Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?. Rudolf Steiner
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Solange jemand die Frucht der inneren Ruhe nicht fühlt, muss er sich eben sagen, dass er in der ernsten strengen Befolgung der angeführten Regel fortfahren muss. Für jeden, der so verfährt, kommt der Tag, wo es um ihn herum geistig hell wird, wo sich einem Auge, das er bis dahin in sich nicht gekannt hat, eine ganz neue Welt erschließen wird.
Und nichts braucht sich im äußeren Leben des Geheimschülers zu ändern dadurch, dass er anfängt, diese Regel zu befolgen. Er geht seinen Pflichten nach wie vorher; er duldet dieselben Leiden und erlebt dieselben Freuden zunächst wie vorher. In keiner Weise kann er dadurch dem »Leben« entfremdet werden. Ja, er kann um so voller den übrigen Tag hindurch diesem »Leben« nachgehen, weil er in seinen ausgesonderten Augenblicken ein »höheres Leben« sich aneignet. Nach und nach wird dieses »höhere Leben« schon seinen Einfluss auf das gewöhnliche geltend machen. Die Ruhe der ausgesonderten Augenblicke wird ihre Wirkung auch auf den Alltag haben. Der ganze Mensch wird ruhiger werden, wird Sicherheit bei all seinen Handlungen gewinnen, wird nicht mehr aus der Fassung gebracht werden können durch alle möglichen Zwischenfälle. Allmählich wird sich solch angehender Geheimschüler sozusagen immer mehr selbst leiten und weniger von den Umständen und äußeren Einflüssen leiten lassen. Ein solcher Mensch wird bald bemerken, was für eine Kraftquelle solche ausgesonderte Zeitabschnitte für ihn sind. Er wird anfangen, sich über Dinge nicht mehr zu ärgern, über die er sich vorher geärgert hat; unzählige Dinge, die er vorher gefürchtet hat, hören auf, ihm Befürchtungen zu machen. Eine ganz neue Lebensauffassung eignet er sich an. Vorher ging er vielleicht zaghaft an diese oder jene Verrichtung. Er sagte sich: Oh, meine Kraft reicht nicht aus, dies so zu machen, wie ich es gerne gemacht hätte. Jetzt kommt ihm nicht mehr dieser Gedanke, sondern vielmehr ein ganz anderer. Nunmehr sagt er sich nämlich: Ich will alle Kraft zusammennehmen, um meine Sache so gut zu machen, als ich nur irgend kann. Und den Gedanken, der ihn zaghaft machen könnte, unterdrückt er. Denn er weiß, dass ihn eben die Zaghaftigkeit zu einer schlechten Leistung veranlassen könnte, dass jedenfalls diese Zaghaftigkeit nichts beitragen kann zur Verbesserung dessen, was ihm obliegt. Und so ziehen Gedanke nach Gedanke in die Lebensauffassung des Geheimschülers ein, die fruchtbar, förderlich sind für sein Leben. Sie treten an die Stelle von solchen, die ihm hinderlich, schwächend waren. Er fängt an, sein Lebensschiff einen sicheren, festen Gang zu führen innerhalb der Wogen des Lebens, während es vorher von diesen Wogen hin und her geschlagen worden ist.
Und solche Ruhe und Sicherheit wirken auch auf das ganze menschliche Wesen zurück. Der innere Mensch wächst dadurch. Und mit ihm wachsen jene inneren Fähigkeiten, welche zu den höheren Erkenntnissen führen. Denn durch seine in dieser Richtung gemachten Fortschritte gelangt der Geheimschüler allmählich dahin, dass er selbst bestimmt, wie die Eindrücke der Außenwelt auf ihn einwirken dürfen. Er hört zum Beispiel ein Wort, durch das ein anderer ihn verletzen oder ärgern will. Vor seiner Geheimschülerschaft wäre er auch verletzt worden oder hätte sich geärgert da er nun den Pfad der Geheimschülerschaft betreten hat, ist er imstande, dem Worte seinen verletzenden oder ärgerlichen Stachel zu nehmen, bevor es den Weg zu seinem Innern gefunden hat. Oder ein anderes Beispiel. Ein Mensch wird leicht ungeduldig, wenn er warten soll. Er betritt den Pfad des Geheimschülers. Er durchdringt sich in seinen Augenblicken der Ruhe so sehr mit dem Gefühl von der Zwecklosigkeit vieler Ungeduld, dass er fortan bei jeder erlebten Ungeduld sofort dieses Gefühl gegenwärtig hat die Ungeduld, die sich schon einstellen wollte, verschwindet, und eine Zeit, die sonst verlorengegangen wäre unter den Vorstellungen der Ungeduld, wird vielleicht ausgefüllt von einer nützlichen Beobachtung, die während des Wartens gemacht werden kann.
