Traumwandler. Julia Skye
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Solas sah leicht verwirrt aus. „Die Wölfe sind tot“, sagte er. „Alle. Und auch die anderen Kreaturen, denen wir auf dem Weg begegnet sind.“
„Die Wölfe sind tot“, wiederholte sie. „Doch woher weißt du, dass nicht neue Kreaturen in diese Welt gelangen?“
„Dessen kann ich mir nicht sicher sein“, sagte Solas. „Deshalb sind wir hier. Um dich um Rat zu fragen – weißt du, woher diese Kreaturen kommen?“ Er schwieg kurz. „Ich dachte, wir würden etwas im Norden finden, ein Zeichen, einen Hinweis, doch dort war nichts.“
Lilìth löste sich von ihrer steifen Position und wanderte ein wenig im Saal umher.
„Die Quelle“, sagte sie schließlich wieder. „Du suchst nach der Quelle des Unheils, nicht wahr? Nach dem Portal, das das Böse in diese Welt gebracht hat? Dieses Mal manifestiert in der Form des Wolfes.“ Sie hielt kurz inne und plötzlich war ich mir absolut sicher, dass ihr Blick mich festhielt. „Vor wenigen Jahrzehnten in Form einer einfachen Frau.“
Und dann begriff ich es.
Melody. Sie sprach von Melody.
Sie wusste, wer ich war. Sie wusste, was ich war.
Panik kam in mir auf. Nein! Verdammt, verdammt, sie hatte es schon gewusst, seit ich in diesen Saal getreten war! Ich merkte, wie das Blut in meinen Adern gefror. Was machte ich nun? Sie würde es Solas sagen; sicherlich würde sie es ihm sagen.
Schon jetzt sah ich, wie auch ihm auffiel, dass sie mich ansah, während sie sprach. Sein Blick war verwirrt.
Musste ich dann zurück? Solas würde mich hassen. Ich würde vielleicht zurückmüssen, wo sie mich anblaffen würden, dass ich mich verraten hatte. Hieß das, sie würden es danach irgendwie verhindern, dass ich hierher kam? Ich wusste jetzt, dass ich es selbst kontrollieren konnte, wann ich hierher kam; das bedeutete nicht, dass sie nicht irgendwelche Wege besaßen, mich von hier fernzuhalten. Meine Gedanken überschlugen sich; fieberhaft suchte ich nach einem Plan, etwas, das ich sagen oder tun konnte, damit Lilìth mein Geheimnis nicht preisgab.
„Wovon sprichst du?“, durchbrach Solas‘ Stimme schließlich die Stille. Sein Blick huschte zwischen mir und ihr hin- und her. Er schien absolut nichts zu verstehen.
Jetzt noch.
„Melody.“
Der Name stach durch mich wie ein Schwert. Ich öffnete den Mund; wollte ihr zuvorkommen, wollte etwas sagen, etwas lügen. Doch mein Gehirn funktionierte nicht mehr. Also stand ich nur da und starrte sie an. Das Einzige, was jetzt noch helfen konnte, war das Flehen, das sie sicherlich in meinen Augen sah.
„Du meinst die Frau, die Vater -“ Solas brach ab. Seine Stimme klang leicht zornig.
„Du suchst die Quelle, Solas“, sagte sie wieder. Nun richtete sie ihren Blick wieder auf ihn.
Erleichtert entspannte ich mich.
Dann bohrten sich ihre nächsten Worte wie ein Messer in mich. „Dabei bist du die ganze Zeit mit ihr unterwegs.“
Stille.
Es war, als würde sich mein ganzer Körper langsam mit einer Eisschicht überziehen. Mir wurde kalt. Ich wollte etwas sagen; dass sie log; mich verteidigen. Stattdessen starrte ich sie nur an.
Aus dem Augenwinkel merkte ich, wie Solas begriff. Sein Blick wanderte von seiner Mutter zu mir. Er starrte mich an. „Wie bitte?“ Er klang vollkommen verblüfft.
Ich wollte den Blick drehen, doch ich traute mich nicht, ihn anzusehen.
„Das stimmt nicht“, hörte ich mich schließlich flüstern.
Lilíth‘ Blick bohrte sich in mich hinein. „Ihr seid also nicht Melodys Schwester?“
„Doch, aber -“
„Und Ihr habt nicht die Mission bekommen, die Elfen zu töten?“
„Doch, aber -“
„Ihr kommt nicht aus einer anderen Welt?“
„Doch, aber -“
„Ihr habt nicht den Auftrag bekommen, meinen Sohn in den Norden zu bringen, damit er dort ermordet werden kann; weil Eure Schwester nach Rache aus ist?“
Woher wusste sie das alles?!
„Doch, aber -“
„Wie bitte?“ Solas klang nun erschüttert. Fassungslos blickte er zwischen mir und seiner Mutter hin und her. „Was ist hier los?“ Seine Stimme klang scharf.
Schließlich blieb sein Blick auf mir haften; ungläubig. „Rose.“ Ich hörte ihm an, dass er sich wünschte, ich würde ihm sagen, dass es nicht stimmte.
Darüber hätte ich mich freuen sollen.
Doch ich tat es nicht. Stattdessen starrte ich ihn nur an. „Es tut mir leid“, flüsterte ich nur.
Er schien noch immer nicht zu verstehen. „Du bist Melodys Schwester? Du kommst aus einer anderen Welt?“
„Und sie ist die Quelle, die das Unheil hierher bringt“, fügte Lilíth hinzu.
Super, danke.
„Das stimmt nicht -“, versuchte ich zu sagen, aber keiner der beiden wollte mich zu Wort kommen lassen.
„Sie senden von der anderen Welt ihre Kreaturen hier herein, und durch sie und ihre Schwester haben sie Zugang bekommen!“ Lilíth‘ Stimme klang aufgebracht. „Weil ihre Schwester Rache wollte, wurde sie geschickt, um dich zu töten und vermutlich alle anderen Elfen auch.“
Solas starrte mich an. Er schien es nicht begreifen zu können.
Da waren wir schon zu zweit.
Vor wenigen Stunden hatten wir uns noch geküsst, unter den Polarlichtern. Nun würde er mich hassen; ich würde ihn anwidern; ich, der Freak.
Und das Schlimmste war: Ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. Ich hatte ihn angelogen. Die ganze Zeit über.
„Du sprichst unsere Sprache nicht“, sagte er langsam. Ich konnte buchstäblich sehen, wie sich die Puzzleteile in seinem Kopf zu einem Bild zusammenfügten. „Du weißt nichts über diese Welt. Du… du hast mich die ganze Zeit angelogen.“ Noch immer klang er fassungslos, und ein wenig verletzt. Ich war mir sicher, dies würde bald in Zorn umschlagen.
„Solas, bitte hör mir zu -“, flehte ich. Ich musste ihm erklären – irgendetwas! Vermutlich war es zu viel zu verlangen, dass er mir verzieh, doch Lilíth hatte es ganz falsch dargestellt. Immerhin hatte ich ihm die ganze Zeit über versucht, das Leben zu retten! Ich hatte versucht, ihm zu helfen – und ich hatte die Quelle zerstört!
Und trotzdem hatte ich ihn die ganze Zeit angelogen.
Ich spürte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildete. Allerdings durfte ich nun nicht heulend vor ihnen zusammen brechen.