Mondschattenland. Wolfgang Bendick
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Wir hatten die meiste Ausrüstung in einem Schrank auf der Fahrerseite untergebracht. Wir legten einen Poncho vor das Auto und räumten alles aus, um das Fahrzeug leichter zu machen und um zu retten, was zu retten war, denn wer wusste, ob das Seil oder der Baum halten würde. So reichte ich aus dem schief hängenden Auto all unsere Ausrüstung zu Doris hinaus, von den Reserverädern über die Benzinkanister bis zu unseren Papieren. All das stapelten wir vor den neugierigen Augen des halben Dorfes. Doris blieb zwar zur Bewachung dabei, doch wundere ich mich noch heute, dass nichts davon verschwand. Nun befestigte ich das Abschleppseil an der Stoßstangen-Befestigung auf der rechten Seite, wir ließen das andere Seil am Baum befestigt, um so das Fahrzeug wieder waagerecht zu bekommen und zurück auf den Weg. Ich kletterte hinters Lenkrad und der Traktor zog erneut an. Ganz langsam diesmal. Und es klappte! Das Seil spannte sich zum Zerreißen, der Bus kam hoch, das Seil dehnte sich und ächzte, doch das Fahrzeug kam langsam zurück auf dem Weg! Schnell warfen wir mit Hilfe der Umstehenden alle Ausrüstung wieder in den Wagen, schnitten das Seil ab, die Knoten waren schier verschmolzen und nicht mehr lösbar. Dann schleppte uns der Bauer zurück zur Straße. Ich legte den Rückwärtsgang ein, ließ die Kupplung leicht rutschen, ein Ruck, und der Motor lief. Wir bedankten uns beim Schlepperfahrer und den anderen und wollten ihnen etwas für die Hilfe geben. Doch er lachte nur, winkte ab und sagte: „Alman Türk Arkadech“. Röhrend entfernten sich der Traktor und die johlende Meute.
Wir atmeten auf. Das hätte schiefer gehen können… Wir banden noch das Abschleppseil los und wollten gerade einsteigen, da tauchte ein neuer Türke auf, diesmal geschniegelt und gestriegelt, mit Goldzähnen an Stelle der Zahnlücken, mehrere goldene Ringe mit dicken Steinen an den Fingern. In einer Hand hielt er eine Gebetsschnur, in der anderen eine Zigarette. Ohne die Gebetsschnur hätte man ihn für einen sizilianischen Mafioso halten können. Wir spürten unter der Haut, dass sich da etwas anbahnte! Wir versuchten ihn zu übersehen, doch das kam schlecht bei ihm an. Er sprach auch etwas Deutsch, doch nutzte er diese Kenntnisse nicht, um die seit Kemal Atatürk und Kaiser Wilhelm des Zweiten bestehende Freundschaft dieser zwei Völker zu bestätigen, sondern um uns zu erklären, wir schuldeten ihm umgerechnete 100 DM. Wir waren platt. Haben doch unsere Pannenhelfer nichts gewollt, und dieser Typ will jetzt abkassieren! Er erklärte uns, er sei hier der große Chef, noch über der Polizei. Er ist hier die Obrigkeit. Er ist der Besitzer des Traktors, er ist der Besitzer der Ländereien und der Leute. Wir sehen, mit Logik können wir ihn nicht widerlegen, also machen wir einen auf arm. Wir erklären ihm, dass wir kein Geld haben. Er meint, für Benzin müssen wir ja auch bezahlen. Ich antworte, dass wir Leute mitnehmen, die uns das Benzin bezahlen. Die Schiebetür ist offen. Darin liegt noch alles, wie wir es hineingeworfen hatten, Kleidung, Ersatzteile, alles durcheinander. Er sieht ein paar Schuhe, die uns mein Vater mitgegeben hatte, zum Eintauschen. Sie gefallen ihm. Ein alter Anzug meines Vaters, gerade seine Größe. Und ich hatte gedacht, wir könnten das mal als Putzlappen nehmen. Völlig aus der Mode! Er wühlt in dem Durcheinander rum und fischt noch ein blau-weiß gestreiftes Hemd hervor und ein paar Krawatten. Er vergisst in seinem Eifer sogar das Beten und die Zigarette. Er schlüpft in die Jacke, hängt sich die Krawatten um den Hals. Das erinnert mich daran, wenn wir Kinder früher mit dem Vater zum Ausverkauf gingen. „Das passt ja bestens!“, sagte er immer und kaufte. Auf unser „ja, aber das ist doch viel zu groß!“, antwortete er jedes Mal, „da wachst ihr noch rein!“ „Das ist doch gar nicht mehr modern!“, warfen wir ein. „Das ist zeitlos, sowas kann man immer tragen!“ Zufriedener als wir Kinder es damals gewesen waren, zieht unser Großbauer von dannen.
