenden Balkon den Gemächern der Priorei Luft, Licht und Leben.

      Im Schoße dieser Priorei, einem wahren Paradies der Müßiggänger und der Wohlschmecker, wo Schlachtochsen, Schafe und Schweine und nicht minder ein besonders mit Burgunder reich besetzter Keller für des Leibes Notdurft sorgten, in der kostbaren Wohnung, deren Balkon auf die Straße geht, finden wir Gorenflot wieder, geschmückt mit einem Kinn mehr und mit jenem ehrwürdigen Ernste, den die beständige Gewohnheit der Ruhe und des Wohlbehagens auch den gemeinsten Gesichtern verleiht.

      In seinem schneeweißen Gewande, mit dem schwarzen Kragen, der seine breiten Schultern warm hält, hat Gorenflot nicht mehr so viel Freiheit der Bewegung, wie in seinem einfachen grauen Mönchskleide, aber er hat mehr Majestät. Breit wie eine Hammelkeule, stützt sich seine Hand auf einen Quartanten, den sie völlig bedeckt; seine dicken Füße drücken einen Wärmer nieder, und seine Arme sind nicht mehr lang genug, um einen Gürtel für seinen Bauch zu bilden.

      Es hat soeben halb acht Uhr geschlagen. Der Prior ist zuletzt aufgestanden; er pflegt die Regel zu benutzen, die dem Obersten eine Stunde Schlaf mehr gestattet, als den Mönchen, doch er setzt seine Nacht ruhig und gemütlich in einem Lehnstuhle mit Eiderdaunenkissen fort.

      Die Ausstattung des Zimmers, worin der würdige Abt schläft, ist mehr weltlich als religiös; ein Tisch mit gedrehten Füßen und mit einem reichen Teppich bedeckt, religiöse Gemälde galanter Art, eine seltsame Mischung von Liebe und Devotion, die man nur in jener Zeit in der Kunst findet, kostbare Gefäße für die Kirche oder die Tafel auf Schenktischen, an den Fenstern große Vorhänge von venetianischem Brokat, trotz ihres Alters glänzender, als die teuersten neuen Stoffe, dies find die Reichtümer, deren Besitzer Dom Gorenflot durch die Gnade Gottes, des Königs und besonders Chicots geworden war.

      Der Prior schlief also in seinem Lehnstuhl, während ihm der Tag seinen gewöhnlichen Besuch machte und mit seinen silbernen Lichtern die purpurnen und Perlmutterartigen Töne auf dem Gesichte des Schläfers liebkoste.

      Die Stubentür öffnet sich sacht, und zwei Mönche treten ein, ohne den Prior aufzuwecken.

      Der erste war ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, mager, bleich und nervös gekrümmt in seinem Jakobinergewand; er trug den Kopf hoch; wie ein Pfeil aus seinem Falkenauge schießend, befahl sein Blick, ehe er gesprochen hatte, und dennoch milderte sich dieser Blick durch das Spiel zweier weißer Augenlider, die beim Lenken den breiten blauen Kreis hervortreten ließen, von dem seine Augen begrenzt waren. Glänzte aber im Gegenteil dieser schwarze Augenstern zwischen diesen Brauen und der falben Umrahmung der Augenhöhle, so hätte man glauben sollen, es springe ein Blitz aus den Falten zweier kupferner Wolken hervor. Dieser Mönch hieß Bruder Borromée; er war seit drei Wochen Säckelmeister des Klosters.

      Der andere war ein jünger Mensch von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit lebhaften schwarzen Augen, kühner Miene, hervorspringendem Kinn, klein, aber gut gewachsen, der, wenn er seine weiten Ärmel zurückschlug, mit einem gewissen Stolz zwei nervige, behende Arme sehen ließ.

      »Der Prior schläft noch, Bruder Borromée,« sagte der jüngere von den beiden Mönchen zu dem anderen, »wecken wir ihn auf?«

      »Hüten wir uns wohl, Bruder Jacques,« erwiderte der Säckelmeister.

