Der mündige Trinker. Peter Sadowski

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Der mündige Trinker - Peter Sadowski

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Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch belaufen sich nach Einschätzung des Bundesgesundheitsministeriums zurzeit etwa auf 20,6 Milliarden Euro (Bühringer, 2000).

      Auch wenn es erste Hinweise darauf gibt, dass der Konsum von Alkohol nicht weiter kontinuierlich steigt, sind immer noch bedenkliche Zahlen für einen riskanten Konsum oberhalb eines Grenzwertes von 20 g bzw. 30 g reinen Alkohols pro Tag für Frauen bzw. Männer festzustellen.

      Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung geht in ihren Bericht für das Jahr 2004 von 3,8 Millionen Männern und 1,7 Millionen Frauen aus, die in riskanter Weise Alkohol konsumieren (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2004). Die Zahl der Fälle ist so groß, dass deutschlandweit von etwa 40.000 Todesfällen pro Jahr, als Folge des Alkoholkonsums, gesprochen wird (Bühringer et. al., 2000 spricht gar von 42.000 Personen, deren Tod direkt oder indirekt mit Alkohol in Verbindung steht).

      Die Landesstelle zur Bekämpfung der Suchtgefahren in Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht regelmäßig Hinweise, dass die durchschnittliche Belastung der Bevölkerung in diesem Bundesland höher liegt als der bundesweite Durchschnitt.

      Im Vergleich mit Deutschland hat Mecklenburg-Vorpommern vor allem in den jüngeren Altersgruppen eine drastisch erhöhte Krankenhaushäufigkeit im Bereich alkoholbezogener Erkrankungen – diese Aussage wiederholt sich jedes Jahr... In der Region Vorpommern lag der Anteil dieser Männer in der Altersgruppe der unter 40jährigen fast dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Ein Indikator für den übermäßigen Alkoholkonsum der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern ist die Anzahl der Lebererkrankungen. 2002 waren 57% aller Krankenhausfälle bei den Männern wegen Lebererkrankungen alkoholbedingt (Frauen 36 %) (Landesstelle Mecklenburg-Vorpommern, 2003).

      Es ist anzunehmen, dass eine kostengünstige und wirksame Therapie von den Kostenträgern und ihren Versicherten eher nachgefragt werden würde als eine Maßnahme, die im Vergleich einen höheren wirtschaftlichen Einsatz fordert.

      Grundsätzlich beruhen die Überlegungen für eine Kombitherapie mit einer stationären und einer ambulanten Behandlungszeit darauf, dass es aus ethischer Sicht geboten ist, über möglichst wenig Lebenszeit der Patienten, durch eine stationäre Aufnahme und die damit verbundene Entkoppelung aus ihren sozialen Bezügen, zu verfügen.

      Zum nachhaltigen Fördern von Eigenverantwortung kann sich jeder psychotherapeutische Tätige durch die in Art. 1 der Verfassung Deutschlands verankerte Unantastbarkeit der Würde des Menschen verpflichtet sehen (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1949, zuletzt geändert 2002). Die Verpflichtung gilt auch dann, wenn es für den einen oder anderen Einzelnen bequemer ist, Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung zu delegieren, statt sich um eine eigenverantwortliche Bewältigung der eigenen Lebensprobleme zu bemühen. Auch für den Einzelnen selbst bleibt die eigene Würde rechtlich unantastbar.

      Aus der Sicht der Wirtschaftlichkeit bietet eine Kombi-Therapie mit stationärer und ambulanter Rehabilitationsphase einen weiteren Vorteil: Aus dem kostenintensiven stationären Setting lassen sich Therapieteile in das kostengünstigere ambulante Setting externalisieren.

      1.2 Zum theoretischen Hintergrund

      Der Beschreibung des therapeutischen Vorgehens liegen einige Überlegungen über das Entstehen der Störung Alkoholabhängigkeit zu Grunde. In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder Versuche, die Genese dieser Störung aus der Sicht verschiedener psychotherapeutischer Modellvorstellungen zu erklären. In den letzten Jahren werden die Erklärungsansätze erfreulicherweise auch häufiger durch biologisch-physiologische Aspekte ergänzt (Bühringer et. al., 2000, Bühringer 2001). Eine allseits anerkannte und umfassende Theorie über das Entstehen von Alkoholabhängigkeit ist hier aber zurzeit nicht bekannt. So wird davon ausgegangen, dass es keine einheitliche Theorie über das Entstehen von Alkoholabhängigkeit gibt. Dies wird auch von anderen Fachleuten ausdrücklich bestätigt (z.B. Tretter & Müller, 2001; Petry, 1996).

