Redewendungen: Episoden 2007. Carsten Both
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Inhaltsverzeichnis
Episode 63
Schön dünn
Dies wird keine Anleitung, Adipositas loszuwerden. Wer sich von (der Gottheit) der Verfettung befreien möchte, sich wortwörtlich dünne machen will, der sollte einfach nach dem bekannten Rezept operieren: Weniger fressen, mehr bewegen!, dann klappt’s auch mit dem Strich in der Landschaft [siehe Episode 41]. Dabei muss wirklich niemand spindeldürr sein – außer Kindfrau will Topmodel werden, dann ist unbedingte Karrierevoraussetzung, dünn wie eine Spindel zu sein und dumm wie Bohnenstroh. Zur Belohnung darf das magere Frischfleisch – solange es mager und frisch ist – aufgedonnert [siehe Episode 58] wie eine Kreuzung aus Pfingstochse und Palmesel [vgl. Episode 57] auf dem Steg vor den Beschauern rumstöckelt. Aus dieser Dünn-doof-Kombination scheint die Idee entsprungen zu sein, eine hagere, hochgewachsene Person abwertend als Bohnenstange zu bezeichnen; die nuttigen Stöckelschuhe verstärken dabei noch den Eindruck, dass die knochige Vorführdame lang/groß/dünn wie eine Bohnenstange ist.
Die nützliche Stange stützt in der botanischen Praxis emporrankende Hülsenfrüchtler und Schmetterlingsblütler. Insbesondere die kletternde Varietät der giftigen Gartenbohne (Phaseolus vulgaris) mit ihrem windenden Stängel wird an (Bohnen-)Stangen gezogen und vermutlich deshalb Stangenbohne genannt.
Seit wann genau lange Bohnenstangen sprachlich alternativ verwendet werden, liegt im Dunkeln. Da die Spanier erst im 16. Jahrhundert die Gartenbohne von ihren Raubzügen aus Amerika mitbrachten, kann diese Betitelung für kränkelnde Hagere – zumindest in Europa – erst anschließend entstanden sein. Dass in der gleichberechtigten Neuzeit nicht nur Mädchen eine hässliche Bohnenstange sein können, zeigt der schweizerische Schriftsteller Heinrich Federer (1866-1928) in „Spitzbube über Spitzbube“ (1921) eindrucksvoll: „Er war lang und steif wie eine Bohnenstange, an der ein gelbes, müdes, häßliches Gesichtlein mit breiter Nase und verschwollenem Munde wie eine kranke Frucht hing. Das Haar klebte in langen, feuchten Fetzen um Stirne und Ohren.“
Dieser unschöne Spross wäre sicherlich obendrein für das Bohnenstroh-Gleichnis brauchbar. Der tatsächlich saudumme Vergleich der Geisteskraft von Bohnenstroh und Mensch ist seit dem 19. Jh. bekannt; das wertlose Stroh stammt von der Saubohne, eine Ackerbohne (Vicia faba), die ferner unter den Namen (Erfurter) Puffbohne, Dicke Bohne, Feldbohne, Große Bohne und Pferdebohne bekannt ist. Die Redewendung hat sich aus der älteren Beanstandung „grob wie Bohnenstroh“ entwickelt, die als Komparation „gröber denn das ponstro“ in einem Gedicht von Hans Sachs (1494-1576) aus dem Jahr 1558 belegt ist. Die Charakterisierung als „bohnenstrohgrob“, die auf einen rohen, ungebildeten Menschen schließen lässt, basiert auf der Schlafstellenunterlage armer Leute, die noch nicht einmal aus richtigem Stroh, sondern nur aus einer Anhäufung getrockneter Saubohnenranken bestand. Materielle Armut wirkte sich schon damals direkt auf die geistigen Fähigkeiten aus: wer herkunftsmäßig arm war, konnte notgedrungen und gottgewollt nicht der Gebildetste sein und wurde bedenkenlos (für) so dumm wie seine Bohnenstroh-Matratze gehalten – ein rustikales Bildungsideal, das in Form von Privat- und Konfessionsschulen, Nachhilfeunterricht und gebührenpflichtigen (Elite-)Universitäten im 21. Jh. wieder auflebt. „In dieser Welt voll von Präkordialangst, Grobheit, Ungeschlachtheit und Bohnenstroh“ muss man, wie schon Wilhelm Raabe (1831-1910) in „Der Lar“ (1889) formulierte, „im Nothfall so grob wie Bohnenstroh sein!“ Und schon im Kindergarten wird der Kapitalistenbrut (in Englisch) beigebracht, dass nicht nur am Bildungsmarkt dieser Notfall chronisch ist.
