meinefreiheit-deinefreiheit.de. Konstantin Staschus

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5.5.2 Apps und Nachbarschaftshilfe

       6 Freiheitsbalance für die Globalisierung

       7 Schlusswort: Freiheitsbalance als Grundprinzip für die durch COVID-19 ohnehin nötige Anpassung von Wirtschaft und Politik

       8 Anhang: Einige Zitate zu Nächstenliebe und Wahrhaftigkeit

      Die Freiheit des Einen hört da auf, wo die Nase des Anderen anfängt: Diesen Spruch hörte ich früher von meinem Vater. Es war wohl seine persönliche Mischung von Kants „"Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt" und Oliver Wendell Holmes „The right to swing my fist ends where the other man's nose begins.“ Über die letzten Jahrzehnte wurde Freiheit aber immer mehr zu einem Wert an sich, zuviel Freiheit schien es nicht zu geben. Schließlich hatte die Demokratie über den real existierenden Sozialismus gerade wegen der Freiheit gewonnen. Freiheit als Wert an sich passte auch gut zu unserem zunehmenden Individualismus, zum freien Welthandel und zur freien Meinungsäußerung im Internet.

      Unsere hart errungene Freiheit wird aber heute von zu vielen Firmen und Politikern für Abzocke und Manipulation ausgenutzt. Praktisch niemand ächtet Lügen1, im Privatleben sowieso nicht, aber auch nicht in Wirtschaft, Marketing, Presseerklärungen und Wahlkämpfen. Fake news sind nur das neueste i-Tüpfelchen auf einem schon länger sichtbaren Trend. Viele fühlen sich immer wieder abgezockt und haben das Vertrauen in die Ehrlichkeit der Firmen verloren; dabei ist Monopol fast zu einem Schimpfwort geworden, obwohl es doch neutrale volkswirtschaftliche und kartellrechtliche Definitionen gibt. Die berechtigte Angst wächst jedes Jahr, den Job an eine menschenverachtende Digitalisierung zu verlieren, oder an eine Globalisierung, die überall die Ärmeren noch ärmer und die Reichen noch reicher macht. Gibt es keine Grenzen für die Freiheit der Unternehmen, Digitalisierung und Globalisierung für noch höhere Profite aber auf unserem Rücken voranzutreiben? Gibt es keine Balance bei der Freiheit? Zum einen, damit die Freiheit des Stärkeren, Frecheren, Reicheren, seinen Willen durchzusetzen, in Balance ist mit der Freiheit derer, denen er seinen Willen aufzwingen will? Und zum zweiten, damit jeder einzelne eine Balance lebt, mit genug eigener Freiheit, aber ohne gewissenlose Übertreibung zum Schaden Anderer.

      Doch 2020 erwischte die ganze Welt das Coronavirus und die COVID-19-Krankheit, und plötzlich waren grundlegende Freiheiten eingeschränkt: Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit, viele Aspekte wirtschaftlicher Freiheit (z.B. freier Warenverkehr, Dienstleistungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Vertragsfreiheit), und teilweise damit die Handlungsfreiheit des Individuums2. Hoffentlich dauern die Corona-Einschränkungen nicht lange, aber alle, die diese Einschränkungen mitgetragen und befolgt haben, haben eingesehen, dass Gesundheit wichtiger als Freiheit ist, zumindest bei solch einer lebensgefährdenden Infektion. COVID-19 hat uns auch gelehrt, dass Gesundheit wichtiger ist als die Wirtschaft, auch dies ganz nach Mill3: Denn die ungehinderte Ausübung z.B. der Reise- oder Versammlungsfreiheit in Zeiten von COVID-19 würde für viele Menschen großen Schaden oder sogar den Tod bedeuten. Glasklar zeigt uns also COVID-19, dass Freiheit Grenzen dort hat, wo ihre Ausübung zu großen Schäden für Andere führt. Und es zeigt uns auch, dass sich die Menschen gern mehr umeinander kümmern, gerade wenn es eine Krise mit Einschränkungen der Freiheit gibt (s. z.B. Coronahilfe-start.de, viele andere Nachbarschaftshilfe-Initiativen, Applaus für Pflegekräfte und Musik von den Balkonen, und Bischof Bätzings Hoffnung auf eine solidarischere und achtsamere Welt nach der Krise4).

