Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga. Sandra Grauer
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Читать онлайн книгу Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga - Sandra Grauer страница 6
Früher hatte es mich nicht gestört, wenn Joshua meine Nähe gesucht hatte, aber das war jetzt anders. Ihn wegzuschubsen war allerdings auch keine Alternative, dann wäre ich mir schäbig vorgekommen. Ich wollte ihm behutsam beibringen, dass ich mich in seinen Bruder verliebt hatte.
»Kann ich dir das später erzählen, Lilly?«, fragte Gabriel nun. »Ich müsste mal dringend mit Vater sprechen. Okay, dann gib mir Mutter. Ja, danke.« Es entstand eine kurze Pause, schließlich schien seine Mutter endlich am Apparat zu sein. »Hallo. Ja, es geht uns gut. Sag mal, wo ist Vater denn? Echt? Du weißt nicht zufällig, wer das war? Und dann? Ach was, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bin sicher, es geht ihm gut. Ja, mach ich. Bis später dann.« Er legte auf und steckte das Handy zurück in seine Tasche. Dann zog er seinen Pullover über den Kopf, kam auf mich zu und reichte ihn mir.
»Das geht nicht, du holst dir bloß 'ne Erkältung.« Ich war froh, endlich einen Grund zu haben, mich aus Joshuas Armen lösen zu können und sah Gabriel an. Jetzt trug er nur noch ein enges, schwarzes T-Shirt und dunkelblaue Jeans. Selten hatte er besser ausgesehen als in diesem Moment. Immer noch hielt er mir seinen Pullover entgegen.
»Nun zieh ihn schon an, ich frier nicht so schnell«, sagte er und drückte mir den Pullover in die Hand.
Ich war sicher, dass Gabriel nur vermeiden wollte, mich noch einmal in Joshuas Armen zu sehen, und er würde nicht locker lassen. Also gab ich mich geschlagen und zog den Pullover über, ohne auf Joshuas Blick zu achten. Sofort umfing mich Gabriels charakteristischer Geruch, eine Mischung aus Zitrone, schwarzem Pfeffer und seinem unwiderstehlichem Eigenduft.
»Also, Vater hat heut Morgen ganz früh einen Anruf bekommen«, berichtete Gabriel nun. »Von der Heidelberger Polizei, aber Mutter wusste leider nicht, wer genau angerufen hat. In der Gaststätte hier oben nahe der Thingstätte kam's wohl zu Ausschreitungen, und Vater sollte nach dem Rechten sehen. Mehr wusste sie auch nicht.«
»Dann sollten wir dort mit unserer Suche beginnen«, meinte Joshua und ging voran.
»Hier gibt's 'ne Gaststätte? Wo soll die denn sein?«, fragte ich.
»Nicht weit von hier«, antwortete Gabriel und schenkte mir ein kleines Lächeln, bevor wir Joshua folgten.
Es dauerte nicht lange, bis wir das große weiße Gebäude erreichten. Ich war erleichtert. Der viele Schnee machte uns den Weg nicht leichter, und mir war immer noch kalt. Hoffentlich würde die Sonne bald aufgehen.
Etwas abseits blieben wir stehen. Gabriel wollte nicht, dass wir auffielen, also schlich er sich alleine an eines der Fenster, während Joshua und ich in sicherer Entfernung auf ihn warteten.
»Geht's dir gut?«, fragte Joshua mich, nachdem er mich einen Moment gemustert hatte. »Du hast ganz blaue Lippen.«
»Es geht schon«, log ich. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so gefroren, aber das wollte ich nicht zugeben. Dann hätte mich Joshua nur wieder in den Arm nehmen wollen. Ich wünschte, Gabriel hätte mit mir gewartet. In seinen Armen fühlte ich mich wohl, und ein Kuss hätte bei diesen Temperaturen wahrscheinlich wahre Wunder bewirkt. Allein der Gedanke daran half schon.
»Wir sollten trotzdem zusehen, dass wir schnell nach Hause kommen«, riss Joshua mich aus meinen Tagträumen.
