Marie Antionette. Stefan Zweig

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Marie Antionette - Stefan Zweig

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gleich von Anfang an in ihren zauberischen Kreis. Seit dem ersten Tage ihres Königinnentums schwebt Marie Antoinette in einer Weihrauchwolke maßloser Vergötterung. Was sie sagt, gilt als klug, was sie tut, als Gesetz, was sie wünscht, wird erfüllt. Sie hat eine Laune, und morgen schon ist sie Mode. Sie macht eine Torheit, und ein ganzer Hof ahmt sie begeistert nach. Ihre Nähe ist Sonne für diese eitle, ehrgeizige Schar, ihr Blick ein Geschenk, ihr Lächeln Beglückung, ihr Kommen ein Fest; wenn sie Empfang hält, machen alle Damen, die ältesten wie die jüngsten, die vornehmsten wie die eben zum Hofe zugelassenen, die krampfhaftesten, die heitersten, die lächerlichsten, die läppischsten Anstrengungen, um Gottes willen nur für eine Sekunde ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, eine Artigkeit zu erhaschen, ein Wort, und wenn nicht dies, so doch wenigstens bemerkt und nicht übersehen zu werden. Auf den Straßen wiederum jubelt ihr das Volk, zu Scharen gereiht, gläubig entgegen, im Theater erhebt sich vom ersten Platz bis zum letzten die versammelte Zuhörerschaft, und wenn sie an den Spiegeln vorbeischreitet, sieht sie darin, herrlich gekleidet und vom eigenen Triumph beschwingt, eine junge hübsche Frau, sorglos und glücklich, so schön wie die schönsten am Hofe und somit auch – sie verwechselt ja diesen Hof mit der Welt – die schönste auf Erden. Wie mit einem kindischen Herzen, wie mit einer mittleren Kraft sich wehren gegen einen so betäubenden Rauschtrunk des Glücks, der aus allen scharfen und süßen Essenzen des Gefühls gemischt ist, aus dem Aufblick der Männer, dem bewundernden Neid der Frauen, der Hingabe des Volkes, aus dem eigenen Stolz? Wie nicht leichtsinnig werden, da alles so leicht ist? Da das Geld herschwebt auf immer neuen papiernen Zetteln und ein Wort, das eine Wort »payez«, flüchtig auf ein Blatt geschrieben, Dukaten tausendweise herrollt und kostbare Steine, Gärten und Schlösser hervorzaubert? Da die linde Luft des Glückes so süß und locker alle Nerven entspannt? Wie nicht sorglos und leichtherzig werden, wenn sich solche Schwingen vom Himmel her an die jungen leuchtenden Schultern heften? Wie nicht den Boden verlieren unter den Füßen, wenn einen solche Verführung entführt?

      Diese Leichtfertigkeit der Lebensauffassung, von dem Aspekt der Geschichte aus gesehen zweifellos ihre Schuld, war zugleich Schuld ihrer ganzen Generation: gerade durch ihr völliges Eingehen auf den Geist ihrer Zeit ist Marie Antoinette die typische Vertreterin des Dix-huitième geworden. Das Rokoko, diese überzüchtete und zarteste Blüte uralter Kultur, das Jahrhundert der feinen und müßigen Hände, des verspielten und verzärtelten Geistes, wollte, ehe es unterging, sich darstellen in einer Gestalt. Kein König, kein Mann hätte nun dies Jahrhundert der Dame im Bilderbuch der Geschichte repräsentieren können, – nur in der Figur einer Frau, einer Königin konnte es sich sinnlich abbilden, und diese Königin des Rokoko ist Marie Antoinette vorbildlich gewesen. Von den Sorglosen die sorgloseste, von den Verschwendern die verschwenderischste, unter den galanten und koketten Frauen die zierlich galanteste, die bewußt koketteste, hat sie die Sitten und die künstlerische Lebensform des Dix-huitième in ihrer eigenen Person geradezu dokumentarisch deutlich und unvergeßlich zum Ausdruck gebracht. »Es ist unmöglich,« sagt Madame de Staël von ihr, »mehr Grazie und Güte in die Höflichkeit zu legen. Sie besitzt eine gewisse Art der Umgänglichkeit, die ihr nie erlaubt zu vergessen, daß sie Königin ist, und immer so tut, als ob sie es vergäße.« Marie Antoinette spielte mit ihrem Leben wie auf einem sehr zarten und zerbrechlichen Instrument. Statt menschlich groß für alle Zeiten wurde sie so charakteristisch für ihre Zeit; und während sie ihre innere Kraft sinnlos versäumte, hat sie doch einen Sinn erfüllt: in ihr vollendet sich das Dix-huitième, mit ihr geht es zu Ende.

