Der dritte Versuch Elfen und Menschen. Norbert Wibben
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Da atmen beide erschrocken ein. In der Ferne kommen mehrere Reiter, die jetzt mit etwas Abstand zu dem ersten erscheinen. Sie folgen hintereinander, bilden dabei eine Linie und kommen auf sie zu. Die Augen des jungen Mannes sind besser als die seiner Tante, darum kommentiert er, was er sieht.
»Das sind bewaffnete Kämpfer, die uns aber nicht bemerkt zu haben scheinen. Sie reiten auf den widerstandsfähigen Pferden des Nordens, doch ihre Kleidung ähnelt der der Menschen des Ostens. Ihr vorderster Mann, der ihnen ein gutes Stück voraus ist, sucht das Gelände immer wieder mit forschendem Blick ab.«
»Das wird ihr Späher sein, zu dem die Folgenden zu meiner Verwunderung aber keinen großen Abstand halten. Bei Gefahr können sie ihm zwar sofort beistehen, dagegen vermag er nicht, sie rechtzeitig vor einem Angriff zu warnen. Sollte er ein wichtiger Mann sein? – Kannst du erkennen, aus welcher Region die Krieger stammen und wie viele es sind? Mir scheint, die Anzahl der Nachfolgenden nimmt nicht ab.«
»Bisher kommen immer noch mehr, das stimmt. Meine Schätzung ergibt bis jetzt mindestens fünfzig Reiter. Wenn das Feinde sind, und sie uns entdecken, wird unsere unzureichende Bewaffnung nicht nur wenig Eindruck auf sie machen, sondern uns auch nichts gegen sie nützen. – Ob es Männer der Dubharan sind, erkenne ich nicht. Sie haben zwar kleine Schilde an ihren Sätteln befestigt, auf denen sind aber keine Wappen oder Symbole zu sehen. Sie tragen lediglich den üblichen Buckel in der Mitte, der aus Messing sein wird.«
»Das sind Schilde, die oft von Reitern zu ihrer Verteidigung genutzt werden, da sie auf dem Rücken der Pferde gut handhabbar sind. Aber kommt da nicht ein Reiter mit einem Wimpel an seiner Lanze, die er wie eine Standarte hält? Vielleicht erkennst du ein Symbol oder Zeichen darauf, das uns Aufschluss über die Zugehörigkeit der Krieger gibt.«
»Dafür ist die Entfernung noch zu groß. Ich hoffe, dass sie uns nicht so nahekommen, dass ein Symbol darauf zu identifizieren ist. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es Feinde sind. Das Heer der Dubharan, das die Königsstadt erobern will, ist weit hinter uns und zieht gen Norden. Dies könnten Verbündete sein, die ihnen folgen, quasi als Nachhut.«
»Das mag sein, allerdings scheint mir die Richtung dieser Krieger mehr nach Osten zu weisen. Wir sollten uns vorsichtshalber in das Wäldchen zurückziehen.« Das machen sie sofort, während der vorderste Reiter immer näherkommt. Ganz langsam, um die jungen Bäume nicht zu erschüttern, bewegen sie sich tiefer in das Gebüsch. Es sind aber nicht die hoch aufgeschossenen Birken, da deren Zweige kaum hin und her schwingen, die Tante und Neffe verraten. Plötzlich fliegt laut krächzend ein Schwarm Dohlen in die Höhe, den sie nicht bemerkt und somit aufgescheucht haben. Der vorderste Reiter stößt einen lauten Warnruf aus. Auf galoppierenden Tieren stürmen die Krieger zum Wäldchen und schließen es überraschend schnell ein. Alle halten gespannte Bogen in Händen, die Pfeile sind aufs Gebüsch gerichtet.
