Redewendungen: Episoden 2007. Carsten Both

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Redewendungen: Episoden 2007 - Carsten Both

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in der Ernährungslage einiger Franzosen erkannte Heinrich Heine (1797-1856) in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844): „Ach Gott! die Ritter sind immer noch hier, / Und manche dieser Gäuche, / Die spindeldürre gekommen ins Land, / Die haben jetzt dicke Bäuche.“

      Apropos Ritter und Dickmacher: In Karl Gutzkows (1811-1878) Roman „Die Ritter vom Geiste“ (1850/51) findet sich eine Art Model-Abstammungskunde inklusive Hiobsbotschaft [siehe Episode 7]: „Sie hat’s von der Mutter! Die schlanke Taille ist von mir; ich bin mager, spindeldürr. Aber eine Taille muß sein wie bei einer Wespe. Die Neigung zu compakteren Formen kommt erst in spätern Jahren ...“

      Für ein Möchtegern-Mannequin nützt es infolgedessen gar nichts, den Finger in den Hals zu stecken: die dünn gesäte Wespentaille ist genetisch bedingt und Hungerei in Kombination mit Kotzerei einfach nur bedrohlich. Gefährlich wie der Geiz beim Essen ist die übertriebene Sparsamkeit beim Säen, dem Ausstreuen von Samen, damit daraus etwas Gedeihliches erwachse. Das infolge des Dünnsäens dünn stehende Getreide ist das beste Beispiel, dass Geiz mittel- bis langfristig ziemlich ungeil ist!

      Im übertragenen Sinn ist dünn gesät, was selten vorkommt, sich nur vereinzelt findet, was rar ist. Oft wird mit der Wendung ein Bedauern ausgedrückt und daher bisweilen ein „leider“ ergänzt. Leider dünn gesät sind die Quellen zur Herkunft der Redensart; mutmaßlich ist sie seit Anfang des 16. Jahrhunderts gebräuchlich; wie so oft soll Martin Luther (1483-1546) ein Vorreiter gewesen sein: überliefert sind seine Klagen, dass Schäflein, die Gottes Wort gerne hören, „gar dünne geseet“ seien und so ein Überangebot an „falschen Christen“ zu verzeichnen sei. In der Literatur der nächsten Jahrhunderte folgten diverse Behauptungen, was alles defizitär sei, welche Charaktereigenschaften und Begabungen akut fehlten: Um 1676 meinte der barocke Samuel von Butschky und Rutinfeld (1612-1678): „frohme Weiber und gutte Freunde, seyn dünne gesäet.“ Und Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte Jean Paul in der „Vorschule der Ästhetik“ (1804): „Schon an sich sind Ehemänner dünn gesäet, ...“

      Das übergeordnete chronische Problem wurde in Karl Simrocks (1802-1876) „Schildbürger“-Ausgabe angesprochen: „Denn die weisen Leute waren (...) gar dünn gesäet ...“ Und schon in Schilda fiel auf, dass „ein Jeder, und gemeinlich die größten Thoren und Narren, weise sein und für klug gehalten werden will.“ Dabei wusste der Durchschnittsschildbürger wahrscheinlich noch nicht einmal, dass am Vorabend der Revolution „die deutschen Industriebezirke dünn gesät und weit verstreut“ waren, wie Friedrich Engels (1820-1895) in „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ (1851/52) aufklärte.

