20.000 Meilen unter dem Meer - Band 2. Jules Verne
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Als der Besuch bei der stattlichen Tridacne abgestattet war, verließ der Kapitän Nemo die Grotte, und wir begaben uns wieder auf die Muschelbank inmitten des klaren, von dem Werk der Taucher noch nicht getrübten Wassers.
Wir gingen einzeln, indem Jeder nach Belieben stehen blieb oder sich entfernte. Ich hatte nicht die geringste Angst vor den Gefahren, welche meine Phantasie so lächerlich übertrieben hatte. Die Bodenerhebung zog sich merklich der Meeresoberfläche zu, und bald war mein Kopf nur noch einen Meter von derselben entfernt. Conseil kam zu mir und grüßte mich freundlich, indem er sein dickes Kopfgehäuse an das meinige hielt. Aber diese hohe Stelle, war nur einige Toisen groß, und bald kamen wir wieder abwärts in unser Element.
Zehn Minuten später blieb der Kapitän Nemo plötzlich stehen. Ich glaubte, er wolle wieder umkehren. Nein. Mit einem Wink befahl er, an seiner Seite in einer Krümmung uns auf den Boden zu ducken. Er wies mit der Hand auf einen Punkt hin, und ich schaute aufmerksam.
In einer Entfernung von fünf Meter zeigte sich ein Schatten, und kam bis zum Boden herab. Es fuhr mir der ängstliche Gedanke an Haifische durch den Kopf. Aber ich irrte mich, und diesmal noch hatten wir es nicht mit Seeungeheuern zu thun.
Es war ein Mensch, ein leibhaftiger Mann, ein Indier, ein Schwarzer, wohl ein armer Teufel, der die Absicht hatte, vor der Ernte eine Nachlese zu halten. Ich bemerkte, wie sein Canot, das einige Fuß über seinem Kopf ankerte, ihm als Rückhalt diente. Von da aus tauchte er unter, kehrte dahin zurück. Ein gleich einem Zuckerhut zugehauener Stein, den er mit dem Fuß festhielt, und der mit einem Strick an sein Boot befestigt war, beförderte sein rascheres Hinabsteigen. Darin bestand sein ganzer Apparat. Sowie er, etwa fünf Meter tief, auf den Grund kam, fiel er auf die Kniee und füllte seinen Sack mit rasch zusammengerafften Muscheln. Dann eilte er wieder hinauf, leerte seinen Sack aus, zog seinen Stein nach, und wiederholte seine Verrichtung, die nur dreißig Secunden dauerte.
Der Taucher sah uns nicht; wir waren durch den Schatten des Felsen seinen Blicken entzogen. Und wie hätte auch der arme Kerl sich denken können, daß Menschen dort unter den Gewässern sich befänden, die seine Bewegungen belauerten, seine Arbeit genau beobachteten!
So tauchte er öfters auf und ab. Mehr wie ein Dutzend Muscheln bekam er bei einem Tauchen nicht, denn er mußte sie von der Bank, wo sie mit ihrem starken Byssus befestigt waren, losreißen. Und wie viele Muscheln waren ohne Perlen, für die er sein Leben wagte!
Ich sah ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Er verrichtete sein Geschäft regelmäßig, und eine halbe Stunde lang schien ihn keine Gefahr zu bedrohen. Das Schauspiel dieser Fischerei war mir interessant. Da auf einmal, als der Indier eben auf dem Boden kniete, sah ich ihn mit Entsetzen aufspringen und sich aufwärts schwingen zur Rückkehr an die Oberfläche.
Ich erkannte bald den Grund seines Schreckens. Ein riesenmäßiger Schatten zeigte sich über dem unglücklichen Taucher. Es war ein Hai erster Größe, der mit feurigen Augen, offenem Rachen schräg herbeischoß!
Ich starrte stumm vor Schrecken, unfähig mich zu regen.
Das gefräßige Thier stürzte mit einem kräftigen Schlag seiner Flossen auf den Indier, der zwar dem Biß des Ungethüms seitwärts auswich, aber von seinem Schwanz auf die Brust getroffen zu Boden fiel.
Diese Scene dauerte kaum einige Secunden. Der Hai kam wieder, legte sich auf den Rücken und schickte sich an, den Indier zu zerfleischen, als der Kapitän Nemo, welcher neben mir kauerte, plötzlich aufsprang. Den Dolch in der Hand ging er gerade auf das Ungeheuer los, um es im Kampf mit ihm aufzunehmen.
