der andere Revolutionaer. L. Theodor Donat
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Während des Marktes sind die Frauen vor allem mit Tauschen oder heute mehr mit Handeln beschäftigt, die Männer findet man eher in Gruppen um grosse Hirsebier-Krüge versammelt, um die „allgemeine Lage“ zu besprechen oder beim Handel mit Schafen oder Ziegen. Natürlich tauschen Frauen ebenso Neuigkeiten aus. Manchmal kommen Männer und Frauen aber erst gegen Abend zum Markt oder sie verlassen ihn schon kurz nach Mittag, wenn der Heimweg lang ist; es gibt kein starres Schema.
Verschiedene Märkte erreichen zu verschiedenen Zeiten ihren Höhepunkt. Je kleiner der Markt, umso später ist dies der Fall.
Abends nach dem Essen können dann Mann und Frau ihre neu gewonnenen Einsichten ins Familiengespräch einbringen.
Wichtig ist die Teilnahme an den grossen Festen und an der Jagd vor dem Beginn der Regenzeit. Von der praktischen Seite her gesehen ist die Jagd so etwas wie eine sportliche Ertüchtigung – nach der eher geruhsamen Trockenzeit –, bevor wieder harte körperliche Arbeiten auf den Feldern anfallen. Die Arbeit auf relativ grossen Feldern kann übrigens durch eine Kooperative erleichtert werden.
Eine Gruppe von Männern kommt dabei überein, abwechslungsweise die Felder eines jeden zu bearbeiten. Die Familie, für die gearbeitet wird, wird als Lohn einen Krug Hirsebier bereitstellen. So klingt die harte Arbeit mit Diskussionen und Lachen aus.
Alle Männer eines Quartiers müssen periodisch beim Graben der Begräbnisstätten mitmachen. Das sind eine Art unterirdische Grotten, die nur eine kleine, runde Öffnung haben und nur durch einen kleinen, runden Stein geschlossen werden. Oft sind diese Begräbnisstätten mitten in den Feldern und kaum erkennbar. Es ist interessant, dass der Name für diese gemeinsame Arbeit „Grosse Kultur“ genannt wird. Hier soll Wichtigeres als Hirse oder Yams gepflanzt und geerntet werden.
Geburt und Tod werden als symmetrische Vorgänge dargestellt. So wie der einmal erwachsene Mensch eigene Wege geht, so wird die Leiche, auf dem Kopf eines jungen Mannes, tanzend überall dorthin getragen, wo die/der Verstorbene während des Lebens war. Vor der Beisetzung wird der oder die Tote in sein/ihr Mutterhaus gebracht, dort, wie früher als Kleinkind, von Frauen umsorgt und für die Grablegung vorbereitet. Wie bei der Zeugung der Mann in die Vagina der Frau eindringt, so wird die Leiche vom Mann durch ein enges Loch der Erde übergeben. Frauen dürfen sich dem Grab (unterirdische Grotte, s.u.) nicht nähern, es sei denn, sie hätten die Menopause hinter sich. Die Quelle des Lebens in der jüngeren Frau erträgt sozusagen die Gegenwart des Todes nicht.
Die mühsame, aber von Lachen begleitete Arbeit, das tägliche Miteinander in der Familie und im Quartier, das Mitmachen bei den Märkten, das Feiern der Feste: Das alles sind Elemente, die das Leben im Licht von „Vater-Gott“ erfüllen. So hatte es die vorhergehende Generation gehalten, so wird die nachfolgende Generation verfahren.
Meine Gastkultur ist sowohl sakral als auch egalitär. In den meisten Fällen sind sakrale Kulturen hierarchisch, weil Gott als DER Hierarch angesehen wird. Deshalb hatte ich ausserordentliches Glück, auf egalitäre und sakrale Kulturen zu stossen.
Natürlich scheint meine Gastkultur höchst utopisch bezüglich der Realitäten der heutigen Welt. Ihre Werte scheinen zum Verschwinden verurteilt. Heute wird das Häuptlingswesen in allen Kulturen unseres Landes vom Staat reglementiert. Somit gibt es eine äussere Angleichung der wenigen egalitären an die vielen hierarchischen Kulturen. Um ein Problem in der Stadt zu regeln, benutzt man heute oft nicht mehr die Institution des Palavers, sondern es wird ganz oben beim Chef angefangen. So werden an den Präsidenten der Republik Probleme herangetragen, die auf einer ganz anderen Ebene gelöst werden müssten. Macht und Reichtum erzeugen die üblichen Disharmonien. Die Einführung einer Hierarchie war wohl der schädlichste Einfluss der Kolonisation auf meine Gastkultur.
In Liebe Dein L. Theodor
1.4. erste Begegnungen mit dem Evangelium
Liebe Carole,
Als ich die in diesem Brief beschriebenen Erlebnisse hatte, war ich seit mehr als 10 Jahren im Ordensleben. So mag der Titel dieses Briefes Deine Freunde einigermassen erstaunen. Ein Eingehen auf die Person Jesu war jedenfalls nicht im Programm des Noviziats. Wie vorgeschrieben – wir bekamen eine Liste der Dinge, die dorthin mitzunehmen waren ‒ hatte ich zwar ein Neues Testament im Gepäck. Einige Texte hatten mich schon früher angesprochen. Aber es war für mich nicht so sehr eine frohe Botschaft, als eine Quelle der Angst vor möglicher Überforderung, wie ich das in der „Christenlehre“, dem Religionsunterricht, erfahren hatte. Nach dem Noviziat war ich durch das naturwissenschaftliche Studium voll in Anspruch genommen. Und die Exerzitien waren eher ideologisch als evangelisch geprägt. Als ideologisch möchte ich Predigten und Vorträge bezeichnen, die sich mit Lehren und Theorien befassen und den direkten Bezug zu den Evangelien verloren haben. So wirken sie systemverstärkend in Bezug auf das Ordensleben.
Ich kann mich an einen Vortrag über den Gehorsam erinnern, gehalten von einem unserer Oberen. Ich sagte mir danach, dass das Ziel des Vortrags, bewusst oder unbewusst, war: „Meine Lieben, ich bin der Chef“. Natürlich stützte er sich auf die Ordensregel, auf den hl. Thomas usw.
Und wir sprachen viel mehr von Gott als von Jesus.
In unserem Gastland fühlte ich mich abhängig von Gott, selbst im materiellen Bereich. Das Klima setzte mir zu, vor allem schlafen konnte ich nicht gut. Das Essen war ungesund, da für uns Europäer das meiste aus Büchsen zubereitet wurde und der Koch weder kompetent war, noch Phantasie hatte. Eine Gelbsucht stärkte das Vertrauen in meine Situation auch nicht. So „brauchte“ ich Gott in meiner damaligen psychologischen und geistigen Verfassung sozusagen als Überlebens-Versicherung. Es waren einige, bisher nicht gemachte, praktische Erfahrungen vonnöten, um den Beginn des Weges zu den Evangelien und damit zu Jesus zu machen. Ich möchte Dir nur von einigen wenigen erzählen.
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