Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke - Robert Louis Stevenson страница 80
Und so geschah es – tatsächlich sprach Mr. Stuart die Zeugen in diesem Kriminalfall erst unterwegs auf der Landstraße, irgendwo in der Nähe von Tynedrum, und das lediglich dank der Nachsicht des sie begleitenden Offiziers.
»In dieser Sache wundere ich mich über nichts mehr«, bemerkte ich.
»Ich werde Euch schon das Wundern lehren, ehe wir damit zu Ende sind«, rief er. »Wißt Ihr, was das ist?« fragte er, ein noch feuchtes Druckblatt hervorziehend. »Das ist die Anklageschrift; seht, da steht Prestongranges Name auf der Zeugenliste, aber der Name Balfour fehlt. Doch darum handelt es sich im Augenblicke nicht. – Wer, meinet Ihr, hat hierfür die Druckkosten bezahlt?« »Höchstwahrscheinlich König Georg«, entgegnete ich.
» Ich war's!« rief er. »Zwar haben sie's persönlich drucken lassen, für sich selbst, für die Grants und die Erskines und für jenen Erzschurken und Räuber, Simon Fraser. Aber meint Ihr, ich hätte auch nur eine einzige Copie bekommen? Mitnichten! Ich sollte stockblind die Verteidigung übernehmen; ich sollte die verschiedenen Punkte der Anklage erst in der Verhandlung selbst erfahren, gleichzeitig mit den Geschworenen.«
»Aber verstößt das nicht gegen das Gesetz?« erkundigte ich mich.
»Nicht ausdrücklich«, war die Antwort. »Diese Gunst ist so natürlich und wird (außer bei dieser unerhörten Sache) so allgemein gewährt, daß das Gesetz sie nicht einmal vorschreibt. Jetzt bewundert aber einmal die Hand der Vorsehung! Ein Unbekannter ist zufällig in Flemings Druckerei, hebt einen Korrekturabzug vom Boden auf und bringt ihn mir. Und er entpuppt sich als die Klageschrift! Und ich lasse sie auf Kosten der Verteidigung – sumptibus moesti rei – noch einmal drucken. Ist Euch so etwas schon vorgekommen? Und jetzt kann jeder sie lesen! Das große Geheimnis ist entdeckt – jeder kann sich ein Bild davon machen. Aber wie, meint Ihr, muß mir dabei zumute sein, mir, der ich für meines Vetters Leben verantwortlich bin?«
»Zweifellos nicht sehr behaglich«, erwiderte ich.
»Jetzt seht Ihr, wie es steht,« schloß er, »und weshalb ich Euch laut ins Gesicht lache, wenn Ihr mir sagt, Ihr sollt vernommen werden.«
Jetzt war die Reihe zu erzählen an mir. Mit wenigen Worten berichtete ich ihm von Simons Drohungen und Vorschlägen, von dem ganzen Vorfall mit dem Bravo und von der anschließenden Szene bei Prestongrange. Von meiner ersten Unterredung dagegen sagte ich ihm, eingedenk meines Versprechens, nichts; das war ja in der Tat auch überflüssig. Die ganze Zeit über hörte Stuart mechanisch nickend zu, und kaum hatte ich aufgehört, als er auch schon den Mund auftat und mit zwei eindringlichen Worten sein Urteil abgab.
»Verschwindet selber«, sagte er.
»Ich verstehe Euch nicht«, entgegnete ich.
»Dann will ich's Euch klarmachen«, sagte er. »Meine Ansicht ist, daß Ihr unter allen Umständen verschwinden müßt. Ach, darüber ist gar nicht zu streiten. Der Staatsanwalt, in dem noch ein Funken von Anstand schlummert, hat Simon und dem Herzog Euer Leben abgerungen. Er hat sich geweigert, Euch vor Gericht zu stellen; er lehnt es ab, Euch töten zu lassen. Das ist der Schlüssel zu ihrem Streit, denn Simon und der Herzog vermögen weder Freund noch Feind die Treue zu halten. Ihr sollt also weder angeklagt noch ermordet werden; aber ich müßte mich sehr irren, wenn man Euch nicht wie Lady Grange überfallen und verschleppen will. Wettet, was Ihr wollt – das ist ihr Ausweg!« »Ihr gebt mir zu denken«, sagte ich und erzählte ihm von dem Pfiff und von dem rothaarigen Gefolgsmann Neil.
