Aufschwung-Ost. Joachim Gerlach

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Aufschwung-Ost - Joachim Gerlach

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aufgelegte Schminke. Der Bekümmerte wurde nun hineingerufen, bei dem dauerte es nicht lange. Auch als er wieder herauskam, schaute er an Holstein vorbei. Nun war Holstein dran. Der Personalchef hieß ihn freundlich Platz nehmen, kam aber gleich zur Sache, offensichtlich drängte die Zeit, denn draußen im Vorzimmer harrten schon die nächsten.

      „Nun, Herr Holstein, Sie wissen doch sicherlich, weswegen ich Sie habe rufen lassen?“

      „Nein.“

      „Gut. dann werde ich es Ihnen sagen. Die letzte Überprüfung unserer Mitarbeiter bei den dafür zuständigen Behörden hat ergeben, dass Sie als Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Sicherheitsdienstes gearbeitet haben. Ist das so richtig?“

       „Dazu habe ich schon im November 89 Stellung bezogen. Vor vielen, in aller Öffentlichkeit. Ihre Sekretärin wird sich dessen erinnern und dies bezeugen.“

      Die beisitzende und protokollierende Sekretärin errötete heftig, beugte sich emsig schreibend über ihre Papiere, sagte jedoch keinen Mucks.

      „Das bedeutet nichts. Wie war denn Ihr damaliger Deckname?“

      „Habe ich vergessen.“

      „Wirklich? Lautete er nicht ...?“ Der Personalchef blätterte in den vor ihm liegenden Papieren und nannte ihn. „Erste Verpflichtungserklärung im Jahr 68, zweite 1984.“

      „Schon möglich. Ich habe seit 86 nicht mehr mit diesem Organ zusammengearbeitet. Aus eigenen und freien Stücken übrigens.“

      „Auch das ist unerheblich, Sie hätten sich dem Aufruf unseres Amtsleiters folgend freiwillig melden können.“

      „Freiwillig zur Entlassung melden mit sechsundvierzig Jahren angesichts hunderttausender Arbeitsloser in der Region? Ich habe Familie, zwei Kinder, beide in Ausbildung.“

      „Darüber hätten Sie früher nachdenken sollen!“

      „Wann denn zum Beispiel? Als Sie, damals noch Kaderinstrukteur einer Blockpartei, in aller Öffentlichkeit die auf das Wohl des Volkes gerichtete Politik des Politbüros der SED bejubelten? Oder als Sie sich dafür einsetzten, dass zwei Mitglieder Ihrer Partei aus dieser ausgeschlossen wurden, weil die sich gegen die Blockpolitik der Nationalen Front aussprachen? Oder als Sie und Ihre Parteigenossen meinen im Oktober 89 auch an Ihr Parteibüro gerichteten offenen Brief unbeantwortet ließen?“

      „Jetzt werden Sie bloß nicht noch frech! Also, letztmalig, was haben Sie als Stasi-Mitarbeiter konkret getan?“

       „Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR war ein Geheimdienst wie jeder andere auf der Welt, wenn auch besonderen Umständen unterworfen. Geheimdienste zeichnen sich bekanntlich aus durch die Verschwiegenheit ihrer Mitarbeiter aus, dies gilt für die aktiven wie für die inaktiven. Ich fühle mich, unabhängig davon, wie ich den Dienst an sich und mein Zutun darin aus heutiger Sicht beurteile, nach wie vor daran gebunden.“

      „Wie ich sehe, wollen Sie nicht kooperieren. Ich gebe Ihnen jetzt eine letzte Chance: Haben Sie eher technisch oder mehr informationell, ich meine damit mehr an Menschen gebunden, Ihre Funktion ausgeübt?“

      Holstein stutze. Was wollte der Mensch wirklich von ihm? Nur aushorchen, gar ermitteln? Dazu war er nicht befugt. Eine Brücke bauen? Brücke wohin? An der Entlassung aus dem Amt würde kein Weg vorbeiführen, die Faktenlage war zu eindeutig. Das bewiesen die wenigen Eckpunkte, welche der Personalchef den Papieren entnahm. Einen neuen Arbeitsplatz hatte er für ihn sicherlich auch nicht parat. Was also sollte das Spiel? Sollte er ihm trauen, sich ihm anvertrauen? Andererseits, der ihn Befragende war eine Blockflöte reinsten Wassers, als nunmehriger CDU-Mann ein Wendehals, wie er im Buche steht. Mit dem Umbruch in die Behörde gespült, vorher bis zuletzt treu dem Staate ergeben. Während der Wendeunruhen still im Loch ausgeharrt und daraus hervorgekrochen, nachdem die Luft einigermaßen rein war und sogleich übergelaufen mit wehenden Fahnen. Nein, der aalglatte Kerl war ihm schon immer zutiefst suspekt gewesen, der würde ihm nicht helfen, der würde ihm nicht einmal helfen können, wahrscheinlich auch nicht wollen. Holstein bockte und gab sich keine Blöße.