      Grenzen der Freiheit sind also nicht nur eine philosophische Frage, sondern auch eine hochaktuelle politische Diskussion. Denn auch schon vor COVID-19 schien die Freiheit insgesamt weltweit auf dem Rückzug, beklagt zumindest der Bericht „Freedom of the World 2020“ von Freedom House5. Dort werden besonders Beschneidungen von Rechten von nationalen Minderheiten beklagt, z.B. in Indien gegenüber Muslimen, in China gegenüber Uighuren und Tibetern, aber auch in den USA gegenüber Lateinamerikanern, in Ungarn, Polen und anderen EU-Ländern gegenüber Asylsuchenden. Auch die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Gerichte werden beschnitten. All dies bedeutet nicht unbedingt für alle Einwohner solcher Länder, aber doch für viele von ihnen spürbare Einschränkungen ihrer persönlichen Handlungsoptionen, ihrer persönlichen Freiheit im täglichen Leben. Doch auch andere Freiheiten stoßen an Grenzen: Trump beschneidet mit willkürlichen, machtspielerischen Zöllen den freien Welthandel, auch wenn er noch auf der amerikanischen Freiheit besteht, nicht nur die amerikanische Umwelt, sondern auch das Weltklima zu versauen. Die EU verbindet Freihandelsabkommen wie z.B. mit Lateinamerika mit Umweltschutzbedingungen, und setzt in Europa selbst Grenzen für CO2-Emissionen und damit für unsere Freiheit, Umweltsäue zu sein. Die freie und anonyme Meinungsäußerung im Netz wird in Frage gestellt, sowohl in den USA als auch der EU, wenn es weniger um Meinung und mehr um Lüge und Manipulation geht. Und auch der Freiheit der Internetgiganten, uns unbegrenzte Monopolgewinne abzuknöpfen, geht es zumindest in der EU an den Kragen.

      Die Zeit ist offensichtlich reif für die Frage, ob und wo es ein Zuviel an Freiheit geben könnte, eine gewissenlose Übertreibung der Freiheit, die nicht auf die Nase des Anderen Rücksicht nimmt. Für die Frage also, wo die beste Balance der Freiheit ist, für Einzelne im täglichen Leben, für Firmen, für Politiker.

      Nach einem kurzen Überblick über die große Bedeutung der Freiheit für unser Leben und ihre Betrachtung durch einige wichtige Philosophen zeigen wir in diesem Buch für einige grundlegende Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft Freiheitsübertreibungen Einiger zum Schaden der Freiheit Vieler auf. Diese Fehlentwicklungen und Ungleichgewichte haben in den letzten Jahren viel Vertrauensverlust und Wut verursacht. Die Wut ist inzwischen in vielen demokratischen Ländern so stark angewachsen, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, also die Freiheit Aller beschnitten wird, nur um rücksichtslose Übertreibungen zu verhindern. Auch mit der COVID-19-Krise sehen wir, wie einerseits nachbarschaftliche Hilfe und europaweite Solidarität, andererseits aber auch nationale Abschottungen zunehmen.

      Aber wir beschreiben nicht nur Missstände, sondern auch konkrete Lösungen, die uns mit einer bewussten Balance an Freiheit zukunftsfähig machen können für fair verteilten Wohlstand, für Gesundheit bei Menschen und Umwelt, und für eine stabile Demokratie. Und wie wir damit Manipulation, Politik-Verrohung und Abzocke den Boden entziehen können. Gegen den immer hemmungsloseren Einsatz von Respektlosigkeit, Beschimpfungen und Verleumdungen in der Politik setzen wir Wahrheit und respektvolles Abwägen berechtigter Interessen. Gegen gewissenlosen Egoismus in Politik und Wirtschaft setzen wir Respekt, Abwägen der Interessen Anderer, und eine Definition von Freiheit, die an der Nase des Anderen aufhört. Gegen die Manipulation in Politik und Marketing und Abzocke durch unregulierte Monopole setzen wir systematische Bewertung und Ächtung von Lügen sowie branchenspezifische Trennung der regulierten Monopolbereiche von den Märkten, wo Wettbewerb funktioniert. Gegen eine Digitalisierung, die uns zu hinterher hechelnden Knechten der sich verselbstständigenden künstlichen Intelligenz macht und uns in wenige Milliardäre und Milliarden von Verlieren teilt, setzen wir auf Miteinander und sich-umeinander-Kümmern, das von der besten Software sozialer Medien unterstützt wird. Gegen eine Globalisierung, die nur von Konzernprofiten getrieben ist und sowohl Umwelt als auch soziale und Menschenrechte mit Füßen tritt, setzen wir Klimazölle und ihre Äquivalente für Sozialdumping wie Kinderarbeit, gefährliche Arbeitsbedingungen, 70-Stunden-Wochen.

      Dabei sind die Vorschläge dieses Buchs für eine bessere Freiheitsbalance und damit eine Stabilisierung unserer Demokratie zwar sehr konkret, aber dennoch nicht parteipolitisch. Sie sind in dem Sinne grundlegend, dass sie für Anhänger der Marktwirtschaft wie des Sozialen, der Umwelt wie des Wohlstands, Europas wie der Nation, und auch für jung und alt attraktiv sein sollten. In den folgenden Kapiteln machen wir Vorschläge für Freiheit in Balance, die Ächtung von Lügen in Wirtschaft und Politik, zielgenaue Regulierung von Monopolgewinnen, eine menschlichere Digitalisierung, und eine Globalisierung ohne Angst.

      Wir teilen den Glauben vieler

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