Glaube & Ansichten – Beiträge zur zeitgenössischen deutschen Geschichte. Joachim Gerlach
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Das Damoklesschwert einer langjährigen, bis zur vorzeitigen Verrentung andauernden, wahrscheinlich in Hartz- IV mündenden Arbeitslosigkeit senkte sich jedoch, einem Wunder gleich, nicht weiter, Ein gleichermaßen deutschlandweit vernetztes Unternehmen fing mich auf, in dessem Auftrag ich die folgenden fünf Jahre noch mehr an Land und Leuten kennenlernte sollte als bisher. Das beförderte auch meinen persönlichen Einigungsprozess der beiden deutschen Staaten, des wie gehabt beibehaltenen und des umgestülpten beigetretenen, weiterhin nachhaltig positiv. Fortan waren die Straßen und Autobahnen von Flensburg bis Augsburg, vom Breisgau bis zum Oderbruch mein Arbeitsplatz, jedenfalls zur guten Hälfte, und der Dienstwagen mein Büro. Zuerst fuhr ich einen Ford Mondeo. Den übernahm ich als Interimslösung vom einem starken Kettenraucher, was einen impertinenten Gestank im Wageninneren zur Folge hatte, der sich auch behelfs steter Belüftung währen der Fahrt, welche zuweilen arge Halsschmerzen verursachte, und des Einsatzes extremer Duftsprays nicht verflüchtigte. Diese Tortour dauerte ein viertel Jahr, danach erhielt ich einen fabrikneuen Mazda 303, dieselgetrieben. In ihm fühlte ich mich zeitweilig in den letzten unserer Sapos zurückversetzt: rappelig, lautstark, aber wenigstens schneller. Und auch zuverlässiger. Den Mazda ramponierte ich während der nun folgenden drei Jahre mehrfach ganz erheblich: den rechten Rückspiegel riss ich beim Rückwärtseinparken an einer Parkschranke ab, einmal kollidierte ich unglücklich mit einem anderen Fahrzeug an einer Einmündung, was meine Beifahrertür zertrümmerte, und einmal rangierte ich auf dem Parkplatz am eigenen Haus zu heftig und beschädigte dabei nicht nur den Unternehmens-Mazda enorm sondern zu allem Übel auch noch das funkelnagelneue Auto meines Schwagers. Für die letzten beiden Jahre bei diesem Unternehmen, welches auch meine letzten Arbeitsjahre sein sollten, stellte man mir einen Mitsubishi Carsima zur Verfügung. Nicht ganz so toll wie der Passat, aber annähernd.
Über all diese Jahre meiner Beschäftigung in den beiden letztgenannten Unternehmen legte ich auf Deutschlands Straßen rund eine halbe Million Fahrkilometer zurück, war auf Autobahnen linksspurig Jäger und Gejagter, entging zuweilen wie durch ein Wunder nur knapp den durch ein Übermaß an Testosteron bedingten, in Blut und Trümmern mündenden Zweikampfresultaten, erlebte Staus ohne absehbares zeitliches Ende und sah Unfälle der grausigsten Art. Ich selbst war nicht betroffen. Dafür bin ich der Vorsehung, dem lieben Heiland, meinem Fatma, oder wer auch immer dafür verantwortlich zeichnen sollte, unendlich dankbar.
Mit dem Austritt aus dem aktiven Berufsleben und der damit verbundenen Zurückgabe des Dienstwagens, legten wir uns, bescheiden und vernünftig wie wir nun einmal sind, eine Tageszulassung des Kia Rio für nicht einmal 10.000 Euro zu, der hat es nach nunmehr vier Jahren Verweilzeit unter unserem Carport zu nicht einmal 35.000 Kilometer auf dem Tacho gebracht. Solch enthaltsame und sparsame Automobilisten sind wir. Der zwischendurch gegen Dagis roten VW Polo eingetauschte Renault Megane wanderte zu meiner Tochter, welche sich längst von ihrem völlig demolierten Opel Kadett trennen musste und sich nunmehr mit all ihren Fahrkünsten anschickt, auch dem Megane ein ähnliches Schicksal zuteil werden zu lassen.
Nein ich bin fürwahr kein Freund des Autos. Ich betrachte den Autowahn als eine Sucht und einen Größenwahn, und die Menschheit wird sich wohl alsbald daran verschlucken.