Es dunkelt. Wir steigen in das Auto und fahren bis zu einer Tankstelle, deren Leuchtreklame wir nicht weit entfernt sehen, um die Batterien aufladen zu lassen und wegen eines Reglers zu schauen. Die Leute, eine junge Familie, sind sehr nett. Sie laden uns zum Tee ein. Später sitzen die Kinder, zwei Mädchen, so 10 und 12 Jahre alt, bei uns im Bus. Ich spiele auf der Mundharmonika, Doris auf ihrer Blockflöte, sie singen. Doris malt mit ihnen Wasserfarben-Bilder. Der Tankwart kennt eine Werkstatt, wo man uns am nächsten Tag einen neuen Laderegler einbaut. Leider ist das einer für einen VW-Käfer, also unterbemessen. Wir klemmen vorsichtshalber eine Batterie ab, um sie als Reserve zu haben. Bei der Weiterfahrt wird er heiß und fängt an, nach verbranntem Plastik zu riechen, wie sein Vorgänger. Erst später in Trabzon finden wir einen LKW-Regler, der dann ohne Probleme seine Arbeit macht.
Auf unserer Karte ist hier eine Nebenstrecke eingezeichnet, die nach Sivas abzweigt. Wir beschließen, sie zu nehmen. Sie führt durch eine urtümliche Gegend. Winzige, mittelalterliche Dörfer säumen sie, die Frauen tragen zum Teil noch Schleier. Doch ist sie dermaßen steil und eng, und zudem stellenweise mit dicken Kieselsteinen gepflastert, dass uns nach einer Stunde das Auto leidtut und wir umdrehen. Wir fahren also weiter am Schwarzen Meer entlang bis Trabzon. Es gibt hier stellenweise Badeorte, die sich sehen lassen können. Weiße Strände, Palmen, Hotelbauten. Es gibt nicht nur arme Türken, die für sich und ihre Familie in Deutschland das Überleben erarbeiten. Es gibt auch reiche. Einen hatten wir ja gestern erst kennen gelernt!
Ararat
Ab Trabzon geht es steil bergauf. Zwei Bergketten sind zu überwinden, um nach Erzurum zu gelangen. Oft fahren wir hinter einem der vielen LKWs. Vor lauter Staub und Auspuffdreck kann der Fahrer kaum einen Blick auf die wilde Landschaft werfen. Auch der Beifahrer ist beschäftigt, zu erkunden, ob ein Überholmanöver möglich ist, oder zu erraten, wie sich jenes Fahrzeug verhalten wird. Wir wechseln uns im Fahren ab. Anfangs sind die steilen Hänge noch mit saftig grünem Wald bedeckt. Weiter vom Meer wird dieser schmächtiger, die Baumgrenze ist nicht sehr hoch. Reißende Flüsse bahnen sich tief unten in den Schluchten ihren Weg, gespeist von Bächen, die oft in Wasserfällen auf die Straße rieseln. Wo kein Teer ist, haben sich tiefe Pfützen gebildet, die bei jeder Passage noch tiefer werden und die heißen Bremsen zum Dampfen bringen. Dunkle Tunnelröhren, undurchsichtig vor Abgasen, verschlingen uns. Die Lichter der Entgegenkommenden erkennen wir erst im letzten Moment, gleich zwei kleinen Orangen. Wasser rieselt von der Decke, ab und zu ein paar Steine. Unsere Reifen machen sich gut. Erst zwei Plattfüße auf der ganzen Reise! Ich habe sie bei der ersten Gelegenheit wieder geflickt. Man kann nie wissen… Irgendwo oben im Gebirge halten wir für die Nacht. Jemand gibt uns zu verstehen, dass wir da nicht bleiben können. Zu gefährlich. Wir können aber neben einer nicht weit entfernten Kaserne unser Nachtlager aufschlagen. Immer wird von kurdischen Rebellen gesprochen, wenn es mal nicht armenische sind… Die Soldaten, meist junge Wehrpflichtige, bringen uns etwas zum Essen. Dann bringen sie Tee. Ich spiele auf meiner Mundharmonika. Sie holen ein paar Zupfinstrumente und singen und tanzen uns was vor. Irgendwann macht ein Übergeordneter dem Ganzen ein Ende. Sonst wäre es wohl die ganze Nacht so weitergegangen. Außerdem wurden sie langsam zu übermütig und fingen an, zweideutige Bemerkungen zu machen.
Am Vormittag fuhren wir weiter. An einem Pass machten wir Halt und schauten auf die Berge, manche leicht mit Schnee bezuckert. Rundum reihten sich eine Kette hinter die andere, bis zu Horizont. Wir legten uns in die Sonne, die hier oben angenehm war, solange wir im Windschatten blieben. Wir dachten, wir sind hier oben die einzigen Menschen. Doch nicht lange. Bald stand eine zerlumpte Kinderschar um uns herum und beäugte uns. Sie machten uns Zeichen, die wir als Zündhölzer interpretierten. Wir gaben ihnen welche. Sie versuchten sie und steckten