»Wer immer sich hier versteckt, komm heraus!« Die schroffe Stimme hat einen bekannten Akzent. Shane schüttelt entschieden den Kopf und auch Robyn ist nicht bereit, der Aufforderung zu folgen. Ihre Blicke suchen verzweifelt nach einem Ausweg. Da sie über keine magischen Kräfte verfügen, führt der Weg nur zu Fuß aus dem Wäldchen. Wie sie dem Hufgetrappel entnehmen konnten, umstellten die Reiter aber das komplette Gebüsch. »Wenn ihr herauskommen wollt, solltet ihr das jetzt tun. Wenn ich hereinkommen muss, werden euch die Auswirkungen sicher nicht gefallen!« Neffe und Tante schauen sich an. Sollen sie folgen? In dem dichten Buschwerk helfen ihnen die langen Stöcke nicht, da sie nicht auszuholen und zuzuschlagen vermögen. Ihre Elfenmesser sind gegen ein Schwert oder abgeschossene Pfeile klar im Nachteil. Ist es da nicht besser, auf freiem Gelände die Entscheidung im Kampf zu suchen? Die fremde Stimme droht. »Wir kommen jetzt. Wagt es nicht, uns anzugreifen!« Robyn lugt zwischen den dünnen Stämmchen und dem Blattwerk nach draußen. Der Späher und zwei weitere Männer steigen aus ihren Sätteln. Mit gezogenen Schwertern wollen sie ins Innere eindringen. Robyn entscheidet sich sofort.
»Halt, wartet. Wir kommen heraus!« Dann fordert sie Shane leise auf. »Ich gehe voraus. Falls es Verbündete der Dubharan sind, spring du auf eines der freigewordenen Pferde, während ich die drei in einen Kampf verwickle. Du musst zu entkommen versuchen, um unser Volk gegen die dunklen Magier zu führen. Die Elfen benötigen dringend Hilfe!« Während sie die ersten Schritte macht, hält Shane sie an ihrer Kleidung zurück.
»Was fällt dir ein? Ich soll dich ihnen ausliefern, um feige zu fliehen?«
»Nicht um zu flüchten. Ich habe vor Jahren den Auftrag erhalten, dein Leben zu retten, damit du als Herrscher gegen unsere Feinde antreten kannst. Jetzt ist deine Zeit gekommen …« Weiter kommt Robyn nicht, da der bisherige Sprecher sie drohend unterbricht.
»Ich zähle bis drei, solltet ihr dann nicht zu sehen sein, werden wir doch noch hereinkommen. Also wird’s bald?« Jetzt wackeln die Zweige der Birken mit den kleinen, grünen Blättern heftig, weil sich die bisher Versteckten schnell zum Rand bewegen, auf den Wortführer der Reiter zu. Die Elfenmesser stecken in ihren Gürteln, aber die Stöcke halten Robyn und Shane mit zwei Händen vor sich. Sie sind nicht bereit, sich kampflos zu ergeben. Der Blick des Sprechers, der etwas vor den beiden anderen steht, ist ruhig auf sie gerichtet. Er forscht in ihren Mienen und betrachtet sie lange. Die Reiter sitzen wartend und wie in Stein gegossen auf ihren Reittieren. Die Bogen sind gespannt doch nicht direkt auf die aus dem Buschwerk Getretenen gerichtet. Falls Robyn ihre Absicht verwirklichen, und den Mann und die zwei Krieger vor sich angreifen will, wird sie unweigerlich von unzähligen Pfeilen getroffen. Soll sie es trotzdem wagen? Sie blickt Shane auffordernd an, der aber stur den Kopf schüttelt. Er ist nicht bereit, das Leben Robyns für seine Freiheit zu opfern. Er wirbelt den Stock mit beiden Händen, so dass dieser vor dem Körper einen Kreis beschreibt. Das soll seine Entschlossenheit zeigen, nicht kampflos aufzugeben. Der Mann vor ihm betrachtet ihn unter buschigen, rötlich-blonden Augenbrauen. Die blauen Augen zeigen keine Reaktion, genauso wenig wie sein wettergegerbtes Antlitz.