Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
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Der Squire erwartete mich an der Sternluke; alle seine Schwäche war verflogen. Er fing das Tau auf, das ich ihm zuwarf, und machte es fest, und dann beluden wir das Boot so schnell, wie wenn es um unser Leben ginge. Gepökeltes Schweinefleisch, Pulver und Schiffszwieback war die Ladung; außerdem nahmen wir nur je eine Muskete und je einen Stutzsäbel für den Squire und mich und Redruth und den Kapitän mit. Die übrigen Waffen und den Rest des Pulvers warfen wir über Bord in dritthalb Faden tiefes Wasser; wir konnten den blanken Stahl auf dem reinen Sandboden tief unter uns in der Sonne schimmern sehen.
Inzwischen hatte die Ebbe eingesetzt, und das Schiff drehte sich an seinem Anker herum. In der Richtung auf die beiden Gigs hörten wir ein schwaches Rufen, und obgleich uns dies die Beruhigung gab, daß Joyce und Hunter in Sicherheit waren – denn sie befanden sich ein gutes Stück weiter nach Osten zu –, so war es doch für uns eine dringende Aufforderung, uns aufzumachen.
Redruth zog sich von seinem Posten im Verbindungsgang zurück und sprang in das Boot, das wir hierauf an die Gilling heranbrachten, damit Kapitän Smollett bequemer einsteigen könnte. Bevor er aber dies tat, rief er:
»Nun, Leute – hört ihr mich?«
Vom Vorderschiff kam keine Antwort.
»Ich meine dich, Abraham Gray!«
Immer noch keine Antwort.
»Gray,« rief Smollett noch lauter, »ich verlasse jetzt das Schiff, und ich befehle Euch, Eurem Kapitän zu folgen. Ich weiß, Ihr seid im Grunde ein braver Mann, und ich bin auch überzeugt, kein einziger von euch allen ist in Wirklichkeit so schlecht, wie er sich stellt. Ich halte meine Uhr hier in der Hand; ich gebe Euch dreißig Sekunden Zeit, zu mir zu kommen!«
Einen Augenblick war alles still.
»Kommt, mein braver Junge!« fuhr der Kapitän fort; »besinnt Euch nicht so lange! Ich riskiere mit jeder Sekunde mein Leben und das dieser guten Herren hier.«
Plötzlich hörten wir ein Gebalge, einen Lärm von Faustschlägen, und heraus sprang Abraham Gray mit einem Messerschnitt auf der Wange und lief zum Kapitän herüber, wie ein Hund, dem sein Herr gepfiffen hat, und sagte:
»Ich halte zu Ihnen, Herr!«
Im nächsten Augenblick waren er und der Kapitän zu uns ins Boot gesprungen; wir stießen ab und fuhren davon.
Vom Schiff waren wir also herunter; aber wir waren noch nicht an Land und erst recht nicht in unserem Pfahlwerk.
Siebzehntes KapitelFortsetzung der Erzählung des Doktors: Die letzte Fahrt der Jolle
Diese fünfte Überfahrt war ganz verschieden von allen anderen. Erstens war unsere kleine Nußschale von einem Boot weit über ihre Tragkraft beladen. Fünf erwachsene Männer waren überhaupt schon mehr, als die Jolle eigentlich tragen konnte, zumal da drei von ihnen – Trelawney, Redruth und der Kapitän – mehr als sechs Fuß hoch waren. Hierzu kam noch das Pulver, das Schweinefleisch und die Zwiebacksäcke. Das Wasser ging bis ans Dollbord und schwappte verschiedene Male über, wenn auch nicht viel hineinlief; aber meine Hose und meine Rockschöße waren klitschnaß, bevor wir hundert Yards zurückgelegt hatten.
Der Kapitän ließ uns so sitzen, daß das Boot besser im Gleichgewicht war. Trotzdem wagten wir kaum zu atmen.
Außerdem wurde der Ebbstrom jetzt stärker. Eine kräftige Strömung ging nach Westen durch das Wasserbecken und dann südwärts nach dem engen Sund zu, durch den wir am Morgen eingefahren waren. Für unser überladenes Fahrzeug waren sogar die leichten Kräuselwellen eine Gefahr; das schlimmste aber war, daß wir aus unserem richtigen Kurs kamen und über unsere eigentliche Landungsstelle hinaus abgetrieben wurden. Wenn wir uns von der Strömung mitnehmen ließen, mußten wir dicht neben den Gigs landen, wo jeden Augenblick die Piraten erscheinen konnten.
