Advaita- Agewaida. Anton Weiß
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Jeder muss immer seinen eigenen Weg gehen, und keinem bleibt das Gehen seines Weges erspart; daran führt kein Weg vorbei. Das Anhängen an eine Lehre geschieht in der Hoffnung, sich das Gehen des eigenen Weges ersparen zu können!
Viele wären froh, wenn ihnen jemand sagen würde, was sie tun sollten; und jedes sich einer Lehre angehörig oder verpflichtet fühlen geschieht immer in der Hoffnung, einen sicheren Weg gefunden zu haben, der einen zur Befreiung führt. Und das gibt es eben nicht. Das ist der Wunsch eines suchenden Ichs, dass es jemanden geben könnte, der ihm sagen würde, was es tun muss, um die Befreiung zu erlangen. Es gibt aber niemanden, der dir sagen kann, was du tun musst, denn vom Ich her kann nichts getan werden.
Ein Ich glaubt, dass es einen Weg und ein Ziel gibt, das es durch Techniken zu erreichen hofft, weil es nicht sehen kann, dass dieses Streben nach einem Ziel immer auf der Grundlage seines Ich-Seins erfolgt. Ich möchte die Befreiung erlangen, also ein Ich möchte die Befreiung erlangen, und genau darin liegt der Grund, warum Befreiung nicht erlangt werden kann. Das ist der Grund, warum es keine Hilfe und keine Lehre geben kann, keine Methode oder Technik, weil sie immer von einem Ich angewandt werden. Wird das begriffen, dann begreift man, dass man hoffnungslos in sich gefangen ist. Es ist ausweglos. Und diese Verzweiflung durchzustehen gleicht einem Sterben. Das sehen einige wenige, zu denen ich McKenna, Renz und U. G. Krishnamurti zähle.
Natürlich wird auch im Zen durch die Koans der Suchende in diese Verzweiflung getrieben. Aber es erscheint so, als ob das Lösen eines Koans ein Weg wäre, um zur Erleuchtung zu gelangen. Und das ist es nicht! Es ist eine Weise, um einen Suchenden in die Verzweiflung zu treiben, die die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass die Transzendierung des Ichs möglich wird.
Advaita ist die Erkenntnis der Nicht-Zweiheit des Seins, anders ausgedrückt die Erkenntnis, dass ich nicht getrennt bin vom Absoluten. Es geht um Erleuchtung und ich denke, dass die meisten, die sich mit Advaita beschäftigen, folgender Definition zustimmen werden:
Erleuchtung ist die Erkenntnis, dass ich das unbegrenzte Selbst bin (Swartz, Adv 39), und zwar immer schon, ich brauche es gar nicht zu werden.
Wenn Erleuchtung erfolgt, ist kein Ich mehr vorhanden. Die Erkenntnis, dass ich das unbegrenzte Selbst bin, ist die Erkenntnis, dass ich immer schon das Absolute bin. So wird es im Vedanta dargestellt. Ich und das Absolute sind eins; tat tvam asi heißt das, das bist du, das Eine ohne ein Zweites, ich bin Das, ich bin Er, letztlich „ich bin Gott“. Gott und ich, das absolute Sein und ich sind eins. „Ich bin das Selbst“ sagt Swartz von sich, „Du bist Gott“ sagt K. Renz zu einem Teilnehmer seiner Settings.
Aber ich kann es drehen und wenden wie ich will, ich komme nicht darum herum, dass es zwei gibt. Schon der Begriff Nicht-Dualität setzt zwei voraus, denn wenn eins sein oder werden soll, dann muss zwei im Raum stehen. Nur Eins gibt es nicht, denn das wäre gleichbedeutend mit Nichts. Das ist einfach logisch so.
Alles Reden von Einssein setzt zwei voraus, und ich kann nicht sehen, was daran verwerflich sein soll. Wenn gesagt wird, dass das Ich seine Unwissenheit dadurch überwindet, dass es sich als das unbegrenzte Selbst erkennt – oder erlebt, was ich besser finde; auch Swartz spricht davon, dass dieses Erkennen auf der eigenen Entdeckung beruhen muss, „dass man das ist“ –, dann setzt auch das zwei voraus, eben das Ich und das unbegrenzte Selbst.
„Wenn man Eins mit etwas sein will, bestätigt das ja nur die Trennung“ wird gesagt. Genau! Nun kann man sagen, dass es nicht um „Eins sein Wollen“ geht, sondern um die Erkenntnis, dass man immer schon eins ist. Dennoch komme ich nicht darum herum, die Zwei mitzudenken, wenn von Einswerdung oder Einssein die Rede ist.
