re:publica Reader 2015 – Sammelband. re:publica GmbH
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Finding Europe
Geschichte der engen Grenzen
Text: Johannes Kirchmeier @jokirchmeier
Man ahnt es schon an der altertümlichen Sprache: Martin Fischer, Cornelis Kater und Sven Sedivy haben die re:publica gerade um gute 200 Jahre in die Vergangenheit katapultiert. “Wir haben uns einfach mal überlegt, wie es bei uns ohne Europa aussehen würde”, sagt der Grafiker Sedivy. Das bedeutet: Kleinstaaterei statt Zusammenschluss, Unterdrückung durch Lehnsherrn statt Freiheit, dauerhafte Einschränkung.
Herausgekommen ist der Vortrag “Mein Lehnsherr liest meine E-Mails - zu Besuch in einem anderen Europa”: drei kleine Monologe der Speaker, die Kritik üben sollen - an der Mentalität der Menschen und der Politik in der Jetzt-Zeit. Immer wieder blicken die drei Redner, die aus mehreren fiktiven deutschen Kleinstaaten nach Berlin gereist sind, auf “Groß-Groningen”, ein Synonym für den perfekten Staat ohne Grenzen und Barrieren.
Diese Retrospektive ist ein Trick, um aktuelle Missstände in Deutschland anzuprangern. Anders als die deutsche Regierung macht sich etwa die niederländische für ein offenes und freies Internet stark. “Vielleicht erleben wir ja mal ein kabelfreies Netz - so wie drüben in Groß-Groningen. Dann hätte ich sogar Internet in meiner Backstube”, schwärmt Sedivy und meint damit sein Lieblingscafe, in dem er von der digitalen Welt abgeschnitten ist.
Er und seine Kollegen üben zudem Kritik am wenig innovativen deutschen Städtebaukonzept, den Handelsschranken und Reisebeschränkungen. Reisefreiheit und Handel funktionieren inzwischen zwar besser als zu Kleinstaatenzeiten. Eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten existiert jedoch auch heute noch nicht.
Am Ende aber gaben sie sich versöhnlich: “Europa ist zwar noch nicht perfekt, aber immerhin schon einen Schritt weiter als vor 200 Jahren.”
Finding Europe
Ohne Worte
Mohamad Al Ashrafani lebt in Berlin. Er ist ein Flüchtling aus Syrien und wartet gerade auf sein Asylanerkennungsverfahren. Ein Interview, bei dem drei Fotos mehr sagen als tausend Worte.
Wie fühlst Du Dich, wenn Du an Deine Zukunft in Europa denkst?
Foto: Ines Lutz
Wie geht es Dir, wenn Du an Deine Heimat Syrien denkst?
Foto: Ines Lutz
Du kommuniziert über Whats App mit Deiner Familie, die Du zurücklassen musstest. Was bedeutet für Dich die digitale Kommunikation?
Foto: Ines Lutz
Finding Europe
Das Internet - ein ideales Sprachrohr für Rechte
Johannes Kirchmeier @jokirchmeier
Pegida - patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Dieser Name spaltet die Nation. Neben erbitterten Gegnern mobilisierte die Bewegung an Montagabenden mehrere Zehntausend Menschen - von Facebook aus. Knapp 160.000 Likes hat die Seite inzwischen.
Pegida ist der Höhepunkt rechter Hetze im Netz - aber kein Einzelfall. Bereits seit den 1990er Jahren ist das Internet für rechte Gruppen ein wichtiges Medium für Mobilisierung und Rekrutierung. “Zudem ist es auch ein Sprachrohr für rechte Gesinnung und Anschauungen”, sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Schramm.
Oft nähern sich Pegida und andere rechte Seiten ihren potenziellen Anhängern mit sehr weichen Themen. Tierschutz, Heimatschutz und der Schutz von Frauen vor Vergewaltigungen spielen eine Rolle. Schlachtrufe wie “Zurück zur D-Mark” oder Fackelläufe sollen die gewonnene Bindung verstärken. Und Pegida wurde nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa zu einem Schlager. Zumindest im Netz.
Unmittelbarkeit, Anonymität und versteckte Foren im Internet befeuern rechte Parolen. Oft tarnen sich Rechte hinter Ironie und Satire. “Dabei werden nach Aussagen gegen Minderheiten einfach ‘Zwinkersmileys’ eingebaut“, sagt Schramm. Die Auslassungen treffen trotzdem.
Neben Pegida sorgte im vergangenen Oktober die Gruppierung HoGeSa (“Hooligans gegen Salafisten”) für Schlagzeilen. Die verwüstete die Kölner Innenstadt, die Polizei bekam den Mob nicht in den Griff. Organisiert hat sich auch diese Gruppe auf Facebook. Inzwischen hat sie weitere Märsche veranstaltet, bis sie sich im Januar spaltete: “Die Hooligans gehen nicht mehr auf die Straße, sondern zurück ins Stadion”, sagt Laura Piotrowski, Redakteurin bei der Internet-Plattform “Fussball-gegen-Nazis.de”, und fügt an: “Was jetzt kommt, wird eine spannende Frage.”
Piotrowski und Schramm mahnen zur Vorsicht im Netz und empfehlen, bei den sozialen Medien Facebook und Twitter rechte Accounts zu melden. Dann sei ein erster Schritt gegen rechte Hetze im Netz getan.
Finding Europe
Wie inklusiv ist die Inklusionsdebatte?
Text: Moritz Stadler @Mc_Stadler
In Europa leben 80 Millionen Menschen mit Behinderung. Das Internet bietet ihnen die Möglichkeit, sich zu vernetzen und ihre Stimme zu erheben. Es entsteht eine immer stärkere Behindertenbewegung, der sich europaweit Aktivisten anschließen - mit und ohne Behinderung. Im Vergleich zur Frauenbewegung sei die Behindertenbewegung noch Jahre hinterher, sagt Raúl Aguayo-Krauthausen in dem Vortrag „Finding Inclusion in Europe“, den er gemeinsam mit Mareice Kaiser auf Stage 3 hält. Immer noch würden Inklusionsdiskurse hauptsächlich von Menschen geführt, die selbst keine Behinderung haben. Das Motto sollte lauten: „Nichts über uns, ohne uns“. Um eine möglichst breite Bewegung zu werden, müsse man auch jungen und unerfahrenen Aktivisten den Zugang zur Szene gewähren, sagt Aguayo-Krauthausen. Deswegen haben er und Mareice Kaiser unter dem Hashtag #FindingInclusion Online-Aktivisten gesucht, die mit unterschiedlichen Methoden in ganz Europa für die Rechte von Menschen mit Behinderung kämpfen. Über 200 „Graswurzelaktivisten“ habe man gefunden. Sie werden auf der Seite findinginclusion.eu aufgelistet. Ihre sechs „Lieblingsaktivisten“ stellten Aguayo-Krauthausen und Kaiser auf der re:publica vor. Zur Szene der Aktivisten stoßen auch immer mehr Menschen, die selbst keine Behinderung haben. Das Engagement von Nicht-Behinderten ist durchaus umstritten, das zeigt auch die Diskussion auf der re:publica. „Häufig lese ich in Artikeln über Menschen mit Behinderung Zitate von Therapeuten, Eltern und Ärzte, nur von behinderten Menschen selbst kein Wort”, sagt eine Teilnehmerin. Daher müsse man weiter zunächst dafür kämpfen, Behinderten eine Stimme zu geben. Die Frage ist: Wie inklusiv ist die Inklusionsdebatte? Das Problem