Jedoch sollte die Herkunft der Redewendung sogar Eliteschüler und -studenten nachdenklich machen, solange es noch geht! Beim übertriebenen Befolgen des rechten Bildungsleitbilds kann es nämlich zu einer schlagenden Verbindungen zwischen der Grobheit – die im kapitalistischen Überlebenskampf unabdingbar ist – und der Dummheit – die im kapitalistischen Überlebenskampf interessanterweise nicht schadet – kommen, wie es der deutsche Dampfflug-Ingenieur und Schriftsteller Max Eyth (1836-1906) in „Der Kampf um die Cheopspyramide“ (1902) beschreibt: „Hubbe hieß der Mann und schöne Arbeit war’s: Geldschränke. Der Meister war einer von altem Schlag: grob wie Bohnenstroh und schon ein wenig dumm.“ (aber immerhin war die Meisterin um so jünger …)
Von der geistigen zur physischen Verdünnung: Das redensartliche Verdünnen bis zum Wegsein ist wohl in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die deutsche Formulierungskunst eingezogen; so soll z.B. im Jahr 1789 beim Dichter Jean Paul (1763-1825) die Meldung aufgetaucht sein: „Traumulus hat sich dünne jemacht!“
Wer oder was immer das sein mag, die Dünne-machen-Redewendung bezieht sich auf den kompletten menschlichen Körper und nicht nur auf ausgewählte weibliche Problemzonen, hat somit nichts mit der Sofortfettarschweg-Diät aus einer der unzähligen Frauenzeitschriften zu tun, sondern meint verschwinden, abhauen, weggehen, was oft heimlich, unauffällig oder auf einen eindringlichen Vorschlag hin geschieht. Bohnenstrohgrobe sagen dazu „verpissen“ und fordern vom Kontrahenten: Verpisst Dich! Jemand mit abgeschlossener Baumschule würde selbstverständlich gewählter von „verdünnisieren“ sprechen und ferner den Freizusetzenden nicht einfach duzen: Verdünnisieren Sie sich!
Der Rausschmiss hört sich schon wieder wie eine Diätaufforderung an, wie der Ratschlag, sich der ursprünglichen Spindel optisch anzunähern. Das Synonym für rank und zu schlank bezieht sich nämlich auf die Handspindel, ein in Drehung versetzter Stab (Schaft) mit Schwunggewicht (Spinnwirtel), auf den der gesponnene Faden gewickelt wird. „Fossile“ Wirtel gelten als Beweis, dass bereits um 6.000 v.Chr. Früheuropäer der Jungsteinzeit derart gesponnen haben. Die altertümliche Technik wurde sukzessiv von Spinnrad (14./15. Jh.) und Spinnmaschine (18./19. Jh.) verdrängt und seit der industriellen Spinnerei von Garn und Zwirn bezeichnet die Spindel bloß noch ein rotierendes Maschinenbauteil. Allerdings hat in einigen unterentwickelten Regionen, zur Freude der digitalfotografierenden Touristen, die Handspindel als Werkzeug zur Textilherstellung die industriellen Revolutionen überlebt.
Spindelgleiche Lebewesen sind im 19. Jh. und in der deutschsprachigen Literatur häufig anzutreffen: Friedrich Rückert (1788-1866) dichtete orientalisch in „Die Makamen des Hariri“: „Da sahn wir ein altes Weib heranwanken wie im Schwindel, / hinter ihr ein Kindergesindel, / jedes dünn wie eine Spinne und schmächtig