      „Ich kenne keine technischen Angelegenheiten, die nicht zuerst und auch zuletzt menschlich bedingt wären.“

      „Genug! Ich teile Ihnen mit, dass Sie mit sofortiger Wirkung auf der Grundlage der Bestimmungen des Einigungsvertrages aus dem öffentlichen Dienst entlassen sind. Sie haben Ihre dienstlichen Obliegenheiten noch bis morgen zu übergeben, dann treten Sie Ihren Resturlaub an. Ihr Arbeitsvertrag endet zum Monatsende. Die im Vorjahr ausgezahlte Weihnachtszuwendung ist natürlich zurückzuerstatten. Das war’s, Sie können gehen. Und vergessen Sie nicht, sich umgehend mit Ihren Entlassungspapieren auf dem Arbeitsamt zu melden. Und schicken Sie den Nächsten rein.“

      Im Vorzimmer drückten sich bereits drei der weiter Gerufenen mit Gesichtern herum, als hätten sie Nierenschmerzen. Holstein versuchte ein Feixen, es misslang, geriet zur Grimasse. Sich dessen bewusst werdend winkte er nur noch wortlos mit der Hand ab. Aus.

      Wunderlich hatte das Debakel kommen sehen, er wusste um Holsteins Starrsinn. So packte Holstein seine sieben Sachen, steckte bei dieser Gelegenheit auch einen der Nadeldrucker zuunterst in seine Kiste. Den würde er brauchen für die nun anstehenden Bewerbungsschreiben. Da sowieso weitgehend von allen Funktionen befreit, bedurfte es keiner weiteren Übergaben, also Entlassungspapiere holen und von den wenigen verabschieden, die noch vom alten Kollegenkreis aus DDR-Tagen in den Dienstzimmern saßen. Die schauten ihn verlegen an, manche mitleidsvoll, ein paar auch hämisch. Vor wenigen Monaten noch galt Holstein in ihrer aller Augen als der Held der Wende in der Planungsabteilung. Hatte er sich doch beizeiten schon offen gegen das Parteidiktat gewandt, hatte demokratische Reformen eingefordert. Und, viel wichtiger noch als das: Hatte sich für die schnellstmögliche Installierung eines Angestelltenrates, den sie mit Einzug des BAT-Ost späterhin in Personalrat umbenennen würden, stark gemacht, um mit diesem zu verhindern, dass die aus allen möglichen Führungsebenen des sich in Auflösung und Abwicklung befindlichen DDR-Staatsapparates Quellenden vermittels der vielzitierten Seilschaftsbeziehungen in der Planungsbehörde neuen Unterschlupf fänden und dafür andere, zwar langjährige, aber den Seilschaften weniger wertvolle Mitarbeiter daraus verdrängen würden. Sic transit gloria mundi.

      Zu Hause packte er abends den Krempel aus der Kiste, legte wortlos alles auf den Tisch im Wohnzimmer: Kugelschreiber, Schreibblöcke, einen Kalender, ein Lineal, Büroklammern, einen Tacker, einen Locher, zuletzt den Nadeldrucker. Ehefrau Daniela erfasste im Anblick der sich auf dem Tisch ausbreitenden Utensilien die Situation sehr schnell, Tochter Maria hingegen vermeinte wohl, der Vater habe irgendwo eine Ladung Werbegeschenke ergattert und kramte sich schon die besten Stücke aus dem Haufen. Als Sohn Sven hinzutrat, den Drucker bemerkte und fragte, was er mit diesem Oldtimer zu tun gedenke, antwortete Holstein lakonisch:

      „Bewerbungen schreiben, bin entlassen. Seit heute.“

      Nun ereignete sich, womit Holstein nicht gerechnet hatte: Tochter Maria stand plötzlich wie zur Salzsäule erstarrt, wurde käseweiß im Gesicht und wandte sich wortlos ab. Die von ihr bis dahin aus dem auf dem Tisch liegenden Haufen entnommenen Dinge ließ sie achtlos fallen und liegen. Sie sprach mit ihrem Vater danach zwei Wochen fast kein Wort, und Holstein verspürte das erste Mal in seinem Leben das, was man wohl gemeinhin Herzschmerz nennt. Was hatte er dem Mädchen getan? Warum reagierte es dermaßen verletzend, zumal es die Entlassungsursache nicht einmal kannte? Dani und Holstein mutmaßten damals und mutmaßen auch heute noch, dass sich Maria in diesem Moment mit einem Schlag dessen bewusst war, dass der sich allmählich abzeichnende Wohlstand in ihrer Familie, in der mittlerweile beide Eltern in finanziell durchaus gut gestellten Positionen berufstätig beschäftigt waren, so nicht mehr fortsetzen würde, was sich natürlich auch auf sie auswirken musste, solange

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