SCHNELL, ERBARMUNGSLOS, RELATIV: DIE ZEIT. Dominic D. Kaltenbach
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Nicht anders verhält es sich mit dem Einfluss Newtons auf den großen Philosophen Immanuel Kant, der auch einmal klein mit Mathematik und Physik begonnen hatte. Die Naturwissenschaften werden durch diese Feststellung keinesfalls diskreditiert. Die gegebene Gegenwart ist auch bei Immanuel Kant schlicht die Konsequenz aus der Vergangenheit. Auf der Linie Newtons beweist er zunächst einwandfrei, dass Raum und Zeit unendlich sind. Im nächsten Schritt räumt er dann jegliche Zweifel daran aus, dass Raum und Zeit Grenzen besitzen müssen. In derartige Widersprüche gerät die Vernunft, so der Aufklärer mahnend, wenn sie meint, über ihre Erfahrungswelt hinaus tätig sein zu müssen. Vorab muss doch erst einmal geklärt werden, warum die Welt nach Raum und Zeit geordnet ist. Antwort: Sie selbst ist es gar nicht. Allerdings musste sich der Kenner der Vorstellungskraft bereits zu Lebzeiten gegen eine Quintessenz wehren, die sich bis heute beharrlich hält. Damit ist nämlich nicht gesagt, dass der berühmte, eindeutig wahrnehmbare Tisch unter Umständen gar nicht da ist. Was wir letztlich allerdings erkennen hat weniger mit dem betrachteten Gegenstand, also dem definitiv vorhandenen Tisch, als mit unserem eigenen Vermögen zu tun. Das fängt bereits damit an, dass das Möbelstück weder im Raum noch in der Zeit existiert. Der gegenteilige Eindruck basiert auf einem Streich, den uns unsere Erkenntnisfähigkeit spielt. Selbige setzt sich aus der Kooperation des Verstandes mit den Sinnen zusammen. Damit wir im allgemeinen Durcheinander überhaupt irgendetwas begreifen können, ist eine Struktur notwendig. Entsprechend nehmen wir alle Dinge nach Raum und Zeit sortiert war. Auch wenn es uns anders erscheint, so rührt diese förmliche Ordnung nicht von den Gegenständen oder sonst etwas Äußerem her. Sie kommt alleine von unserem Verstand mit seinen hilfreichen, intuitiven Ideen. Der Witz bei Immanuel Kant besteht also nicht darin, dass eine betrachtete Sache in Wirklichkeit gar nicht da ist. Die Pointe besagt, dass Raum und Zeit nicht wirklich existieren. Beide sind „lediglich“ subjektive Instrumente zur Erfassung der Welt. Der Zugang zur absoluten, von der Erkenntnis losgelösten Realität bleibt dem Meister der Empfindlichkeit verschlossen. Dies lässt sich an der Zeit selbst konkretisieren. Räumlich veranschaulicht als eindimensionale Linie, die sich bis in die Unendlichkeit fortsetzt, können daraus keinerlei Schlussfolgerungen über das Wesen der Zeit gezogen werden. Nicht einmal unsere sortierende, intuitive Vorstellung von Zeit entsteht durch diese lineare Abfolge von Sinneseindrücken. Derartige Sequenzen sind nur vor dem bereits vorhandenen Hintergrund einer abwechslungslosen Zeit denkbar. Wären die gereihten Abschnitte dagegen selbst Zeit, könnte deren Verlauf wiederum nur mittels einer zusätzlichen Zeit gedacht werden.
Die Ansätze von Isaac Newton und Immanuel Kant werden die Weltsicht bis in das 20. Jahrhundert hinein wesentlich prägen. In der Physik entwickelte sich ausgehend und im Einklang mit Newtons Modell des absoluten Raumes und der absoluten Zeit der sogenannte wissenschaftliche Determinismus. Der französische Mathematiker und Astronom Pierre Simon Marquis de Laplace (1749 bis 1827) konzipierte das gesamte Universum als berechenbares Uhrwerk. Ist das Wissen über das Universum vollständig, kann daraus mit Leichtigkeit sein Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt in Vergangenheit oder Zukunft berechnet werden. Allerdings ergeben sich bereits im simplen Rahmen der newtonschen Gravitationsgesetze entsprechende Gleichungsmonster, wie Stephen Hawking anmerkt, deren exakte Lösbarkeit mit zwei berücksichtigten Teilchen erschöpft ist. Nichts desto trotz wird dem Ansinnen, den Zustand der Welt über Position und Geschwindigkeit zu berechnen, zu einem späteren Zeitpunkt noch Ruhm und Ehre zuteilwerden. Die zunächst im 19. Jahrhundert eingebrachten Gesetze der Thermodynamik ließen noch keinerlei Zweifel an den Vorstellungen des Altmeisters der klassischen Physik aufkommen. Die gefundenen energetischen Wechselbeziehungen weisen in ihrer Tendenz eine eindeutige Asymmetrie zwischen Vergangenheit und Zukunft auf. Im ersten Hauptsatz ist dies noch nicht zu erkennen. Selbiger stellt schlicht fest, dass die Energie aus der Wärme und jene aus der Bewegung jeweils ineinander überführt werden können. Der zweite Hauptsatz zeigt allerdings eindeutig: es gibt in der Welt kein Zurück. Kommt in ein thermodynamisches System keine Energie hinein und kann selbige auch nicht heraus, zeigt sich ein Sachverhalt, der auch ökonomisch interessant ist. Für die mechanische Arbeit bleibt in einem abgeschlossenen System zunehmend weniger Energie. Die entsprechend umwandelbare Wärme verteilt sich unumkehrbar stattdessen gleichmäßig auf alle Moleküle. Immerhin wird im dritten Hauptsatz noch nachgeschoben, dass die Praxis ein Erreichen des Temperaturpunktes ausschließt, an dem keinerlei Bewegungsenergie mehr vorhanden ist. Wer jedoch aufgrund dieser gerichteten Folge glaubt, auf das Wesen der Zeit schließen zu können, gerät unweigerlich in den Fokus der „Kant-Bande“.