      Die traditionell deskriptiven Näherungen im ICD-10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 1991) und in DSM IV benennen in den Hinweisen zur Differenzialdiagnostik nur einzelne Kriterien und zusätzlich jeweils den Hinweis auf eine gestörte Selbststeuerung („…anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen“, ICD10 GM, 2004).

      Die zurzeit laufenden Anstrengungen, evidenzbasierte Behandlungsleitlinien zu erarbeiten, machen ebenfalls deutlich, dass eine allseits anerkannte Theorie über die Genese der Störung zurzeit nicht verfügbar ist (Arbeitsgemeinschaft medizinischer Fachgesellschaften, Stand laut Veröffentlichung im Internet 4/2004).

      So ist also jedes Konzept zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit aus den vorhandenen wissenschaftlichen Grundlagen über das Entstehen und Verändern von Einstellungen und Verhaltensweisen abzuleiten. In dieser Beschreibung einer therapeutischen Vorgehensweise muss nicht, im Sinne eines Lehrbuchs, der gesamte theoretische Hintergrund jeder Intervention ausgeleuchtet werden. Gleichwohl werden immer wieder Hinweise auf die psychologischen Grundlagen des Vorgehens in den einzelnen Kapiteln eingestreut.

      1.2.1 Modellannahmen über die Störungsentwicklung

      Das Behandlungskonzept der Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung (Sadowski & Kirchner, 2001) geht von zwei grundsätzlichen Annahmen im Zusammenhang mit der Entstehung der Störung aus: Zum einen wird der fortgeschrittene Zustand der Störungsentwicklung, der in der stationären Entwöhnungsbehandlung gesehen wird, in Zusammenhang gebracht mit Aspekten einer gestörten Selbststeuerung (Konsum trotz nachteiliger Folgen; ICD10, Dilling, Mombour, & Schmidt, 1991; ICD-10 GM 2004, DMDI und DSM IV, Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003).

      Hinter dieser Annahme steht ein Menschenbild, nach dem es nicht erstrebenswert ist, sich fortdauernd zu schädigen; es wird davon ausgegangen, dass ein jeder grundsätzlich Interesse am körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefinden hat. Selbst wenn man sich eine solche Auffassung nur unter Bedenken zu Eigen machen wollte, wäre man zu einer solchen Haltung verpflichtet, solange man als Therapeut Leistungen für gesetzliche Kostenträger erbringt. Aus der Garantie des Grundgesetzes auf Achtung der Würde des Menschen und auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt sich diese Verpflichtung zwingend.

      Aus dieser Annahme über die Störungsentwicklung folgt zwangsläufig, dass Patienten ein Angebot zur verbesserten Selbststeuerung zu machen ist.

      Die zweite Annahme zur Störungsentwicklung ist, dass zur gestörten Selbststeuerung etwas hinzugetreten ist, was mit der erwarteten Wirkung des Suchtmittels Alkohol zu tun hat. Vereinfacht könnte man sagen, dass die erwartete Wirkung des Alkohols eine Funktion erfüllt hat. Die Funktion hatte sich entfaltet in Auseinandersetzung mit Lebenssituationen und der inneren Repräsentation (über Gedanken bzw. Gefühle) von Lebenssituationen oder in beidem. Der Wunsch nach der erwarteten Wirkung des Alkohols kann sowohl angestoßen worden sein über soziale Bedingungen als auch in Auseinandersetzung mit biologisch-physiologischen Aspekten.

      Der Interventionspunkt aus der Sicht der Therapie wird aber immer die Verarbeitung der situativen Bedingungen bzw. der biologischen Gegebenheiten sein.

      Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) unterscheiden zwischen Alpha-, Beta-, und Gamma-Variablen, die auf das Erleben und Verhalten vom Menschen bestimmenden Einfluss ausüben. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit werden die Beta-Variablen der Selbstmanagement-Therapie genauso angesehen wie die psychischen Bedingungen innerhalb eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodelles.

      Wenn also aus der Sicht eines Patienten eine soziale Bedingung, wie z.B. Arbeitslosigkeit, eine bestimmende Rolle bei der Entwicklung seines Alkoholkonsums gespielt hat, wird man aus psychotherapeutischer Sicht die innere Repräsentation dieser sozialen Bedingungen,

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