Stammtischphantasien. Thomas Häring

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Stammtischphantasien - Thomas Häring

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es auch immer, wenn sich am Sonntagvormittag beim Frühschoppen (die Frauen hingegen bevorzugten meist das früh shoppen), die Atheisten und die Agnostiker in die Haare kriegten, weil die Christen zu der Zeit in der Kirche waren und man sich deswegen nicht mit denen auseinandersetzen konnte. Die Stammtischvorsitzende der Atheisten hieß übrigens Christin, aber das nur so nebenbei. Es gab den Lehrer-Stammtisch sowie den Polizisten-Stammtisch, aber natürlich auch den Terroristen- und Amokläufer-Stammtisch. Dem Wirt war das egal. "Kundschaft ist Kundschaft und solange die Kundschaft ißt und trinkt, ist für mich alles in bester Ordnung", pflegte er zu verkünden. Um höhere Trinkgelder abzugreifen, wurden die Schwulen von attraktiven jungen Männern bedient, die Pädophilen von süßen Kleinen und die Terroristen von vollverschleierten Jungfrauen. Es gab übrigens auch in Leutschdand immer mehr Männer, die es gut gefunden hätten, wenn insbesondere die häßlichen einheimischen Frauen ebenfalls verschleiert worden wären, doch das fanden wiederum sowohl die Emanzen als auch die Feministinnen überhaupt nicht angebracht und lustig.

      Wenn die normalen Stammtischbrüder, die es selbstverständlich ebenfalls noch gab, über die leutsche Fußballnationalmannschaft der Männer und den Bundes-Jogi redeten, dann horchten die Esoteriker auf. Aber sie merkten recht schnell ganz enttäuscht, daß es sich dabei um keinen echten Yogi handelte, sondern nur um einen Fußball-Weisen, jedoch keinesfalls um einen Erleuchteten. Ihr Lieblingsfilm war übrigens "Mantra Mantra" mit Thilo Schweigen in der Hauptrolle.

      Am meisten Spaß machten mir immer die Gespräche mit dem "Trauschein-Jackl", wie wir ihn hinter vorgehaltener Hand nannten. Der war nicht nur auf Frauen fixiert, sondern so ein richtiger Hochzeitsfetischist. "Ich möchte heiraten", erzählte er mir eines Tages einmal mehr mit leuchtenden Augen. "Schon wieder? Aber Du hast doch bereits drei Frauen", entgegnete ich etwas erstaunt. "Völlig richtig. Ich hasse drei Frauen", erwiderte er daraufhin nur. Also der Typ würde sich mit dem Aslim als Staatsreligion in Leutschdand garantiert schnell anfreunden können, so aber wurde er als Bigamist strafrechtlich verfolgt und drei Schwiegermütter waren bestimmt auch schon so etwas wie die Vorstufe zur Hölle, der ewigen Verdammnis. Glaubt man Ronald Tramp, dann herrscht dort Killary Flinton als Teufel, aber glaubt man Ronald Tramp, nun ja, dann hat man wohl selber auch nicht immer den Blick auf die ganze Wahrheit.

      Ganz speziell gestaltet sich verständlicherweise der Misanthropen-Stammtisch. Die Teilnehmer lassen natürlich den Platz neben sich frei, weil sie ihre Mitmenschen ja bekanntlich nicht mögen, sie reden wenig und beschimpfen sich meist nur gegenseitig. Völlig anders läuft es dagegen beim Gastwirtsstammtisch. Dort wird geredet, gelacht, getrunken und gesungen, die meisten Mitglieder nutzen jene Zusammenkunft immer gern als eine Art Supervision, denn endlich kann man mal mit Gleichgesinnten über die alltäglichen Probleme im eigenen Geschäftsgebiet diskutieren und das in aller Deutlichkeit, ohne falsche Hemmungen.

      Die Briefmarkensammler denken, wie schon zu befürchten und erwarten gewesen war, nur ans Lecken, die Kaninchenzüchter fast ausschließlich ans Rammeln und das führt dazu, daß sogar manch alter Schweinigel auf jene neidisch wird, da das ja eigentlich seine ureigenste Profession ist.

      Es gab und gibt Stammtische für Kommunisten, auch die Nazis treffen sich am Stammtisch und nicht nur in der Heil-Bar; selbst Populisten, Philosophen, Totart-Fans, Sportler, Arbeiter und Psychologen findet man an Stammtischen wieder. Ganz besondere Stammtischbrüder sind selbstverständlich die Brotanier, bei denen es sich bekanntlich um keine Bewohner von Britannien handelt. Die gelten als am geizigsten, wollen alles umsonst oder ganz billig, weil es sich bei ihnen um so wichtige Persönlichkeiten handelt und sie sonst ja auch immer und überall so großzügig spenden. Selbst die Schafkopfer findet man am Stammtisch, sogar Schachspieler lassen sich dort blicken; die trinken meistens recht viel, weil sie so lange überlegen und deswegen ewig brauchen, bis sie mal mit einer Partie fertig sind. Auch Pfarrer, Haushälterinnen und Bauern, braucht man grundsätzlich nicht bedauern, sie haben ihre eigene Sprache sowie ihre ganz eigenen Lieder, und auch sie lassen sich regelmäßig ganz begeistert am Stammtisch nieder.