      »Es ist in der Tat schade, daß wir einen Prior haben, der so lange schläft,« versetzte der junge Bruder, »denn man hätte diesen Morgen die Waffen probieren können: habt Ihr gesehen, was für schöne Panzer und Büchsen darunter sind?«

      »Still, mein Bruder, man könnte Euch hören.«

      »Welch ein Unglück,« sagte der kleine Mönch, indem er mit dem Fuße auf den Boden stampfte, was jedoch durch den dicken Teppich gedämpft wurde; »welch ein Unglück, das Wetter ist heute so schön, der Hof ist so trocken, welch eine schöne Übung hätte man heute vornehmen können, Bruder Borromée!«

      »Man muß warten, mein Kind,« entgegnete Bruder Borromée mit einer geheuchelten Unterwürfigkeit, die durch das Feuer seiner Blicke Lügen gestraft wurde.

      »Aber warum befehlt Ihr nicht, daß die Waffen ausgeteilt werden?« sagte ungestüm Jacques, während er seine herabgefallenen Ärmel wieder zurückschlug.

      »Ich befehle nicht, Ihr wißt es wohl, mein Bruder,« erwiderte Borromée mit Salbung, »ist nicht der Herr da?«

      »In diesem Lehnstuhl, ... eingeschlafen, ... während alles wacht,« sagte Jacques mit einem weniger ehrfurchtsvollen, als ungeduldigen Tone, »der Herr?«

      Und ein Blick stolzen Verständnisses schien bis in die Tiefe des Herzens von Bruder Borromée dringen zu wollen.

      »Achten wir seinen Rang und seinen Schlummer,« sagte dieser, indem er mitten in das Zimmer trat, doch so unglücklich, daß er einen Schemel zu Boden warf.

      Obgleich der Teppich das Geräusch dämpfte, fuhr Dom Gorenflot doch bei diesem Lärm auf und erwachte.

      »Wer ist da?« rief er mit der bebenden Stimme einer eingeschlafenen Schildwache.

      »Ehrwürdiger Herr Prior,« sagte der Bruder Borromée, »verzeiht, wenn wir Eure fromme Meditation stören, aber ich komme, um Eure Befehle einzuholen.«

      »Ah! guten Morgen, Bruder Borromée,« sagte Gorenflot mit einem leichten Zeichen des Kopfes und fuhr nach einem Augenblick des Nachdenkens, in dem er offenbar alle Saiten seines Gedächtnisses angestrengt hatte, fort: »Welche Befehle?« – »In Beziehung auf die Waffen und Rüstungen.«

      »In Beziehung auf die Waffen und Rüstungen?« – »Allerdings, Eure Herrlichkeit hat befohlen, Waffen und Rüstungen herbeizuschaffen.«

      »Wem?« – »Mir.«

      »Bei Euch habe ich Waffen bestellt?« – »Ganz gewiß, ehrwürdiger Herr Prior,« antwortete Borromée mit gleichem, festem Tone.

      »Ich!« wiederholte Dom Modeste, im höchsten Maße erstaunt, »ich! und wann dies?« – »Vor acht Tagen.«

      »Ah! vor acht Tagen... Noch wozu Waffen?« – »Ihr sagtet mir, ehrwürdiger Herr, und ich will Eure eigenen Worte wiederholen. Ihr sagtet mir: .Bruder Borromée, es wäre gut, wenn man sich Waffen verschaffen würde, um unsere Mönche und Brüder zu bewaffnen; die gymnastischen Übungen entwickeln die Kräfte des Körpers, wie die frommen Ermahnungen die des Geistes entwickeln'.«

      »Ich habe das gesagt?« – »Ja, ehrwürdiger Herr Prior, und ich, ein unwürdiger, gehorsamer Bruder, beeilte mich, Eure Befehle zu vollziehen, und verschaffte mir Kriegswaffen.«

      »Das ist seltsam,« murmelte Gorenflot, »ich erinnere mich an nichts von dem allen.« – »Ehrwürdiger Herr Prior, Ihr fügtet sogar den lateinischen Text bei: Militat spiritu, militat gladio.«

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