Weihnacht!. Karl May

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Weihnacht! - Karl May

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duftet auf Altären,

      Beter knieen nah und fern.

      Horch, da schallt vom nahen Dome

      Feierlich der Glocken Klang,

      Und im majestätschen Strome

      Schwingt sich auf der Chorgesang:

      ›Herr, nun lässest du in Frieden

      Deinen Diener zu dir sehn,

      Denn sein Auge hat hienieden

      Deinen Heiland noch gesehn!‹ – –«

      »Halt, halt!« unterbrach er mich da eifrig. »Das Gedicht scheint ja gut, ganz gut zu sein, aber zweiunddreißig Strophen, das ist mir zu lang, viel zu lang. Ich muß Ihnen etwas sagen und kann nicht damit warten, bis Sie zu Ende sind. Da, sehen Sie sich einmal das hier an! Kennen Sie das?«

      Er hielt mir ein gedrucktes Notenheft hin und sah mir dabei mit dem Ausdrucke größter Spannung in das Gesicht. Es war die Partitur einer Motette, in welcher die separat gedruckten Stimmen lagen. Ich las den Anfang des Textes: »Siehe, ich verkündige Euch große Freude – –«

      »Nicht hier lesen, nicht hier, sondern den Titel, den Titel!« drängte er ungeduldig.

      Ich that es und erschrak, aber in freudiger Weise, denn es war meine Motette, die mir auf eine so unerklärliche Art abhanden gekommen war.

      »Nicht wahr, das ist etwas, das ist auch etwas?« fragte er triumphierend. »Eine gedruckte Komposition ist mehr, viel mehr wert als ein gedrucktes Gedicht. Ein Gedicht kann jeder machen, der die Reime dazu aus der Luft hergreift; aber eine Komposition, das ist etwas ganz anderes; das kommt nicht aus der Luft, sondern wo anders her! Da muß man etwas gelernt und ganz besonders einen tüchtigen Lehrer gehabt haben. Und gute, tüchtige Lehrer können nur die Herren Kantores sein, welche die Orgel schlagen und den Kirchengesang leiten. Der Kirchengesang ist die höchste – –«

      »Aber bitte, Herr Kantor,« unterbrach ich seinen Redefluß »Sie sehen mich im höchsten Grade erstaunt. Diese Motette habe ich nicht komponiert, daß sie gedruckt werden soll; sie ist eine Übungsarbeit, die im Kasten liegen bleiben sollte; plötzlich aber war sie weg. Wie ist sie in Ihre Hände gekommen, und woher wissen Sie, daß sie von mir ist? Auf dem Originale hat mein Name nicht gestanden.«

      »Das ist wahr, sehr wahr,« lachte er. »Aber denken Sie denn wirklich, daß ich Ihre Handschrift nicht kenne und auch die von Krüger nicht?«

      »Krüger?« fragte ich. »Welchen Krüger meinen Sie?«

      »Dumme Frage! Natürlich Krüger, der Ihnen damals wegen Ihrer Arbeit über die Quintseptaccorde die erste Censur abtreten mußte. Er hat sich rächen wollen, wird aber nun durch mich bestraft, daß er sich blauärgern soll!«

      »Ich verstehe Sie noch nicht.«

      »Immer noch nicht? Sie sind doch sonst nicht so schwer von Begriffen. Da muß ich Ihnen doch gleich noch zweierlei zeigen, worüber Sie sich, wenigstens über das eine, wahrscheinlich wundern oder aber auch ärgern werden. Da, zunächst das. Wessen Handschrift ist das?«

      Er gab mir ein großes, abgestempeltes Couvert, auf welchem sein Name stand. Ich brauchte nur einen Blick darauf zu werfen, um antworten zu können:

      »Das hat Krüger geschrieben; man sieht es sofort.«

      »Ja; der Kerl hat sich nicht einmal Mühe gegeben, seine Hand zu verstellen. Er hat wahrscheinlich gedacht, daß ich das Couvert wegwerfe, ohne es anzusehen. Nun aber das. Sehen Sie es sich genau an!«

      Es war meine Partitur der Motette. Indem ich die Systeme nur flüchtig überblickte, fand ich nicht, was er meinte; da machte er mich darauf aufmerksam:

      »Halten Sie das Papier gegen das Licht, so werden Sie die radierten Stellen finden.«

      »Was! Er hat radiert?«

      »Ja, er hat radiert, um Fehler hineinzumachen; die Absicht können Sie sich wohl denken!«

      »Das wäre eine Schlechtigkeit, eine Gemeinheit, die –«

      »Lassen Sie das!« unterbrach er mich. »Ich habe die Sache schon selbst in die Hand genommen. Ich habe ihn vorgehabt, und er hat es eingestehen müssen; die Sache wird noch vor die Konferenz kommen. Inzwischen habe ich eine Abschrift, natürlich ohne die hineingemachten Fehler, genommen und die Motette dann dem Buchhändler eingeschickt, Ihnen zuliebe und diesem Krüger zum Ärger. Er hat sie angenommen, und wissen Sie, welches Honorar er Ihnen zahlt?«

      »Honorar? Also Geld, auch hier Geld?«

      »Natürlich! Geschriebene Noten gegen Banknoten oder klingende Münze; anders thue ich es nicht. Er hat einstweilen fünfhundert gedruckt und dafür fünfundzwanzig Thaler bezahlt. Sie bekommen also zwar bloß fünfzehn Pfennige für das Exemplar, aber das ist doch immer besser, als wenn die Motette in Ihrem Kasten läge und gar nichts brächte. Er schickte Papiergeld; ich habe es aber umgewechselt, weil Silber besser klingt. Es ist ein ganzer, großer Haufen Geld. Da haben Sie ihn! Lassen Sie nichts davon fallen!«

      Er zog den Tischkasten auf, griff mit beiden Händen hinein und hielt sie mir dann, gefüllt mit Thalerstücken hin. Ich war beinahe bestürzt über diese zweite, so ganz unerwartete Gabe des Glückes. Er schob mir das Geld lachend hüben und drüben in die Hosentaschen und rief dabei:

      »Nehmen Sie nur, nehmen Sie! Wer weiß, ob Ihnen in Ihrem ganzen Leben wieder einmal eine Komposition auch nur einen Groschen einbringt; drum greifen Sie jetzt zu; Sie können es ja brauchen! Übrigens wird die Motette eingeübt und hier in der Kirche gesungen; der Krüger muß platzen vor Ärger, das heißt, wenn er nicht schon vorher fort muß, denn die Gemeinheit, welche er hier bewiesen hat, verdient eine so exemplarische Bestrafung, daß ich überzeugt bin – –«

      »Bitte, Herr Kantor,« fiel nun ich ihm einmal in die Rede. »Sie sind mir immer freundlich gesinnt gewesen, und ich denke, daß Sie mir auch jetzt die Erfüllung eines Herzenswunsches nicht abschlagen werden.«

      »So? Hm, ich ahne schon! Was ist das für ein Wunsch?«

      »Bringen Sie Krüger nicht vor die Konferenz! Ich bin heute so glücklich und würde die ganze Freude an diesem Glück verlieren. wenn er in Strafe käme.«

      »Ist das nicht zuviel verlangt?«

      »Wohl nicht. Er ist ja die eigentliche Ursache der frohen Überraschung, die Sie mir bereitet haben. Sie hätten gewiß keinen Verleger für die Motette gesucht, wenn er sie Ihnen nicht eingeschickt hätte, um mich in Ihrer Meinung herabzusetzen.«

      Da gab er mir die Hand und sagte, jetzt ernster als vorher:

      »Sie machen mir eine doppelte Freude. Nämlich erstens, daß Sie für Krüger bitten. Ich habe ihn nur deshalb noch nicht zur Anzeige gebracht, um ihn mit meinem Verweise und einem tüchtigen Ärger davonkommen zu lassen. Darum habe ich gewartet, bis die Motette gedruckt worden ist. Hätten Sie die Anzeige gewollt, so wäre sie erfolgt; nun aber soll er noch einen kräftigen Rüffel unter vier Augen bekommen und dabei erfahren, daß er die übrige Straflosigkeit nur Ihrer Fürbitte verdankt. Er wird sich blau und schwarz darüber ärgern, daß die Motette im Druck erschienen ist, daß sie Ihnen Geld eingebracht hat und daß er sie nun sogar mitsingen muß.«

      »Soll er das?«

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