»Das wird auch nicht viel bringen. Mein dicker Wintermantel liegt im Hotel in Palenque. Außerdem müssen wir Noah finden, das ist jetzt am wichtigsten.«
Joshua seufzte. »Ich weiß. Ich will nur nicht, dass du dir noch 'ne Lungenentzündung oder so was holst.« Er machte eine kurze Pause. »Wir bitten José, uns unsere Sachen zu schicken. Es wird zwar 'ne ganze Weile dauern, bis sie hier sind, aber wir werden so lang schon was für dich finden.«
Ich nickte und entdeckte Gabriel, der schnellen Schrittes auf uns zukam. »Und, was ist los?«, wollte ich wissen.
»Da ist alles ruhig. Um diese Uhrzeit haben die noch gar nicht auf.«
»Die ganze Sache ist ziemlich seltsam. Gibt's hier oben vielleicht noch was anderes, wo dein Vater sein könnte?«
»Nicht, dass ich wüsste. Mutter hat außerdem explizit von dieser Gaststätte gesprochen.«
»Ich ruf jetzt bei der Polizei an«, meinte Joshua und zog sein Handy aus der Tasche. Er lief im Schnee auf und ab, während er darauf wartete, dass jemand abnahm. »Guten Morgen, Joshua Lennert hier. Es geht um meinen Vater …«
»Gott, du hast ja ganz blaue Lippen«, flüsterte Gabriel. Er legte seine Arme um mich und zog mich ganz nah an sich. »Wir müssen nach Hause und dir eine Jacke besorgen.«
»Das hat Joshua auch schon gesagt, aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Ich bin jetzt nicht wichtig.«
»Sag so was nicht, natürlich bist du wichtig.« Er sah mich einen Moment an. »Geht's dir wirklich gut? In der letzten Stunde ist ziemlich viel passiert.«
»Geht schon«, antwortete ich leise. Ich wollte jetzt nicht daran denken, was alles passiert war, denn nun brauchte ich meine ganze Kraft, um Noah zu finden. »Frierst du gar nicht?«, fragte ich Gabriel, um das Thema zu wechseln. Immerhin trug er nur noch das dünne T-Shirt.
»Ein bisschen, aber das macht nichts.«
Ich löste mich von ihm. »Du solltest deinen Pullover wieder anziehen, warte.«
Doch Gabriel zog mich zurück in seine Arme. »Kommt gar nicht in Frage, du behältst ihn an.«
Ich schmiegte meinen Kopf an seine Brust und schlang meine Arme um seine Taille. »Dann mach dir warme Gedanken. Stell dir zum Beispiel vor, wir würden am Strand liegen.«
»Glaub mir, das mach ich bereits. Aber an den Strand hatte ich da weniger gedacht«, hauchte er mir ins Ohr.
Ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper, die nicht nur von der Kälte kam. Um ihn ansehen zu können, hob ich den Kopf ein wenig. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich spürte seinen warmen Atem, der kleine Wölkchen in der Luft bildete. Ein wohliger Schauer lief mir über den Rücken.
Wie leicht wäre es jetzt gewesen, Gabriel einfach zu küssen, und ich wollte es so sehr. Ich hätte mich nur ein wenig auf die Zehenspitzen stellen müssen, und schon hätten meine Lippen seine berührt …
Geständnisse
Gabriels Augen wanderten von meinen Augen zu meinem Mund. Ich verspürte ein solches Verlangen, ihn zu küssen, dass es fast wehtat. Aber es ging nicht. Nicht hier, nicht jetzt. Das konnte ich Joshua nicht antun.
Es kostete mich all meine Kraft, mich von ihm zu lösen. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment legte Joshua auf und drehte sich wieder zu uns um. Er betrachtete uns einen Moment skeptisch. Gabriel und ich standen jetzt ziemlich unverfänglich nebeneinander, aber ich war sicher, Joshua konnte unser beider Verlangen spüren. Das sah ich an seinem Blick. Ich fühlte mich schrecklich. Noah war verschwunden, wir hatten keine Ahnung, ob es ihm gut ging. Die Schatten fielen in unsere Welt ein, und ich dachte nur an mich. Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich schluckte sie hinunter und ging auf Joshua zu. Vorsichtig legte ich ihm meine Hand auf den Arm.
»Was hat die Polizei