Auf der Basis der thermodynamischen Gesetze lässt sich zwar veranschaulichend ein „Zeitpfeil“ zeichnen, dieser ordnet richtungsweisend jedoch lediglich die physikalischen Vorgänge. Über die Richtung der Zeit als solche sagt er gänzlich nichts aus. Mit der gegenteiligen Annahme könnte man, so Nora Nebel prägnant, genauso gut behaupten, dass sich ein Kompass auf dem Weg nach Norden befindet, nur weil dessen Nadel dorthin weist. Der geradezu als fanatisch beschriebene Kantanhänger Paul Natorp (1854 bis 1924) verweist zudem die traditionsvergessenen naturwissenschaftlichen Emporkömmlinge auf ihren Platz. Das Raum- und Zeitverständnis seines Lehrmeisters ist gegen jegliche physikalische Innovation immun. Die Betrachtungsformen „Zeit“ und „Raum“ können von deren messbaren Varianten deshalb nicht beeinflusst werden, weil Letztere ausschließlich durch Erstere möglich sind. Wie ein im 20. Jahrhundert nicht minder bedeutender Physiker allerdings vernichtend bemerkt, hängen die vermeintlichen Erkenntnisse des Königsberger Aufklärers inhaltlich wesentlich davon ab, welcher philosophische Schüler sie gerade vertritt.
Mit der Deckungsgleichheit war es beim Thema Zeit allerdings schon immer eine etwas verschwommene Angelegenheit. Nicht einmal die schönen, kosmischen Zyklen, die dem Menschen seit Jahrtausenden Orientierung bieten, passen exakt zusammen. Seit der Kulturschaffende die göttlich harmonischen Abläufe in seinem Kalender zusammenfasst, muss sich der natürliche Zauber ständigen Schönheitsoperationen unterziehen. Der Erdtrabant braucht für seinen Zyklus vom nicht belichteten „Neumond“ über den hell strahlenden „Vollmond“ zurück zur Ausgangskonstellation 29,53 Tage. Das synodische Mondjahr ist also 11 Tage früher durchlaufen als die irdische Sonnenumrundung. Auch die ellyptische Bahn des Mondes am Firmament geht in der Jahresbilanz nicht glatt auf. Dieser siderische Monat dauert 27,32 Tage. Auf dieser Grundlage müsste dem als selbstverständlich geltenden 13. Gehalt auch ein realer Monat beigeordnet werden. Wenigstens bei der Umlaufbahn der Erde um die Sonne zeigt sich wahre „Präzession“. Das ist die Bezeichnung für einen Kegel, den die eiernde Erdachse periodisch in 25850 Jahren beschreibt. Unabhängig vom Klimawandel könnte auf der Nordhalbkugel bei dieser kosmischen Harmonie nach 13000 Jahren Silvester im Hochsommer gefeiert werden. Berücksichtigt man dieses Taumeln, wird die Angelegenheit dadurch noch lange nicht rund. Ein Umlauf der Erde um die Sonne dauert 365,2422 mittlere Sonnentage. Bei Letzteren wird abermals ausgeglichen, dass der wahre Sonnentag natürlich ebenfalls schwankt. Sein zugrunde liegendes Ordnungsverständnis erlaubt Abweichungen zum rechnerischen Tag von -14 Minuten 24 Sekunden im Februar bis +16 Minuten 21 Sekunden im November. Damit die Tageszeiten jedoch wenigstens einigermaßen mit dem Sonnenstand übereinstimmen, darf das Jahr zudem nur aus ganzen Tagen bestehen. Die Nachkommastellen müssen eliminiert werden. Seit 1582 folgt einheitlich nach 3 Jahren mit jeweils 365 durchschnittlichen Sonnentagen ein Jahr mit 366. Diese Schaltjahre wurden der Schönheit wegen auf Jahreszahlen festgelegt, die durch 4 teilbar sind. Im rechnerischen Feinschliff fällt dieser zusätzliche Tag dann weg, wenn er auf einen Jahrhundertwechsel fallen würde, dessen Jahr nicht durch 400 dividiert werden kann. Nach