      Was ist die erste Sorge einer Rokokokönigin, wenn sie morgens in ihrem Schloß von Versailles erwacht? Die Berichte aus der Stadt, aus dem Staat? Die Briefe der Gesandten, ob die Armeen gesiegt haben, ob man den Krieg an England erklärt? Keineswegs. Marie Antoinette ist wie gewöhnlich erst um vier oder um fünf Uhr morgens heimgekehrt –, sie hat nur wenige Stunden geschlafen, ihre Unruhe braucht nicht viel Ruhe; mit wichtiger Zeremonie beginnt jetzt der Tag. Die Oberzofe, der die Garderobe untersteht, tritt mit einigen Hemden, Taschentüchern und Handtüchern zur Morgentoilette ein, ihr zur Seite die erste Kammerfrau. Diese verbeugt sich und reicht einen Folianten zur Ansicht, in dem mit Stecknadeln kleine Stoffmuster aller in der Garderobe vorhandenen Toiletten eingeheftet sind. Marie Antoinette hat sich zu entscheiden, welche Roben sie heute anzuziehen wünscht: welche schwierige, verantwortungsreiche Wahl, denn für jede Saison sind zwölf neue Staatskleider, zwölf Phantasiekleider, zwölf Zeremonieenkleider vorgeschrieben, die hundert andern gar nicht zu zählen, die alljährlich neu angeschafft werden (man erdenke die Schmach, eine Königin der Mode würde etwa dieselben Roben mehrmals tragen)! Dazu die Morgenröcke, die Leibchen, die Spitzentücher und Fichus, die Hauben, Mäntel, Gürtel, Handschuhe, Strümpfe und Unterkleider aus dem unsichtbaren Arsenal, das ein Heer von Schneiderinnen und Garderobefrauen beschäftigt. Die Wahl dauert gewöhnlich lange: schließlich werden mit Stecknadeln die Proben der Toiletten bezeichnet, welche Marie Antoinette für heute wünscht, das Staatskleid für den Empfang, das Deshabillé für den Nachmittag, das große Kleid für den Abend. Die erste Sorge ist erledigt, und das Buch mit den Stoffproben wird hinaus-, die gewählten Roben werden im Original hereingebracht.

      Kein Wunder, daß bei solcher Wichtigkeit der Toilette die oberste Modistin, die göttliche Mademoiselle Bertin, mehr Macht über Marie Antoinette bekommt als alle Staatsminister, diese doch dutzendweise ersetzbar, jene einzig und unvergleichlich. Von Herkunft zwar nur eine gewöhnliche Putzmacherin aus der untersten Volksklasse, derb, selbstbewußt, ellbogenkräftig und eher ordinär als von feinen Manieren, hält diese Meisterin der haute couture die Königin vollkommen in ihrem Bann. Um ihretwillen wird achtzehn Jahre vor der eigentlichen Revolution eine Palastrevolution in Versailles angezettelt: Mademoiselle Bertin sprengt die Vorschrift der Etikette, die einer Bürgerlichen den Eintritt in die petits cabinets der Königin versagt; diese Künstlerin in ihrem Fach erreicht, was Voltaire und allen Dichtern und Malern der Zeit nie gelang: von der Königin allein empfangen zu werden. Wenn sie zweimal in der Woche mit ihren neuen Dessins erscheint, verläßt Marie Antoinette ihre adeligen Hofdamen und begibt sich zu geheimer Beratung mit der verehrten Künstlerin in verschlossene Privatgemächer, um mit ihr eine neue, noch närrischere Mode als die gestrige loszulassen. Selbstverständlich münzt die geschäftstüchtige Modistin einen solchen Triumph weidlich für ihre Kasse aus. Nachdem sie Marie Antoinette selbst zu dem kostspieligsten Aufwand verleitet, brandschatzt sie den ganzen Hof und Adel: mit Riesenlettern läßt sie über ihrem Geschäft in der Rue Saint-Honoré ihren Titel als Hoflieferantin der Königin anbringen und erklärt hochfahrend nachlässig ihren Kunden, die sie warten läßt: »Ich habe eben mit Ihrer Majestät zusammen gearbeitet.« Bald steht ihr ein ganzes Regiment von Schneiderinnen und Stickerinnen zu Diensten, denn je eleganter sich die Königin trägt, um so ungestümer bemühen sich die andern Damen, nicht zurückzustehen. Manche bestechen mit schweren Goldstücken die ungetreue Zauberin, ihnen ein Modell zu schneidern, das die Königin selbst noch nicht getragen hat: wie eine Krankheit greift der Toilettenluxus um sich. Die Unruhen im Lande, die Auseinandersetzungen mit dem Parlament, der Krieg mit England erregen bei weitem nicht so sehr diese eitle Hofgesellschaft wie das neue Flohbraun, das Mademoiselle Bertin in Mode bringt, oder eine besonders kühn geschweifte Turnüre des Reifrockes oder eine in Lyon zum erstenmal erzeugte Seidennuance. Jede Dame, die auf sich hält, fühlt sich verpflichtet, den Affentanz der Übertreibungen Schritt für Schritt mitzumachen, und seufzend klagt ein Gatte: »Niemals haben die Frauen in Frankreich so viel Geld ausgegeben, um sich lächerlich zu machen.«

      Aber in dieser Sphäre die Königin zu sein, empfindet Marie Antoinette als ihre ureigene Pflicht. Nach einem Vierteljahr Regierung ist die kleine Prinzessin schon zur Modepuppe der eleganten Welt aufgestiegen, zum Modell aller Kostüme und Frisuren; durch alle Salons, durch alle Höfe rauscht ihr Triumph. Freilich auch bis nach Wien, und von dort kommt unfrohes Echo. Maria Theresia, die für ihr Kind würdigere Aufgaben wollte, schickt dem Botschafter ärgerlich ein Bild zurück, das ihr die Tochter modisch aufgeputzt und in übertriebenem Prunke zeigt, es sei das Bild einer Schauspielerin und nicht einer Königin von Frankreich. Ärgerlich mahnt sie die Tochter, freilich wie immer vergeblich: »Du weißt, daß ich stets der Meinung war, man müsse die Moden maßvoll befolgen, aber sie niemals übertreiben. Eine junge hübsche Frau, eine Königin voll Anmut hat allen diesen Unsinn nicht nötig, im Gegenteil, Einfachheit der Kleidung steht ihr besser an und ist dem Rang einer Königin

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