TARZAN, DER UNBESIEGBARE. Edgar Rice Burroughs
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Man denke nur an den rohen Burschen, der ihn gerade durch die Bäume gejagt hatte. Dabei hatte Nkima gar nichts weiter getan als einen Stock auf die Nase des Großen geworfen, während der gerade in einer Astgabel lag und schlief. Und nur wegen dieses kleinen Scherzes hatte dieser Nkima in unverkennbar mörderischer Absicht gejagt. Es besteht kein Zweifel, dass der große Bursche mit Nkima kurzen Prozess gemacht haben würde, hätte er ihn erwischt. Nkima schien es noch nicht aufgegangen zu sein, dass ebenso wie auffällige Schönheit auch der übertriebene Sinn für Humor zu unglücklichen Komplikationen führen kann.
Traurig und müde dachte das Äffchen Nkima über die Ungerechtigkeiten dieses Lebens nach. Es gab aber noch einen anderen, viel wichtigeren Grund für die tiefe Trauer, die sein kleines Herz bedrückte. Vor vielen, vielen Monden war sein geliebter Herr und Meister fortgegangen. Nkima hatte daheim bleiben müssen. Gewiss. Nkima war in einem hübschen, bequemen Hause zurückgeblieben, wo freundliche Leute ihn fütterten. Aber er vermisste trotzdem den großen Tarmangani, dessen nackte, bronzene Schulter für ihn immer ein sicherer Zufluchtsort war, von wo aus er der bösen Welt die beleidigendsten Wahrheiten sagen durfte. Von Sehnsucht getrieben hatte Nkima sich kühn den Gefahren des Urwaldes entgegengestellt und suchte seit vielen Tagen im Dschungel nach seinem geliebten Tarzan.
Da man Herzen nicht nach Zentimetern, sondern nach dem Grad von Liebe und Treue, den sie erreichen, zu messen pflegt, war Nkimas Herz sehr groß. Es war so groß, dass ein Durchschnittsmensch sein eigenes Herz und sich selbst dahinter hätte verstecken können. Seit langer Zeit flammte ein bohrender Schmerz in der Brust des Äffchens. Seine Sehnsucht nach Tarzan wuchs ins Ungemessene. Zum Glück lässt sich ein Manuäffchen wie Nkima leicht von seinem großen Kummer ablenken. Ein Schmetterling oder eine fette Raupe können ganz plötzlich seine Aufmerksamkeit erwecken und ihn aus tiefstem Nachsinnen auffahren lassen. Und das war gut so. Denn sonst hätte sich Nkima gewiss zu Tode gegrämt.
Das Äffchen saß noch immer auf dem wippenden Ast und starrte, in traurige Gedanken verloren, in die grüne Hölle des Dschungels hinab. Plötzlich jedoch trug ihm der schwache Wind eine Witterung zu, die nicht zu den alltäglichen Dschungelgerüchen gehörte, die Nkima als ungefährlich vertraut waren. Sofort war er hellwach und spannte alle seine Sinne an. Seine scharfen Ohren vernahmen ein Geräusch, das nicht in den Alltag des Dschungels passte. Es war ein Misston. Und wer bringt schon Misstöne in den Dschungel oder dorthin, wo er gerade auftaucht? Nur der Mensch. Es waren Menschenstimmen, die Nkima aus seinem Nachsinnen geweckt hatten.
Ganz leise glitt der kleine Affe durch die Zweige und näherte sich der Gegend, aus der die Stimmen drangen. Schließlich wurde die Menschenwitterung immer stärker und brachte dem kleinen Jäger den letzten und sichersten Beweis, wen er vor sich hatte.
Man hat vielleicht schon einmal einen Hund beobachtet, der seinen Herrn auf große Entfernung gerade noch erkennt. Aber niemals ist ein Hund allein durch den Anblick davon überzeugt, seinen Herrn vor sich zu haben. Er muss immer hinlaufen und sich mit der Nase davon überzeugen, wen er vor sich hat.
Genau so war es mit Nkima. Seine Ohren hatten ihm die Nähe der Menschen verraten. Nun sagte ihm seine untrügliche Nase, dass die Menschen nicht mehr weit weg waren. Er betrachtete die zweibeinigen Wesen übrigens nicht als Menschen, sondern als große Affen. Es gab Gomangani, das waren große, schwarze Affen – nämlich Neger. Seine Nase verriet ihm, dass er Neger vor sich hatte und Tarmangani. Für Nkima waren dies große, weiße Affen, eine Einschätzung, über die ein Europäer sich gewiss nicht freuen würde.
Mit bebenden Nasenflügeln durchforschte Nkima die ihm von einem schwachen Wind zugetragene Witterung nach dem einen feinen Duft, den er liebte. Er suchte Tarzan. Aber sein großer Herr und Meister war nicht dabei. Das wusste das Äffchen schon, noch ehe es die Fremden erblickte.