Nun muss man sich nur die Tragweite von alledem vergegenwärtigen. Man bedenke, dass der »höhere Mensch« im Menschen in fortwährender Entwicklung ist. Durch die beschriebene Ruhe und Sicherheit wird ihm aber allein eine gesetzmäßige Entwicklung ermöglicht. Die Wogen des äußeren Lebens zwängen den inneren Menschen von allen Seiten ein, wenn der Mensch nicht dieses Leben beherrscht, sondern von ihm beherrscht wird. Ein solcher Mensch ist wie eine Pflanze, die sich in einer Felsspalte entwickeln soll. Sie verkümmert so lange, bis man ihr Raum schafft dem inneren Menschen können keine äußeren Kräfte Raum schaffen. Das vermag nur die innere Ruhe, die er seiner Seele schafft. Äußere Verhältnisse können nur seine äußere Lebenslage ändern; den »geistigen Menschen« in ihm können sie nie und nimmer erwecken.
In sich selbst muss der Geheimschüler einen neuen, einen höheren Menschen gebären.
Dieser »höhere Mensch« wird dann der »innere Herrscher«, der mit sicherer Hand die Verhältnisse des äußeren Menschen führt. Solange der äußere Mensch die Oberhand und Leitung hat, ist dieser »innere« sein Sklave und kann daher seine Kräfte nicht entfalten. Hängt es von etwas anderem als von mir ah, ob ich mich ärgere oder nicht, so bin ich nicht Herr meiner selbst, oder – noch besser gesagt –: ich habe den »Herrscher in mir« noch nicht gefunden. Ich muss in mir die Fähigkeit entwickeln, die Eindrücke der Außenwelt nur in einer durch mich selbst bestimmten Weise an mich herankommen zu lassen; dann kann ich erst Geheimschüler werden.
Und nur insoweit der Geheimschüler ernstlich nach dieser Kraft sucht, kann er zum Ziel kommen. Es kommt nicht darauf an, wie weit es einer in einer bestimmten Zeit bringt; sondern allein darauf, dass er ernstlich sucht. Schon manchen hat es gegeben, der jahrelang sich angestrengt hat, ohne an sich einen merklichen Fortschritt zu bemerken; viele von denen aber, die nicht verzweifelt, sondern unerschütterlich geblieben sind, haben dann ganz plötzlich den »inneren Sieg« errungen.
Es gehört gewiss in mancher Lebenslage eine große Kraft dazu, sich Augenblicke innerer Ruhe zu schaffen. Aber je größer die notwendige Kraft, desto bedeutender ist auch das, was erreicht wird. Alles hängt in Bezug auf die Geheimschülerschaft davon ab, dass man energisch, mit innerer Wahrheit und rückhaltloser Aufrichtigkeit sich selbst, mit allen seinen Handlungen und Taten, als ein völlig Fremder gegenüberstehen kann.
Aber nur eine Seite der inneren Tätigkeit des Geheimschülers ist durch diese Geburt des eigenen höheren Menschen gekennzeichnet. Es muss dazu noch etwas anderes kommen. Wenn sich nämlich der Mensch auch selbst als ein Fremder gegenübersteht, so betrachtet er doch nur sich selbst; er sieht auf diejenigen Erlebnisse und Handlungen, mit denen er durch seine besondere Lebenslage verwachsen ist. Er muss darüber hinauskommen. Er muss sich erheben zu einem rein Menschlichen, das nichts mehr mit seiner besonderen Lage zu tun hat. Er muss zu einer Betrachtung derjenigen Dinge übergehen, die ihn als Mensch etwas angingen, auch wenn er unter ganz anderen Verhältnissen, in einer ganz anderen Lage lebte. Dadurch lebt in ihm etwas auf, was über das Persönliche hinausragt. Er richtet damit den Blick in höhere Welten, als diejenigen sind, mit denen ihn der Alltag zusammenführt und damit beginnt der Mensch zu fühlen, zu erleben, dass er solchen höheren Welten angehört. Es sind das Welten, über die ihm seine Sinne, seine alltägliche Beschäftigung nichts sagen können. So erst verlegt er den Mittelpunkt seines Wesens in sein Inneres. Er hört auf die Stimmen in seinem Innern, die in den Augenblicken der Ruhe zu ihm sprechen; er pflegt im Innern Umgang mit der geistigen Welt. Er ist dem Alltag entrückt der Lärm dieses Alltags ist für ihn verstummt. Es ist um ihn herum still geworden. Er weist alles ab, was ihn an solche Eindrücke von außen erinnert die ruhige Beschaulichkeit im Innern, die Zwiesprache mit der rein geistigen Welt füllt seine ganze Seele aus.
Ein natürliches Lebensbedürfnis muss dem Geheimschüler solche stille Beschaulichkeit werden. Er ist zunächst ganz in eine Gedanken-Welt versenkt. Er muss für diese stille Gedankentätigkeit ein lebendiges Gefühl entwickeln. Er muss lieben lernen, was ihm der Geist da zuströmt bald hört er dann auch auf, diese Gedankenwelt als etwas zu empfinden, was unwirklicher sei als die Dinge des Alltags, die ihn umgeben. Er fängt an, mit seinen Gedanken umzugehen wie mit den Dingen im Raume. Und dann naht für ihn auch der Augenblick, in dem er das, was sich ihm in der Stille innerer Gedankenarbeit offenbart, als viel höher, wirklicher zu fühlen beginnt als die Dinge im Raume.