      Keine Sorge, auf Viele von diesen Gruppen werde ich später garantiert noch zu sprechen kommen, aber hier folgt nun erst einmal so eine Art Inhaltsverzeichnis, damit Du Dich darauf vorbereiten kannst, auf wen Du eventuell noch so alles treffen wirst. Motorradfahrer, Singles, Paartherapeuten, Friseure, Taxifahrer, Sadisten und Masochisten, Hooligans, Butler, Schwangere, FC Bleiern 00-Fans, Kohlekumpel, die keine Zeche zahlen, weil ihre Zeche dichtgemacht hat, Manager, Horrorfans und Viele mehr, werden in diesem Schundwerk wahrscheinlich auch noch näher beleuchtet werden.

      Wir aber machen mal schnell einen Abstecher zur exkrementiellen Kunst. Ja, Du hast durchaus richtig gelesen, ich schreibe hier nicht von der experimentellen Kunst, sondern von der beschissenen, also der exkrementiellen, Kunst. Dort findet oft die Umkehrung aller Werte statt, was man zum Beispiel beim Aktzeichnen deutlich erkennen kann. In dem Fall steht nämlich der Maler nackt da und zeichnet angezogene Leute. Was für ein Skandal! Doch damit nicht genug. Hin und wieder malt er auch nackt mit seinem Pinsel; also, er bindet sich einen Pinsel an den Penis und wenn der erigiert, dann wird fleißig moderne Kunst kreiert. Schwanzmalereien gelten in Pajan bestimmt schon bald als der letzte Schrei, Grunz- und Mosaik-Therapie sind übrigens ebenfalls stark im Kommen.

      Es gibt selbstverständlich auch Stammtische für Arbeitslose, Adelige, Alkoholiker, psychisch Kranke, Behinderte, Väter und Mütter, aber natürlich getrennt, denn sonst würde das Ganze ja keinen Spaß und erst recht keinen Sinn machen.

      Einmal mehr hatte ich mich mit den besonders Unverschämten vom Politiker-Stammtisch angelegt. Unter denen tummelten sich zum Beispiel Breierische Minister, die dafür bekannt waren, daß sie erwarteten und fest davon ausgingen, bei Volksfesten Essen und Trinken umsonst zu bekommen, weil sie ja so bekannt und wichtig waren. Eigentlich eine Frechheit sondergleichen, aber solche Leute kannten weder Anstand noch Moral. Die verdienten einen Haufen Kohle und wollten trotzdem noch gesponsert werden. Jedenfalls hatte ich die Polit-Zombies mal wieder mit einigen frechen Sprüchen provoziert, woraufhin sie so reagierten: "Dann bekämpf uns doch!" verlangten sie von mir. Ich widersprach: "Wieso sollte ich die Herrschaft des Mittelmaßes über die Mittelmäßigen bekämpfen? Ihr beutet schließlich nur die Vollidioten aus, die viel arbeiten und gut verdienen. Die ganzen asozialen Reichen sowie Armen, die nichts abgeben und nur abkassieren wollen, belohnt Ihr noch für ihr abartiges Verhalten." "Na ja, Mehrwertsteuer müssen die schon auch zahlen", wandte eine junge Ministerin ein. "Ihr aber genauso!" platzte es aus mir heraus. Da schauten sie sich betreten an. "Ihr seid Volkstreter und Volksverräter, aber keine Volksvertreter", legte ich nach.

      Genauso unbeliebt war ich bei den Terroristen, denn ich rieb es ihnen immer wieder gern genüßlich unter die Nase, wenn ihre Kollegen einmal mehr jämmerlich versagt gehabt hatten. "Was war denn das wieder für ein fürchterlich dilettantischer Anschlag! Nur Verletzte, kein einziger Toter, also da hat ja jeder drittklassige Amokläufer eine bessere Abschußquote. Und das alles nur, weil Euer Bomberpilot keine Eintrittskarte vorweisen konnte. Meine Güte, was seid Ihr nur für ein knauseriger Verein! Hättet Ihr ihm die paar Euro für den Eintritt gezahlt, dann würdet Ihr jetzt nicht dahocken wie die größten Loser!" provozierte ich die Glaubensbrüder vom Terroristen-Stammtisch. Niedergeschlagen saßen sie da. "Diese lyrischen Flüchtlinge sind wirklich zu überhaupt nichts zu gebrauchen", klagte einer von den Fundamentalisten. "Genau. Vor dem Krieg im eigenen Land laufen sie davon und im Land der ungläubigen Volltrottel, die ihre Todfeinde auch noch freiwillig aufnehmen, mit offenen Armen willkommen heißen und ohne zu murren mit durchfüttern, versagen sie dann wieder auf das Erbärmlichste", stimmte ihm ein Turbanträger zu. "Ich verstehe eh nicht, wie Ihr Leutschen so blöd sein könnt, lauter Gegner und Gefährder wie uns in Euer Land und hier leben sowie agitieren zu lassen", gestand ein anderer Terrorist. "Zwei verlorene Weltkriege, da läßt man sich halt leider alles gefallen", bekannte ich mißmutig, bevor ich zum Gegenschlag ausholte: "Vielleicht sollten wir den Spieß ja mal umdrehen und Auroper in Eure Hochburgen schleusen, wo die dann Attentate verüben. Das Blöde ist halt nur, daß bei uns so gut wie niemand mehr freiwillig für seinen Glauben in den Tod gehen würde." Sie grinsten mich unverschämt an, denn sie wußten, daß sie mal wieder gewonnen hatten. Der große Vorteil

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