Komme ich also, auf dass der Kreis sich schließe, auf mein heutiges Erlebnis zurück: Ich muss an einer gleichberechtigten Kreuzung gleich hier auf unserer Straße den von rechts Kommenden nicht bemerkt haben. Zwar hatte ich mich kurz in diese Richtung orientiert, aber möglicherweise ist mein Gesichtsfeld im siebten Lebensjahrzehnt auch nicht mehr das, was es einmal war. Den von rechts Daherkommenden sah ich erst, als ich die Kreuzung schon fast wieder verließ. Da war der noch Meter entfernt, es drohte und keinerlei Gefahr. Der von rechts Kommende sah das wohl anders, denn er passte mich an der nächsten Einmündung ab. Dort rangierte seinen BMW-5er kurzerhand quer vor mir über die Straße und versperrte mir so den Weg. Das ist Nötigung und zählt als Straftatsbestand (ich weiß das von meiner rechtsgelehrten Tochter). Dann kam er auf mich zu, und ich wusste eigentlich nicht, was er von mir wollte, denn ich hatte meine Unaufmerksamkeit an der letzten Kreuzung gedanklich längst zu den Akten gelegt. Im ersten Moment glaubte ich, er hätte einen Defekt am Fahrzeug und benötigte Hilfe. So kurbelte ich die Scheibe herunter und schaute ihn fragend an, als plötzlich das Ungewitter aus ihm herausbrach. Völlig enthemmt und voller Wut. Mir blieb im Augenblick der Überraschung der Mund halb offen und ich vernahm die Aufregung: Wie ein Wahnsinniger sei ich auf der ohnehin geschwindigkeitsreduzierten Straße dahergedonnert gekommen und hätte ihm die Vorfahrt genommen. Nur dank seiner Beherztheit und seinem rechtzeitigen Bremsen mit aller Kraft sei ein Unfall vermieden worden. Das sollte ich mir ein für alle mal merken und ins Gebetbuch schreiben. Sprach’s und stieg in seinen Markenwagen, mich im Unklaren darüber zurücklassend, was ich mir nun ins Gebetbuch schreiben solle. Nun, ich denke, es war ein rechter Wüterich, den aber zwei Merkmale besonders auszeichneten: Zum einen war er ganz offensichtlich, jedenfalls seiner Anzugsordnung nach, die auf körperliche Arbeit schließen ließ, einer der seit Urzeiten im Ort ansässigen Gärtner, Bauern oder sonstwie landwirtschaftlich Tätigen. Als solcher ordnete er mich unbekannterweise den Fremden zu, welche seiner Meinung nach glaubten, in seiner angestammten schönen Heimat tun und lassen zu können, was und wie es ihnen beliebt. Zum anderen war er natürlich ein BMW-Fahrer, einer Fahrzeugklasse, der man nachsagt, dass darin die Vorfahrt auf allen Wegen und Straßen bereits standardmäßig eingebaut sei. Als solcher brachte es ihn selbstredend erst recht auf die Palme, wenn ihm einer, der mit einem Kia-Rio, seiner Meinung nach nichts anderes als eine umgebaute Hutschachtel auf Rädern, daherkommt, die in diesem Moment rechtmäßig zustehende Vorfahrt nimmt. Ein faux pas für ihn also in gleich in doppelter Hinsicht:: Ihm, dem von Geburt an Einheimischen und damit sowieso a priori Rechthabenden wird von einem scheinbar Fremden in einem nicht wirklich als Auto zu bezeichnenden Vehikel die ohnehin seinem Prestigewagen innewohnende Dauervorfahrt an einer Stelle genommen, welche ihm die Vorfahrt nach Recht und Gesetz sowieso einräumt! Und sollten das denn keine triftigen Gründe dafür sein, erbost und wutentbrannt auf die Barrikaden zu gehen, auch wenn man dabei selbst ohne jegliche Skrupel auf law and order spuckt?
Womit ich meinen Exkurs in die schöne Autowelt beschließe, nicht ohne jedoch auf den Kia Sportage zu verweisen, welchen ich im Dezember 2009 in Bergen auf Rügen kaufte – die lange Anfahrtsstrecke zum Objekt der Begierde lohnte sich: das Fahrzeug war dort rund 4000 Euro preiswerter als ein vergleichbares im Raum Dresden bis Berlin und zudem erst 3 Jahre und 25.000 km alt. Der Umtausch gegen den Rio machte sich erforderlich, da wir im Zuge unseres Umzugs nach MeckPomm einen robusten und vielseitig verwendbaren Transporter benötigten, der aber auch als Limousine gut einsetzbar ist. Ob es unser letztes Auto in diesem Leben sein wird, werden wir in etwa 3 Jahren entscheiden.
Nachtrag
Vorherigen Text verfasste ich im Juni des Jahres 2010. Seitdem sind fünf Jahre ins Land gezogen, und wir fahren noch immer den Kia von Rügen. Jedoch mit bemerkenswert geringen jährlichen Fahrkilometern. Wären da nicht die Muss-Fahrten zu den anstehenden Geburtstagen ins Sächsische, kämen wir wohl mit Ach und Krach auf 200 Kilometer im Monat. Der Sportage hat uns bislang ganz hervorragende Dienste geleistet, hat uns nie im Stich gelassen und ausgesprochen wenige Reparaturen gekostet. Die betreuende Werkstatt meint, bis 2020 könnte er durchaus noch relativ problemlos fahren. Das