Stine. Theodor Fontane
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»Zu Haus is sie; ich glaube, sie schläft. Hast du was abzugeben?«
»Ja. Aber ich soll es ihr selber geben.«
»I, gib man...« Und damit griff sie nach dem Brief.
Olga zog aber energisch zurück. »Nein, ich darf nich...«
»Na, denn komme morgen wieder.«
Wanda, trotzdem sie nicht Wand an Wand mit der Schlichtingschen Vorderstube wohnte, mußte trotzdem von dieser Unterhaltung gehört haben, denn als eben die Tür zugeworfen werden sollte, war sie, wie aus der Erde gewachsen, da und sagte: »Gott, Olgachen. Was bringst du denn, Kind? Mutter is doch nich krank?« Olga hielt ihr statt aller Antwort den Brief entgegen. »Ach, ein Brief. Na, denn komm in meine Stube, daß ich ihn lesen kann. Hier is es ja stockduster und wahrhaftig nicht zu merken, daß man bei 'nem Glaser wohnt.«
Dabei nahm sie das Kind bei der Hand und zog es mit sich durch die mit jedem Schritte dunkler werden de Schlichtingsche Wohnung, bis in ihre Hinterstube hinein. Hier mußte sie lachen, als sie den sonderbaren Briefverschluß ihrer Freundin Pauline sah; dann aber öffnete sie die verklebte Stelle mit einer aus ihrem dicken, schwarzen Zopf genommenen Haarnadel und las nun mit sichtlicher Freude:
»Liebe Wanda. Er kommt heute wieder, was mir sehr verkwehr is, denn ich mache gerade reine. Jott, ich bin so ärgerlich und bitte Dich bloß: komm. Ohne Dir is es nichts. Stine kommt auch. Komm Klocker 8, aber nich später und behalte lieb
Pauline Pittelkow,
geb. Rehbein.«
Wanda steckte den Brief unter die Taille, schnitt Olga ein großes Stück von einem in einer Fayenceterrine mit Deckel aufbewahrten altdeutschen Napfkuchen ab und sagte dann: »Un nu grüße Mutterchen und sag ihr, ich käme Punkt acht. Mit 'm Schlag. Denn wir von 's Theater sind pünktlich, sonst geht es nich. Und wenn du wiederkommst, Olgachen, so kannst du gleich die kleine Hoftreppe raufkommen, bloß drei Stufen, da brauchst du vorn nich durch und is kein Fräulein Flora nich da, die dich anschreit und wegschicken will. Hörst du?« Und in einer Art Selbstgespräch setzte sie hinzu: »Gott, diese Flora; je weniger Bildung, je mehr Einbildung. Ich begreife diese Menschen nich.«
Olga versprach, alles zu bestellen, und eilte mit ihrem Beutestück ins Freie. Kaum draußen, sah sie sich noch einmal um und biß dann herzhaft ein und schmatzte vor Vergnügen. Aber schnöder Undank keimte bereits in ihrer Seele, und während es ihr noch ganz vorzüglich schmeckte, sagte sie schon vor sich hin: »Eigentlich is es gar kein richtiger... Ohne Rosinen... Einen mit Rosinen eß ich lieber.«
Viertes Kapitel
Als Olga, nach Erledigung aller ihr aufgetragenen Gänge, den zu Kaufmann Marzahn an der Ecke natürlich mit eingerechnet, wieder nach Hause kam, fand sie hier alles verändert und Tante Stine damit beschäftigt, die rote Wollschnur der Tüllgardinen in die messingblechenen Halter einzuhaken. Überall herrschte Sauberkeit und Ordnung – nur in der Nebenstube war man nicht fertig geworden –, und das einzige, was als Störung gelten konnte, war ein eben abgegebener Korb mit Weinflaschen und eine vorläufig auf einen danebenstehenden Stuhl gesetzte Hummermayonnaise.
