Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
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Das Bewußtsein meiner eigenen Standhaftigkeit tröstete mich ein wenig, aber nicht viel. Trotz allem und allem konnte ich ein eisiges Gefühl im Herzen nicht loswerden, und das ganze Leben schien mir ein finsteres, gefährliches Geschäft. Für zwei Seelen insbesondere floß ich vor Mitleid über. Die eine war ich selbst in meiner freundlosen, bedrohlichen Lage. Die andere war das Mädchen, die Tochter James Mores. Ich kannte sie kaum, aber ich hatte sie gesehen, und mein Urteil stand fest. Ich hielt sie für ein Mädchen von reinstem Ehrgefühl, empfindlich in diesen Dingen wie ein Mann; Schande, dachte ich, würde sie töten; und im nämlichen Augenblick glaubte ich von ihrem Vater, daß er am Werke sei, sein eigenes, entehrtes Leben gegen das meinige einzuhandeln. Das schaffte eine Art Gedankenverbindung zwischen dem Mädchen und mir. Bisher war sie nur wie ein Wanderer am Wege neben mir aufgetaucht, eine flüchtige Erscheinung, die mich jedoch seltsam fesselte; jetzt entdeckte ich plötzlich nahe Bande zwischen mir und ihr als Tochter meines Blutsfeindes, ja Mörders, wie ich ihn mit Recht bezeichnen konnte. Ich überlegte, daß es doch ein recht hartes Schicksal sei, mein Lebtag um anderer Leute willen gejagt und verfolgt zu werden, ohne ein bißchen eigene Freude am Leben. Zwar hatte ich satt zu essen und ein Bett zum Schlafen, wenn meine Angelegenheiten es mir gestatteten; alleindarüber hinaus wollte mein Reichtum mir nichts nützen. Sollte ich gehenkt werden, so waren meine Tage gezählt; kam es nicht dazu, und entrann ich mit heiler Haut allen diesen Gefahren, so würde ich das Leben vielleicht noch satt bekommen, ehe ich mit ihm fertig war. Plötzlich tauchte Catrionas Gesicht vor mir auf, mit leise geöffneten Lippen, wie ich es das erstemal erblickt hatte; gleichzeitig spürte ich eine Schwäche in meinem Herzen und Kraft in meinen Beinen und machte mich entschlossen auf den Weg nach Dean. Sollte ich morgen gehenkt werden – und die Möglichkeit, daß ich bereits heute nacht im Gefängnis schlafen müßte, lag auf der Hand – so wollte ich vorher wenigstens noch einmal Catriona sehen und sprechen.
Die körperliche Bewegung und der Gedanke an mein Ziel gaben mir frischen Mut, so daß ich fast heiter wurde. Im Dorfe Dean, das im Grunde eines Tales neben dem Flusse lag, erkundigte ich mich bei einem Müllerknecht nach dem Wege, und er wies mich auf einen breiten Pfad, der mich am jenseitigen Ufer bergauf nach einem sauberen Häuschen führte in einem Garten mit Apfelbäumen und weiten Rasenflächen. Mein Herz schlug heftig, als ich die Öffnung in der Gartenhecke durchschritt und fiel mir gleich darauf in die Hosen, denn plötzlich stand ich einer grimmigen, finster blickenden alten Dame gegenüber, die dort spazierenging, und die als Kopfbedeckung eine weiße Haube trug, über die ein Männerhut geschnallt war.
»Was sucht Ihr hier?« herrschte sie mich an.
Ich sagte, ich wünsche Miß Drummond zu sprechen.
»Und was habt Ihr mit Miß Drummond zu schaffen?« forschte sie. Ich erklärte, ich hätte sie vergangenen Samstag getroffen und wäre so glücklich gewesen, ihr einen kleinen Dienst zu erweisen und sei heute auf der jungen Dame persönliche Einladung hier. »Aha, der Musjö Sixpence!« rief sie mit schärfstem Hohn. »Ein schönes Geschenk, ein feiner Gentleman! Habt Ihr noch einen anderen Namen oder Titel, oder wurdet Ihr Sixpence getauft?«
Ich nannte ihr meinen Namen.