Schließlich fand Nkima einen weit vorspringenden Ast, von dem aus er auf ein ziemlich großes und gut ausgestattetes Lager hinabblicken konnte. Dieses Lager war offensichtlich als fester Stützpunkt ausgebaut worden und für längere Benutzung eingerichtet. Es war keineswegs ein Camp, das nur für eine Nacht aufgeschlagen war. Man erblickte die Zelte der weißen Männer und die typischen Rundzelte der Araber. Das Lager war mit fast militärischer Ordnung angelegt. Hinter den Zeltreihen erhoben sich die Schutzhütten der Neger, die aus dem gerade vorhandenen Material des Busches und des Dschungels nur leicht und sorglos aufgeschlagen waren.
Mehrere Beduinen in weißen Burnussen saßen vor einem offenen Araberzelt und tranken ihren unvermeidlichen Kaffee. Im Schatten eines hohen Baumes saßen vier weiße Männer bei einem Kartenspiel. Auf einem Platz zwischen den Schutzhütten hatte sich eine Gruppe hochgewachsener Gallakrieger beim Minkalaspiel zusammengefunden. Außer diesen gab es noch Neger von verschiedenen anderen Stämmen im Lager. Nkima erkannte Männer von der Ostküste und aus Zentralafrika, und sogar vereinzelte Eingeborene von der Westküste.
Einen erfahrenen Afrikaforscher hätte diese seltsame Ansammlung verschiedener Rassen und Farben gewiss verwundert. Die Schwarzen waren so zahlreich, dass man sie keineswegs nur für Träger halten konnte. Die ganze Lagerausrüstung hätte für den einzelnen Neger kaum den Bruchteil einer normalen Trägerlast ausgemacht. Selbst wenn man einen größeren Teil der Neger zu den Askari zählen wollte, die keine Traglasten schleppen, sondern nur ihre Gewehre und die Munition tragen, wären es immer noch zu viele Schwarze gewesen.
Außerdem gab es in diesem Lager viel mehr Gewehre, als man zum Schutz einer größeren Jagdgruppe benötigt haben würde. Bei näherem Zusehen stellte man fest, dass es tatsächlich für jeden Mann ein Gewehr gab. Diese vielen Einzelheiten machten indessen auf Nkima keinen sonderlichen Eindruck. Was sein kleines Affengemüt mit Bestürzung erfüllte war die Tatsache, auf eine so große Anzahl fremder Tarmangani und Gomangani zu stoßen, mitten im Lande seines Herrn und Meisters. Und da für Nkima alle Fremden zugleich Feinde waren, war er verwirrt und ängstlich zugleich. Jetzt wünschte er sich noch sehnlicher, schnellstens Tarzans Spur ausfindig zu machen, um ihm zu erzählen, was in seinem Lande vorging.
Ein dunkelbrauner Ostinder mit hohem Turban saß auf untergeschlagenen Beinen am Erdboden vor einem Zelt. Offensichtlich war er in tiefes Nachsinnen versunken. Seine schwarzen, blitzenden Augen verrieten jedoch, dass er keineswegs tief innerlichen Gedanken nachhing. Vielmehr richtete sich seine ganze Aufmerksamkeit auf ein Zelt, das in einiger Entfernung von dem seinen stand. Aus diesem Zelt tauchte schließlich eine Frau auf. Raghunath Jafar, der Inder, erhob sich und schritt auf sie zu. Mit öligem Lächeln redete er sie an. Sein Lächeln wurde jedoch nicht erwidert. Er erhielt eine höfliche und unverbindliche Antwort. Dabei blieb jedoch die Frau nicht stehen, sondern ging zu den vier kartenspielenden Männern hinüber.
Die Kartenspieler blickten auf, als sie zu ihnen trat. Alle vier schauten plötzlich irgendwie vergnügter drein. Da jedoch die Menschen Masken tragen, lässt sich niemals mit Gewissheit sagen, ob die Gesichtszüge plötzliche Gedanken und Empfindungen widerspiegeln. Offensichtlich erfreute sich jedoch diese Frau einer allgemeinen Beliebtheit.
»Hallo, Zora!«, rief ein großer Mann mit angenehmen Gesichtszügen. »Hast du ein kleines Nickerchen gemacht?«
»Ja, Kamerad«, erwiderte die so Angesprochene. »Ich habe es aber satt, mir die Zeit mit Nickerchen zu vertreiben. Diese Untätigkeit zehrt langsam an meinen Nerven.«
»Mir geht es genauso«, warf einer der anderen Weißen ein.
»Wie lange willst du noch auf den Amerikaner warten, Kamerad Zveri?«, fragte Raghunath Jafar.
Der große Mann zuckte mit der Schulter. »Ich brauche ihn«, erwiderte er. »Wir könnten