»Wo immer James More seine Hand im Spiele hat, habt Ihr's zum mindesten mit einem großen Lumpen zu tun«, sagte er. »Macht Euch das klar. Sein Vater war gar kein so übler Mann, stand aber stets mit den Gesetzen auf etwas gespanntem Fuß. Er war jedoch kein Freund meiner Sippe, und ich habe es daher nicht nötig, mich zu seinem Verteidiger aufzuwerfen. Aber der James – der ist ein Gauner und Erzhalunke. Mir gefallt dieser rothaarige Neil so wenig wie Euch. Sein Auftauchen scheint mir nicht ganz geheuer: es stinkt nach Verrat. Der alte Lovat hat seinerzeit die Lady-Grange-Affäre eingefädelt; nimmt der Sohn dafür die Eure in die Hand, bleibt sich die Familie ja nur treu. Weswegen sitzt James More im Gefängnis? Aus den nämlichen Gründen: Raub und Entführung. Seine Leute kennen sich in dergleichen Dingen aus. Er wird sie Simon als Werkzeuge leihen, und als Nächstes werden wir hören, James habe mit der Regierung seinen Frieden gemacht oder sei entflohen; Ihr aber werdet Euch in Benbecula oder Applecroß befinden.« »Eure Logik ist recht einleuchtend«, gab ich zu.
»Ich will nur, daß Ihr verschwindet, ehe sie Euch zu fassen kriegen«, fuhr er fort. »Haltet Euch bis kurz vor der Verhandlung verborgen und taucht dann plötzlich auf, wenn sie Euch am wenigsten erwarten. Natürlich vorausgesetzt, Eure Aussagen sind ein derartiges Risiko und so großer Mühe wert, Mr. Balfour.« »Ich will Euch nur das eine sagen«, entgegnete ich. »Ich habe den Mörder gesehen, und es war nicht Alan.« »Bei Gott, dann ist mein Verwandter gerettet!« rief Stuart. »Sein Leben ruht auf Eurer Zunge, und man darf weder Zeit, Risiko noch Geld scheuen, um Euch zur Verhandlung zu bringen.« Er leerte seine Taschen am Boden aus. »Das ist alles, was ich bei mir habe«, fuhr er fort. »Nehmt es – Ihr werdet's brauchen können, ehe wir so weit sind. Geht quer durch diesen Hof; es gibt noch einen Ausgang nach den Lang Dykes; und folgt Ihr meinen Ratschlägen, so laßt Ihr Euch in Edinburg nicht wieder sehen, bis der große Kampf vorüber ist.« »Wo soll ich denn hin?« fragte ich.
»Ich wollte, ich könnte es Euch sagen«, erwiderte er; »aber alle Orte, nach denen ich Euch schicken könnte, sind justament die Orte, an denen sie Euch suchen würden. Nein, Ihr müßt Euch schon allein durchschlagen, und Gott steh Euch bei. Gebt mir am 16. September, fünf Tage vor Beginn der Verhandlung, in den ›Kings Arms‹ zu Stirling Nachricht, und habt Ihr bis dahin für Euch selbst gesorgt, so werd ich dafür sorgen, daß Ihr Inverary erreicht.« »Noch eins«, versetzte ich. »Kann ich Alan sehen?« Er schien unangenehm berührt. »Teufel, Teufel – lieber wär's mir, Ihr tätet's nicht«, meinte er. »Aber ich kann nicht leugnen, Alan ist scharf darauf erpicht, Euch wiederzusehen, und er wird lediglich zu diesem Zwecke heute in der Nähe von Silvermills übernachten. Achtet darauf, daß niemand Euch nachgeht, Mr. Balfour – sichert Euch dagegen – haltet Euch in einem sicheren Versteck auf und beobachtet eine ganze Stunde lang die Straße, eh Ihr's riskiert. Es wäre schrecklich, wenn Ihr beide ertappt würdet!«
Zehntes Kapitel Der Rothaarige
Es war halb vier Uhr, als ich auf die Lang Dykes hinaustrat. Dean war das Wanderziel, das ich mir gesetzt hatte. Da Catriona dort wohnte und es fast erwiesen war, daß ihre Sippe, die MacGregors von Glengyle, sich gegen mich verbündet hatte, gehörte dieses Dorf eigentlich zu den wenigen Ortschaften, die ich hätte vermeiden sollen; aber ich war noch sehr jung und auf dem besten Wege, mich bis über beide Ohren zu verlieben; so wandte ich mich, ohne einen Augenblick zu zögern, gen Dean. Um jedoch mein Gewissen und meine Vernunft zu beruhigen, nahm ich zu einer Vorsichtsmaßregel meine Zuflucht. Als ich den Gipfel einer kleinen Anhöhe erreichte, ließ ich mich zwischen der Gerste nieder und lag wartend da. Nach einer Weile ging ein Mann vorüber, der wie ein Hochländer aussah, den ich jedoch nicht kannte. Ihm folgte kurz darauf Neil, der Fuchsige. Der nächste Passant war ein Müller mit seinem Wagen, und dann kamen nur noch Leute, denen man auf den ersten Blick den Bauern ansah. Von Rechts wegen hätte das genügen müssen, um mich von meinem Vorhaben abzubringen, aber meine Wünsche trieben mich alle in die entgegengesetzte Richtung. Ich