»Gott im Himmel!« rief sie. »Hat Ebenezer einen Sohn gezeugt?« »Nein, gnädige Frau«, entgegnete ich. »Ich bin der Sohn von Alexander und der Erbherr von Shaw.« »Wenn Ihr das durchfechten wollt, habt Ihr Euch ein saures Stück Arbeit vorgenommen«, bemerkte sie. »Ich sehe, Ihr kennt meinen Onkel,« entgegnete ich, »Ihr werdet Euch daher vielleicht freuen zu hören, daß die Angelegenheit bereits geregelt ist.« »Und was wollt Ihr von Miß Drummond?« fuhr sie fort. »Ich bin wegen meines halben Shillings gekommen, Madame,« sagte ich. »Ihr dürft Euch nicht wundern, wenn ich als meines Onkels Neffe ein wenig haushälterisch bin.« »So, so, Ihr habt also einen Funken von Witz«, bemerkte die alte Dame mit einigem Wohlwollen. »Ich dachte, Ihr wäret nur so ein windiger Junge – Ihr mit Eurem Sixpence und Eurem ›Glückstag‹ und Eurem ›Balwhidder zuliebe‹« – (Ich erkannte mit Befriedigung, daß Catriona sich wenigstens eines Teiles unseres Gespräches erinnert hatte.) »Aber so kommen wir nicht weiter«, fuhr sie fort. »Habe ich zu verstehen, daß Ihr auf Freiersfüßen geht?« »Die Frage ist bestimmt etwas verfrüht«, sagte ich. »Das Fräulein ist noch sehr jung, und ich leider auch. Ich habe sie erst einmal gesehen. Ich leugne nicht,« fügte ich in der Absicht hinzu, es einmal mit vollkommener Offenheit zu versuchen, »ich leugne nicht, daß sie mir, seit ich sie kennenlernte, ziemlich viel im Kopfe herumgeht. Das ist eine Sache für sich, aber es ist eine ganz andere Sache, sich festzulegen, und ich glaube, ich wäre ein Narr, wenn ich's täte.« »Na, Ihr nehmt, wie ich sehe, kein Blatt vor den Mund«, entgegnete die alte Dame. »Das tue ich, gottlob, auch nicht! Ich war dumm genug, dieses Gauners Tochter unter meinen Schutz zu nehmen; eine schöne Sache habe ich mir da aufgehalst, aber geschehen ist geschehen, und durchführen werd ich sie, wie's mir gefällt. Wollt Ihr mir weismachen, Mr. Balfour von Shaw, Ihr wäret bereit, James Mores Tochter zu heiraten, selbst wenn er gehenkt wird? Na also, und wo aus dem Heiraten nichts wird, wird auch nichts aus dem Hofieren und Karessieren, könnt Euch drauf verlassen. Mädchen sind schwache Geschöpfe«, setzte sie mit einem Kopfnicken hinzu, »und wenn Ihr's mir mit meinen Runzeln auch nicht anseht, war ich selbst doch auch mal ein Mädchen, und ein hübsches obendrein.«
»Lady Allardyce«, entgegnete ich, – »ich nehme an, das ist Euer Name – Ihr scheint mir hier für beide Teile das Reden zu besorgen, und das ist kaum die rechte Art, zu einer Verständigung zu gelangen. Ihr habt da eine ziemlich empfindliche Stelle getroffen, als Ihr mich fragtet, ob ich vom Fuße des Galgens weg eine junge Dame heiraten möchte, die ich ein einziges Mal gesehen habe. Ich sagte Euch bereits, ich würde niemals so unvorsichtig sein, mich zu binden. Und doch will ich Euch gegenüber ziemlich weit gehen. Wenn ich das Mädchen weiterhin so gerne habe, wie ich es eigentlich erwarte, wird es stärkeren Mächten als ihrem Vater und dem Galgen nicht gelingen, uns auseinander zu halten. Und was meine Familie anbetrifft, so habe ich sie quasi auf der Landstraße aufgelesen, wie einen verlorenen Kupfergroschen. Ich schulde meinem Onkel weniger als nichts, und sollte ich jemals heiraten, so geschieht's einem einzigen Menschen zu Gefallen: mir selbst.« »Dergleichen Reden habe ich gehört, noch ehe Ihr auf der Welt waret«, versetzte Mrs. Ogilvy, »und das ist vielleicht der Grund, weswegen ich so wenig davon halte. Es gibt da viele Bedenken. Dieser James More ist ein Verwandter von mir, zu meiner Schande sei's gesagt. Aber – je besser die Familie, um so zahlreicher die Gehenkten – so war es ja von jeher in unserem armen Schottland. Und wenn es mit dem Hängen abgetan wäre! Ich für meinen Teil wäre ganz zufrieden, den James am Galgen zu sehen, dann wären wir ihn endlich los. Die Katrin ist ein recht braves Mädchen und gutherzig obendrein, die sich den lieben langen Tag von so einem abgetakelten alten Frauenzimmer wie mir die Ohren vollposaunen läßt. Aber jetzt kommt der wunde Punkt. Sie ist reinweg vernarrt in den langbeinigen, falschen, gleisnerischen Lumpen, ihren Vater, und dreidoppelt vernarrt in alles, was Gregara heißt und geächtet ist und was mit König James und derartigen Windbeuteleien zu tun hat. Und wenn Ihr glaubt, sie würde sich von Euch leiten lassen, so seid Ihr gründlich auf dem Holzwege. Ihr habt sie nur einmal gesehen –« »Einmal gesprochen, wäre richtiger«, unterbrach ich sie. »Ich sah sie heute morgen aus Prestongranges Fenster.« Ich erwähnte das so nebenbei, vermutlich, weil ich glaubte, damit Eindruck zu machen, und wurde sogleich für meine Eitelkeit bestraft. »Was soll das heißen?« rief die alte Dame mit einer plötzlichen Grimasse. »Ich glaube, des Lord Staatsanwalts Tür war der Ort, an dem Ihr einander kennenlerntet?« Ich mußte das bestätigen. »Hm«, sagte sie, und fuhr dann plötzlich scheltend fort, »ich muß Euch ja auf Euer bloßes Wort glauben, wer und