Da habe ich den Eindruck, dass man Angst vor der Erkenntnis hat, dass es Unterscheidung gibt, die als Trennung missverstanden wird. Durch die Unterscheidung entsteht das Leben; wenn es nur Eins gibt, ist das gleichbedeutend mit Nichts. Eins und Nichts sind identisch, d. h. es gibt nichts, weil dort, wo nur eines ist, keine Unterscheidung möglich ist. Nur durch Unterscheidung aber gibt es Leben. Und die Welt besteht aus vergänglichen Einzelwesen, die unterscheidbar sind. Und nun scheint es zum Problem zu kommen: Diese Einzelwesen und damit auch der Mensch sollen nun nicht getrennt vom unendlichen Selbst sein und damit als „nicht zwei“ verstanden werden.
Da geht es einfach um die Frage, ob man Unterschiedenheit und Getrenntheit als gleichbedeutend ansieht oder ob die beiden Ausdrücke zwei verschiedene Dinge bezeichnen. Für mich ist es klar: Trennung gehört zum Ich, Unterscheidung zum Individuum, dem ganzheitlichen Menschen. Unterscheidung gehört also zum existenziellen Sein.
Mir scheint, dass im Advaita-Denken diese Differenzierung nicht vorgenommen und Unterscheidung mit Trennung gleichgesetzt wird und damit nicht nur das Ich, sondern auch das Individuum weggedacht wird. Denn Trennung und damit Unterscheidung darf nach der Lehre des Advaita nicht sein, das widerspricht ja seiner Wortbedeutung, nach der es nur Nicht-Zwei, also keine Trennung/Unterscheidung geben darf.
Genau dagegen opponiere ich: Dass man durch das Anhängen an eine Lehre offensichtliche Tatsachen nicht zur Kenntnis nimmt. Das hilft einem aber nicht im geringsten! Es ist das Ich, das darin Sicherheit und Halt zu finden hofft, die es nicht gibt.
Ein Anhänger von Advaita zu sein bringt gar nichts! Überzeugt zu sein, dass das die richtige Sicht der Dinge ist, hat keinerlei Bedeutung. Keiner soll glauben, dass das Überzeugtsein von der Richtigkeit von Ideen, welcher Art auch immer, und seien es die wahrsten – so es so etwas gibt – dazu beiträgt, dass man dorthin kommt, wo man gerne hinkommen möchte, also letztlich zur Befreiung.
Man muss Theorien als Theorien ansehen und sich klar machen, dass Theorien nicht die Wirklichkeit sind. Sie versuchen, etwas begreiflich zu machen. Wenn jedoch der Eindruck entsteht, dass etwas nur so gesagt werden kann, wie es eben viele sagen – z. B. dass es nur Eines gibt und kein Zweites, dass man nie geboren wurde und nicht sterben wird – und man sich diese Überzeugung zu eigen machen muss, um die Erleuchtung zu erlangen, dann verfehlt man sie ganz sicher.
Advaita ist ein Gedankenkomplex; wenn man sich in ihn hineinbegibt, dann ist alles stimmig. Das ist aber bei den meisten Gedankenkomplexen der Fall: Das gilt für alle –ismen wie Nationalismus, Kommunismus, Islamismus, aber auch für Psychoanalyse, Christentum oder Sekten wie Scientology.
Ich glaube, und deshalb schreibe ich, dass man ein Denksystem als solches erkennen muss und es nicht für die Wirklichkeit halten darf. Gerade die Geschlossenheit eines Denksystems muss misstrauisch machen.
Ich kann im Grunde alles so sagen, wie es im Advaita Vedanta gesagt wird. Ich möchte nur klarstellen, dass man es nicht so sagen muss und auch nicht die Erfahrung haben muss, dass man z. B. eins ist mit dem universalen Sein. Es genügt vollauf, aus dem transzendierten Ich zu leben, einfach nur der zu sein, der man ist. Ob man der von Anbeginn immer schon war, ob man schon immer eins mit dem Absoluten ist spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es mag so sein, aber ich kann nicht sehen, dass diese Aussage irgend jemand als Erfahrung sagen könnte. Ich halte es für eine Irreführung eines Suchenden, der durch solche Aussagen vielleicht glaubt, die Verbindung zum universalen Sein erleben zu müssen, was ihn nur festhält in Konzepten.
Das Ich, das gebrochene Ich – und in diesem Zustand befinden sich die meisten Suchenden –, ist immer bemüht, alles richtig zu machen. Eine Wortbedeutung von Religion leitet sich von relegere ab, was „sorgsam beachten“ heißt, d. h. sorgsam die Rituale beachten, um die Götter zu besänftigen. Ein Suchender