      Lange zuvor hatte Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) bereits auf Tugenddefizite bei den Blaublütigen [siehe Episode 47] hingewiesen; in seinem vermeintlichen Benimm-Klassiker „Über den Umgang mit Menschen“ (1788) stellte er bezüglich der Wohltäter fest: „es gibt deren selbst unter Fürsten – aber sie sind dünne gesäet, ...“, und zeigte zugleich auf, dass Ignorantentum und Manipulationen schon im 18. Jh. die Mainstream-Medien kennzeichneten: „und nicht immer macht der allgemeine Ruf sie uns bekannt. Auf diesen und auf die Posaunen der Zeitungsschreiber und Journalisten rate ich, nicht zu sehr zu bauen.“

      Auf diese Blechbläser sollte man auch nicht zu sehr bei Revolutionen bauen; es war schon längst wieder Feudalzeit, als Heinrich Seidel (1842-1906) im Gedicht „Die Musik der armen Leute“ ein träumerisches Unterschichtsmädchen, das anscheinend zu viele Frauenromane konsumiert hatte, bei Leierkastenmusik seufzen lässt: „Die edlen Grafen sind dünn gesät!“

      Soweit sind wir heute schon wieder (oder immer noch?), tatsächlich steht „Über den Umgang mit den Großen der Erde, mit Fürsten, Vornehmen und Reichen“ erneut (oder immer noch?) auf dem Seminarplan! Wobei nicht nur Unterschichtsmädchen von Modelkarriere, Rotem Teppich, unermesslichem Reichtum, Monarchie und Prinzessinnen-Dasein träumen. Heutzutage ist alles, was Denken (statt Fühlen), Qualität (statt Quantität), Lesen und Schreiben (statt Glotzen und Quatschen), Intellekt (statt Sport) angeht, dünn gesät – und zugegebenermaßen auch völlig überflüssig, um eine profitable Karriere zu verbrechen; Hirn scheint da nur unnötiger Ballast, quasi ein (moralisches) Handikap zu sein, falls man lediglich einen Batzen Geld [siehe Episode 17] heranschaffen will!

      Jedoch ist es nicht nur der klassische Lottospieler aus der unteren Mittelschicht, der kontinuierlich davon träumt, sich die/eine Sache ganz leicht zu machen – selbstverständlich bei horrender „Bezahlung“. Sämtliche Ökonomen unter den werktätigen Kleingeistern sagen sich: wenn schon die Hände schmutzig machen, dann das Brett bohren, wo es am dünnsten ist, kurz: Dünne bohren. Im Umkehrschluss mag der geschickte bis verschlagene Heimwerker nicht gern dicke Bretter oder hartes Holz bohren.

      Für den gemeinen Dünnbrettbohrer kann das zu bohrende Material gar nicht dünn genug sein; er ist deshalb insbesondere in den Branchen vertreten, deren (Führungs-)Personal praktischerweise die Latte immer bei sich trägt [vgl. Episode 35]. Manch Kommerz-Milieu konstituiert sich gar vollständig aus diesen Bohrspezialisten, wie die trendige Medien- und PR-Branche oder die trendige Berater- und Analystenbranche. Obwohl genauso die Variante bekannt ist, in der das Brett durch „das Holz“ substituiert ist, hat sich der „Dünnholzbohrer“ nie etablieren können – selbst nicht in der trendigen PR-/Medienbranche und der trendigen Analysten-/Beraterbranche.

      Entsprechende Defizite in Sachen (Arbeits-)Moral scheinen bei der Holzverarbeitung schon Anfang des 16. Jahrhunderts bekannt gewesen zu sein: So soll sich Martin Luther per überlieferter Tischrede bereits über die Verweigerung, dicke Bretter zu bohren, echauffiert haben und der Sprichwortsammler Sebastian Franck (1499-1542/43) stellte im Jahr 1541 fest: „Er bort nit gerne dicke Bretlin.“ In Gotthold Ephraim Lessings (1729-1781) „Hamburgischen Dramaturgie“ (1767) hört sich das schon wie ein moderner Karrieretipp in Zeiten schleichender Unlust und knapper Kassen an: „... unstreitig lassen sich auch so noch vortreffliche Stücke machen; und das Sprichwort sagt, bohre das Brett, wo es am dünnsten ist.“

      Als guter Ökonom handle ich noch effizienter und stelle – nachdem ich ein vortreffliches Stück gemacht habe – das Bohren (für heute) einfach ein ...

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