Vier Jahre Türkei. Hans Bahmer
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Wer vor der Yeni Cami in Istanbul steht, der wird den Taubenschwarm, der sich hier häuslich eingerichtet hat, nicht übersehen können.
Zum Umfeld vieler Moscheen gehören Tauben ebenso dazu, wie die Händler, die religiöse Utensilien zum Verkauf anbieten. Tauben füttern ist ein Spaß für Jung und Alt. Das Futter liefern die zwischen den Vögeln sitzenden Händler gegen ein paar Lira. Aber damit ist das Vergnügen noch nicht beendet. Fotografen bieten ihre Dienste an. Die bestehen darin, den Besucher auf der Moscheentreppe inmitten der nach Futter pickenden oder eben auffliegenden Vögel abzulichten.
Helmuth von Moltke, der sich 1835 bis 1839 in der Türkei aufhielt, fielen schon damals die vielen Tauben in der Umgebung der Moscheen auf: „..und in dem Vorhof der Moschee Bajasids gibt es eine Versorgungsanstalt für Tauben.“ Die Vorliebe für die Tauben führt Moltke auf einen fernen Taubenvorfahren zurück, der dem Propheten eine besondere Botschaft ins Ohr geflüstert haben soll. Nach anderen Quellen leitet sich die Verehrung der Tauben aber von dem Hadsch? Bekta? Veli ab, der als Taube verwandelt in Anatolien einreiste.
Unter den Tauben in der Stadt fallen die zierlichen, rostbraunen, zutraulichen Palmtauben auf, die im letzten Jahrhundert hier eingeführt und inzwischen heimisch wurden. Die anspruchslosen Tauben legen ihr weißes Ei selbst in ein aus nur wenigen Reisern bestehendes Nest auf der Fensterbank. Während Tauben, Vogelfutterverkäufer und Fotografen eigentlich immer anzutreffen sind, begegnet man dem Mann mit seinen Minivogelkäfigen eher selten. An manchen Tagen hat er seine Käfige an eigens dafür in die Moscheenmauer geschlagenen Nägeln aufgehängt. Auch er verdient sein Geld durch Vögel. Hauptsächlich selbstgefangene Stieglitze und ab und zu ein Kirschkernbeißer fristen ihr Dasein im Drahtgefängnis, bis sie für etwa 400000 Lira den Besitzer, aber nicht ihr Schicksal wechseln. Immerhin hat der Vogelfänger schon ein gewisses Unrechtsbewusstsein entwickelt, denn er lässt sich nicht so gern mit seinen Vögeln fotografieren, die nach eigenen Angaben natürlich aus Eiern gezüchtet sind. In der Nachbarschaft der Moschee spielen sich noch mehr Vogelschicksale ab. Ganze Scharen von Alpenseglern jagen laut zwitschernd um den Gebäudekomplex. Kaum wahrnehmbar dagegen der Turmfalke, der hoch oben im Minarett brütet. Der Glücksbringer Storch, der durch den Moscheenhof stolziert oder gar auf der Kuppel sein Nest hat, ist längst zur Rarität geworden und allenfalls noch auf dem Land zu finden. Einst galt der Storch als Mekkapilger und Vorbild für jeden guten Muslim, dem seine Religion bekanntlich eine Pilgerreise zu den Heiligen Stätten des Islams in Arabien empfiehlt. So wurde der lediglich vor dem unwirtlichen Winter nach Süden fliehende Storch, wie jeder andere Wallfahrer auch, zum Träger des Ehrentitels Hadschi.
Total aus dem Stadtbild verschwunden sind die Schmutzgeier, von denen im letzten Jahrhundert noch etwa 500 Paare in der Stadt ihrem Brutgeschäft nachgingen. Dafür sieht man ab und zu einen Graureiher am Himmel entlang gleiten oder grüne Papageien durch die Luft schießen. In den Platanen des benachbarten Parks befindet sich selbst in der Millionenstadt noch eine Brutkolonie der Graureiher. Die Nachkömmlinge einst ausgerissener Papageien haben sich längst auf Friedhöfen und in Parks etabliert. Während Falke und Alpensegler die zufällig vorhandenen Lücken und Löcher in den Mauern der Moschee ausnutzen, finden andere Höhlenbrüter eigens für sie geschaffenen Nisthilfen vor.
Die Nistmöglichkeiten bestehen weder aus dem bei uns so verbreiteten Holzbeton oder Holz und sind auch nicht von Vertretern von Naturschutzorganisationen aufgehängt worden. Die Vogelkästen sind fester Bestandteil des Moscheengebäudes. An der Yeni Cami sind es eher unscheinbare, kaum auffallende Gebilde in geringer Anzahl. An einer anderen Moschee zählt man fast dreißig solcher steinernen Vogelhäuschen, an denen Hundertwasser sicher seine Freude gehabt hätte. Sie wirken wie spielerische Elemente, die Fassaden auflockern. Die Bautypen variieren von einfachen normierten Löchern über verschnörkelte Anbauten, Vogelkästen, die ans Goetheanum in Dornach erinnern, bis hin zu Minimoscheen mit Kuppeln, Minaretts, verziert mit durchbrochenen, Spitzenhandarbeit gleichenden Fenstern, Balkonen, Treppchen, Vorsprüngen und Absätzen. Ob die Einzimmerappartements und Paläste immer den Wünschen der Vögel entsprechen, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall sieht man Spatzen, Stare, Dohlen und Tauben Unterschlupf suchen in solch künstlichen Anbauten.
In vielen Kulturen gilt der Vogel als Mittler zwischen Himmel und Erde. Büttner hat 1664 Folgendes beobachtet: „An Ecken und Straßen sitzen Leute mit großen Vogelbauern voller Lerchen. Wenn nun ein Türke vorüber gehet oder reitet, und ihnen etliche Asper zahlet, lassen sie denselbigen hinein greifen, und so viele Vögel herausnehmen, als er mit einer Hand erhaschen kann, die er doch straks wieder in die freie Luft über dem Kopf hinfliegen lässet, und für gut hält, dass er sie aus dem Gefängnis erlöset, und in ihre vorige Freiheit gebracht.“ Mit den Worten: „Fliege, Vogel, fliege vor, wart auf mich am Himmelstor!“ schenkte man in vergangenen Zeiten in der Türkei gefangenen Vögeln die Freiheit. Während dieser einst weit verbreitete Brauch, Gott sei Dank, so ziemlich verschwunden ist, denn schließlich setzte er den Fang von Vögeln voraus, bevor man diese wieder in die Freiheit entlassen konnte, ist es eher ein betrübliches Zeichen, dass sich manche der dekorativen Nistmöglichkeiten an den Moscheen in einem arg desolaten Zustand befinden und dringender Restaurierung bedürfen.
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