Im Augenblick, als der Hai im Begriff war, nach dem unglücklichen Fischer zu schnappen, gewahrte er seinen neuen Gegner, legte sich wieder um auf den Bauch und schoß auf ihn los.
Der Kapitän Nemo nahm seine Stellung. Rückwärts gebogen erwartete er mit staunenswerther Kaltblütigkeit das fürchterliche Thier, und als dieses auf ihn zustürzte, bog er sich mit wunderbarer Behendigkeit seitwärts, wich dem Stoß aus und bohrte ihm seinen Dolch in den Bauch. Aber damit war's noch nicht aus. Es entspann sich ein furchtbarer Kampf. Der Haifisch wurde wüthend. Das Blut strömte aus seinen Wunden, das Meer färbte sich roth, und ich konnte in dem dunkeln Schein nichts mehr sehen.
Nichts mehr, bis zu dem Moment, wo ich durch eine lichte Stelle den kühnen Kapitän im Zweikampf mit dem Ungeheuer begriffen erblickte. Angeklammert an eine der Flossen des Thieres, bearbeitete er den Bauch seines Gegners mit Dolchstößen, ohne jedoch durch einen Stich in's Herz die Entscheidung geben zu können. Der wüthend zappelnde Hai regte die Wassermasse dergestalt auf, daß der Wogenwirbel mich hinzuwerfen drohte.
Ich hätte dem Kapitän zu Hilfe eilen mögen; aber vor Schrecken starr, vermochte ich mich nicht zu regen.
Ich blickte mit verstörten Augen hin, sah die Erfolge des Kampfes schwanken. Der Kapitän fiel zu Boden, von der Wucht der enormen Masse über ihm niedergedrückt. Der Rachen des Ungethüms öffnete sich über die Maßen weit gleich der Blechscheere eines Hüttenwerkes, und es war um den Kapitän geschehen, wäre nicht, flink wie ein Gedanke, Ned-Land mit seiner Harpune auf den Hai gestürzt, um ihm den Todesstoß zu versetzen.
Die Wogen mischten sich mit dem massenweis strömenden Blut; sie geriethen durch die Schläge des mit unbeschreiblicher Wuth sich bewegenden Thieres in heftige Aufregung. Ned-Land hatte sein Ziel nicht verfehlt; das Todesröcheln des Ungeheuers trat ein. In's Herz getroffen zappelte es in fürchterlichen Zuckungen, so daß Conseil durch den Gegenstoß zu Boden geworfen wurde.
Inzwischen hatte Ned-Land den Kapitän frei gemacht. Dieser stand unverletzt auf, ging stracks auf den Indier zu, schnitt rasch den Strick entzwei, womit er an seinen Stein gebunden war, nahm ihn in seine Arme und versetzte ihm einen kräftigen Tritt mit der Ferse, wodurch er zur Oberfläche des Meeres empor kam.
Wir Drei folgten ihm nach, und wie durch ein Wunder gerettet erreichten wir in einigen Augenblicken die Fischerbarke.
Der Kapitän Nemo war vor allem darauf bedacht, den Unglücklichen wieder in's Leben zu rufen. Ob's gelingen würde, stand dahin. Man konnte es hoffen, da der arme Teufel nicht lange unter Wasser gewesen war. Aber der Hai konnte ihm mit seinem Schwanz einen Streich versetzt haben, der tödtlich war.
Glücklicherweise war dem nicht so, und das kräftige Reiben Conseil's und des Kapitäns brachte es allmälig dahin, daß der Ertrunkene wieder zum Bewußtsein kam. Er schlug die Augen auf. Wie mußte er überrascht, ja erschrocken sein, als er die vier dicken Kupferköpfe über sich gebeugt sah!
Und was mußte er gar denken, als der Kapitän Nemo ein Säckchen voll Perlen aus der Tasche zog und es ihm in die Hand drückte? Dieses hochherzige Almosen des Mannes der Gewässer wurde von dem armen Indier Ceylons mit zitternder Hand angenommen. Seine scheuen Blicke gaben übrigens zu erkennen, daß er nicht wußte, welchen übermenschlichen Wesen er Leben und Glück verdankte. Auf ein Zeichen des Kapitäns begaben wir uns wieder zu der Perlmuschelbank, und indem wir denselben Weg einschlugen, welchen wir gemacht hatten, gelangten wir nach einer halben Stunde zu dem Anker, woran das Boot des Nautilus befestigt war.
Sobald