»Ich kann nicht auf das Pfahlwerk zuhalten, Kapitän!« sagte ich zu Smollett. Ich steuerte, während er und Redruth, die noch frisch bei Kräften waren, die Riemen führten. »Der Ebbstrom treibt uns fortwährend ab. Könnten Sie vielleicht etwas stärker rudern?«
»Nicht ohne daß uns das Boot voll läuft,« sagte er.
»Sie müssen dicht heranhalten, Doktor, wenn Sie so gut sein wollen – immer dicht heran, bis Sie sehen, daß wir der Strömung Herr werden.«
Ich versuchte es und fand bald, daß der Ebbstrom uns nach Westen riß, wenn ich nicht genau nach Osten steuerte; das war aber im rechten Winkel in der Richtung, in der wir fahren mußten.
»Auf diese Weise kommen wir nie und nimmer an Land,« sagte ich.
»Wenn es der einzige mögliche Kurs ist, Doktor, so müssen wir ihn eben steuern,« antwortete der Kapitän. »Wir müssen gegen den Strom halten. Sehen Sie, – wenn wir einmal leewärts von dem Landungsplatz kommen, dann ist es schwer zu sagen, an welcher Stelle wir an den Strand kommen; ganz abgesehen von der Möglichkeit, daß die Gigs uns über den Hals kommen. Wenn wir aber einfach weiterfahren, muß die Strömung allmählich schwächer werden, und dann können wir dicht am Strande wieder zurückfahren.«
»Der Strom ist schon weniger, Herr,« sagte der Matrose Gray, der vorne am Bug saß; »Sie können hier ein bißchen mehr freien Weg geben.«
»Danke Euch, mein Mann,« sagte ich ganz ruhig, wie wenn gar nichts vorgefallen wäre; denn wir waren stillschweigend alle darüber einig, ihn wie unseresgleichen zu behandeln.
Plötzlich stieß der Kapitän einen Ruf aus, und es kam mir vor, wie wenn seine Stimme etwas verändert wäre.
»Die Kanone!« sagte er.
»Ich habe daran gedacht,« sagte ich; denn ich war überzeugt, daß er an ein Bombardement des Pfahlwerks dachte. »Sie können die Kanone unmöglich an Land schaffen; und selbst wenn ihnen das gelänge, könnten sie sie doch nicht durch den Wald schleppen.«
»Sehen Sie sich um, Doktor!« antwortete der Kapitän.
Wir hatten den langen Neunpfünder ganz und gar vergessen und sahen jetzt auf einmal zu unserem Entsetzen, daß die fünf Halunken eifrig beschäftigt waren, der Kanone die Jacke auszuziehen, wie man die starke Segelleinwand nennt, mit der sie während der Fahrt zugedeckt ist. Und es war nicht nur das; sondern in demselben Augenblick fiel mir ein, daß wir die Vollkugeln und das Pulver für die Kanone zurückgelassen hatten; ein einziger Streich mit der Axt mußte die Munition in den Besitz der fünf Bösewichte bringen.
»Israel war Flints Kanonier!« sagte Gray mit eigener Stimme.
Aller Gefahr zum Trotz lenkten wir das Boot schnurstracks auf den Landungsplatz zu. Wir waren mittlerweile so weit aus der Strömung herausgekommen, daß das Boot selbst trotz unserem naturgemäß sehr langsamen Rudern genug Steuerfahrt hatte, und ich konnte gerade auf das Ziel loshalten. Aber das schlimmste dabei war, daß wir bei dem jetzigen Kurse der Hispaniola unsere Breitseite anstatt unseres Sterns zudrehten, so daß wir also ein Ziel wie ein Scheunentor darboten.
Ich konnte nicht nur hören, sondern auch sehen, wie der Schuft mit dem versoffenen Branntweinsgesicht, Israel Hands, eine Vollkugel auf das Deck warf.
»Wer ist der beste Schütze?« fragte der Kapitän.
»Herr Trelawney, ohne allen Zweifel,« sagte ich.
»Herr