Olga berichtete, daß Wanda kommen würde, was von seiten der Pittelkow mit sichtlicher Freude vernommen wurde. »Wenn Wanda nich da is, is es immer bloß halb. Ich möchte mir nich alle Tage hinstellen un Prinzessin spielen; aber das muß wahr sein, alle von 's Theater haben so was un kriegen einen Schick un können reden. Wo's ihnen eigentlich sitzt, ich weiß es nich und am wenigsten bei Wanda. Wanda war immer die Faulste von uns un die Klügste auch nich un ließ sich vorsagen, und ohne Lehrer Kulike... na, mit dem hatte sie's. Überhaupt, es war 'ne pfiffige Kröte, was sonst die Dicken eigentlich nich sind. Aber immer gut und kein Neidhammel und gab immer was ab.«
Während dieser Rede, die sich nur halb an Stine richtete, war die mitten auf dem Sofa stehende Witwe mit Geraderückung dreier Bilder beschäftigt und trat, als sie damit fertig war, vom Sofa her bis an die Türschwelle zurück, um von hier aus noch einmal alles überblicken und sich von dem Gelungensein ihres Arrangements überzeugen zu können. Wegen solcher Dinge gelobt zu werden war ihr, bei ihrer im Grunde genommen ganz auf Wirtschaftlichkeit und Ordnung gestellten Natur, ein wahres Herzensbedürfnis, und wenn sie je zuvor einen Anspruch auf ein dafür einzuheimsendes Lob gehabt hatte, so sicherlich heute. Alles, was aus dem ihr zur Verfügung stehenden Material gemacht werden konnte, war daraus gemacht worden und ließ wenigstens momentan übersehen, wie sehr und zum Teil auch in wie komischer Weise sich die hier aufgestellten Sachen untereinander widersprachen. Ein Büfett, ein Sofa und ein Pianino, die, hintereinander weg, die von keiner Tür unterbrochene Längswand des Zimmers einnahmen, hätten auch bei »Geheimrats« stehen können; aber die von der Pittelkow eben geradegerückten drei Bilder stellten das im übrigen erstrebte Ensemble wieder stark in Frage. Zwei davon: »Entenjagd« und »Tellskapelle«, waren nichts als schlecht kolorierte Lithographien allerneuesten Datums, während das dazwischen hängende dritte Bild, ein riesiges, stark nachgedunkeltes Ölporträt, wenigstens hundert Jahre alt war und einen polnischen oder litauischen Bischof verewigte, hinsichtlich dessen Sarastro schwor, daß die schwarze Pittelkow in direkter Linie von ihm abstamme. Gegensätze wie diese zeigten sich in der gesamten Zimmereinrichtung, ja schienen mehr gesucht als vermieden zu sein, und während sich an einem der Wandpfeiler ein prächtiger Trumeau mit zwei vorspringenden goldenen Sphinxen breitmachte, standen auf dem Bücherschrank zwei jämmerliche Gipsfiguren, eine Polin und ein Pole, beide kokett und in Nationaltracht zum Tanze ansetzend. Am interessantesten aber präsentierte sich der eben erwähnte Bücherschrank selbst, dessen vier Mittelfächer leer waren, während auf seinem obersten Brett zwölf prachtvoll in Leder gebundene Bände von Humes »History of England« und achtzehn Bände »Œuvres posthumes de Frédéric le Grand« standen und einen wundervollen Gegensatz zu dem »Berliner Pfennigmagazin« bildeten, das, in zwei Haufen übereinandergetürmt, unten im Schrank lag. All dies Einrichtungsmaterial, Kleines und Großes, Kunst und Wissenschaft, war an ein und demselben Vormittage gekauft und mittels Handwagen, der ein paarmal fahren mußte, von einem Trödler in der Mauerstraße nach der Invalidenstraße geschafft wor den. Auf die vor allem verwunderlichen französischen und englischen Prachtbände hatte der, aus dessen Mitteln dies alles kam, eigens und mit besonderem Nachdruck bestanden, »auf daß«, wie er sich in seiner spöttisch huldigenden Weise auszudrücken liebte, »die Welt erfahre, wer Pauline Pittelkow eigentlich sei«.
Das waren die Schätze, die jetzt, von der Tür her, einer letzten Musterung unterworfen wurden, und als schließlich auch noch die Fransen des vor dem Sofa liegenden Brüsseler Teppichs geradegezupft waren, sagte die Pittelkow: »So, Stine, nu komm, nu kochen wir uns einen Kaffee, das heißt einen orntlichen. Und Olga holt uns was dazu. Willst du Streusel oder bloß mit Zucker und Zimt?«
»Ach, Pauline, du weißt ja...«
»Na, dann Streusel... Olga.«
Und diese, die, weil die Tür aufstand, jedes Wort gehört und sich nur zum Schein, aber eben deshalb auch um so zudringlich-liebevoller mit dem »Brüderchen« beschäftigt hatte, stürzte jetzt, wie besessen, aus der Hinterstube nach vorn und war ganz Ohr und Auge.
»Da, Olga. Nu geh. Aber von Katzfuß, nich von Zachow. Und nasche nich wieder und rede nachher von Krümel.«
»Und nu, Stine«, fuhr die Pittelkow fort, während Olga verschwand und das längst blankgewordene Treppengeländer im Nu herunterrutschte, »nu wird's auch wohl Zeit, uns fein zu machen. Aber komme nich wieder in deinem grünen Kamlott. Du weißt, so was kann er nich leiden. Und solang es so is, wie es is, muß man doch machen, was er will. Und denn bringt er ja auch das ausgepustete Ei mit. Und die kenn ich, die verlangen immer am